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22.02.03 / Von wolligen Ostpreussen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Februar 2003


Von wolligen Ostpreussen
Conrad von Randow berichtet über die Skudde und den Aufbau seiner Herde in der Voreifel

Ende der 80er Jahre fielen mir im Kreise Euskirchen zwei Schafe auf, die sich abseits einer Gruppe Schwarzköpfe hielten und auffallend kleiner waren. Eine Straßenbaustelle hinderte mich an der Weiterfahrt, und so bog ich ab und fragte nach diesen Tieren. Sie erinnerten mich nämlich an unsere Landschafe in Schlesien, die auf unserem Besitz seit jeher Vor- und Nachweide sowie Wegränder beweideten. Als junger Mann lernte man auf so einem Gutsbetrieb die einzelnen Arbeitsbereiche von jung auf kennen, und so hatte ich wohl im unsichtbaren Fluchtgepäck etliches auch von den Hinweisen und Beobachtungen unseres Schäfers mitgebracht. Man hielt in unserer Heimat Schlesien Landschafe als Rasse im Herdbuch, und ich weiß, daß wir gelegentlich Zuchtböcke aus Ostpreußen bezogen. Der Begriff "Ostpreußische Skudden" als Kosename für die urzeitlichen Landschafe blieb mehr auf den Nordosten begrenzt.

Die Skudden sind äußerst genügsam, sie brauchen keinen Stall und haben unter der sehr feinen Wolle - wesentlich feiner als Merino oder Mohairwolle - auf ihrer Haut Kurzhaare und zugleich abdeckende Langhaare, die das Vlies nach außen schützen. Das Tier kann also seinen Wärmeausgleich je nach seinem Befinden durch die Funktion der Kurzhaare kräftesparend regulieren, indem es die Luftzwischenräume im Vlies doppelfensterartig reguliert.

In jenen Jahren hatte ich einen Bienenstand an der Verlängerung der Berliner Straße in Niederbachem von einem Imkerkollegen Schäfer in Mehlem übernommen, in dessen Umgebung gelegentlich Kälber weideten. Zurückgekehrt erkundigte ich mich nach der Möglichkeit, diese Weidefläche nutzen zu können. Die Antwort fiel positiv aus, und so begann ich mit zwei weiblichen Skudden. Ich hatte ihre Zugehörigkeit zu dieser Rasse am Vlies erkennen können. Die Suche nach dem dritten Tier und einem entsprechenden Bock beanspruchte Monate. Ich fand ihn schließlich auf einer gemeinsamen Bockweide erster Halter, die ich in der Eifel entdeckte. Im Gegensatz zu der Herkunft der ersten zwei Tiere, die, wie mir gesagt wurde, ein vertriebener Ostpreuße nicht mehr hatte halten können, wurden die letzteren nur als Zwergschafe bezeichnet. Man wußte also nicht recht, was man hatte. Ich konnte mir einen Bock gegen entsprechende Bezahlung aussuchen, und so war mein Bestand fortan dreiköpfig.

Skudden sind asaisonal, das heißt sie können fast zu jeder Jahreszeit Lämmer werfen, allerdings werden die meisten im Frühjahr geboren. Etwa fünf Monate nach der Übernahme des Bockes hatte ich schon fünf. Die Lämmer kommen recht behende und lebenstüchtig zur Welt, sie saugen anfangs 15mal und mehr täglich an der Mutter und können dank deren aufopfernder Fürsorge sogar im Schnee gleich nach der Geburt gut zurechtkommen. Ich habe erfolgreiche Lämmergeburten bei minus 17 Grad Celsius auf vereister Winterweide erlebt. Schafe liegen nämlich nicht wie Rinder normalerweise auf der Seite, sondern eigentlich auf ihren Knien, und der Kälteschock der Neugeborenen bewirkt sogar nötige Impulse für ihren Kreislauf und das Saugbedürfnis. Am zweiten Lebenstag kann man ein solches Lamm schon nicht mehr mit der Hand fangen, denn es läuft schneller als ein Hase davon.

Im dritten Jahr meiner wieder begonnenen Betreuung dieser auch heute noch vom Aussterben bedrohten wertvollen Rasse hatte ich schon zehn Tiere und mußte mit Rücksicht auf die Töchter des ersten Bockes diesen wechseln. Von "Ostpreußischen Skudden" - so heißt die Rasse offiziell - wußte hierzulande niemand etwas, ich hörte aber von einer Sammlung von Interessenten und Züchtern in der Umgebung von Gießen und erfuhr auch von einem Körtermin, bei dem mögliche Zuchttiere, insbesondere Böcke, vorgestellt und beurteilt werden könnten. Nach seiner Anmeldung fuhr ich mit meinem Böckchen auf gut Glück zu dem entsprechenden Termin. Ich hatte die Vorstellung, daß bei einer solchen Körung auch sicher ein Halfter oder zumindest ein Strick zu haben sei, was nicht zutraf und so sah ich mich schließlich genötigt, den Gürtel meiner Hose abzuschnallen und als Möglichkeit zum Vorführen des Tieres zu benutzen. Die Mitbewerber um die Bewerbungsnote "Eins" hielt ich für weniger rassetypisch und konnte daher die hänselnden Bemerkungen anwesender Schafhalter, die meinten, nun würde meine Hose eventuell Peinlichkeiten für mich bereiten, entsprechend mit dem Hinweis besänftigen, daß es mehr darauf ankäme, wen man am Strick vorführen könne. In der Tat wurde mein Bock als Bester gekört und mit der Note "Ia" prämiert. Da unsere Zuchtböcke zu Hause immer erst in diesem Stadium einen Namen erhielten, nannte ich ihn fortan nach Hermann Balg "Hermann". Sein Namensgeber ist bekanntlich der Begründer von Thorn. Er hatte mit sieben Knappen 1230 eine Furt durch die Weichsel nach West- und Ostpreußen gefunden und gründete im selben Jahr die Stadt. Es ist in meinen Augen eine unglaubliche Leistung, zu Pferde den Weg für eine große zeitgeschichtliche Epoche gefunden zu haben. Nach ihm wurde später die Halbinsel Balga benannt.

Mein Bestand - wobei ich hier nur die weiblichen Tiere zähle, denn die Hälfte der Lämmer werden männlich geboren und müssen nach Geschlechtsreife getrennt von ihren Schwestern aufwachsen - umfaßte im nächsten, vierten Jahr schon 16. Ich übte inzwischen die Geschäftsführung des Zuchtverbandes für Ostpreußische Skudden und Rauhwollige Pommersche Landschafe, Auf der Heide 3, 53343 Niederbachem, ehrenamtlich aus und lernte allmählich also die oft noch kleineren Gruppen dieser beiden wertvollen Landschafrassen kennen, die mit Schicksalsgefährten verstreut vom Bodensee bis Holstein und an die Elbe ausfindig gemacht werden konnten. Es waren in der Tat ganze 146 Skudden und weniger als 50 Rauhwollige Pommernschafe. Inzwischen ist der Zuchtverband zur Erhaltung dieser beiden Rassen bundesweit von allen Bundesländern anerkannt, er bemüht sich um die Erhaltungszucht, veranstaltet Anfänger- und Fortbildungskurse und erfreut sich regen Interesses. Gleichzeitig sammelt der Verband die wertvollen Wollen und läßt sie zu ansehnlichen Tuchen, Strickwollen und Filzen verarbeiten, um sie in eigener Regie gewinnbringend zu vertreiben. Der Erlös kommt der Erhaltungszucht zugute. Meine weiblichen Skudden waren inzwischen jährlich mehr geworden, von 24 hatte ich im Folgejahr 36 nachzuchttaugliche, dann 50, 75, 96, 140, 198 und schließlich im Jahre 2002 260. Die erforderlichen Weideflächen fielen mir eigentlich zu. Beginnend mit der erwähnten Unterweide an der Berliner Straße kam bald die höher gelegene Fläche der ehemaligen Müllkippe der Gemeinde hinzu. Die mit Bauaushub abgedeckte Kippe wurde zum Teil von mir mit Weiden- und Espensteckhölzern begrünt. Gleichzeitig ergaben sich weitere Flächen im Ländchen bis nach Godesberg. Skudden kann man führen, sie werden also nicht getrieben. So wach sie sind, folgen sie ihrem Betreuer vertrauensvoll auch über Wege und Straßen. Ihr Kontakt und Vertrauen ersetzt jeden Hund.

Jedes Jahr habe ich mit Rücksicht auf die Töchter des Vorgängers einen neuen, nichtverwandten Skuddenbock besorgt und viele vererbungswürdige Jungböcke in andere Bestände abgeben können. Eng verwandtschaftliche Herkünfte wurden und werden bewußt durch die Herdbuchführung vermieden. Es gibt bei Schafen von Natur aus keine eineiigen Zwillinge, so daß Zwil-lingspaare und die selten auch vorkommenden Drillingspaare weniger als gemeinhin befürchtet in ihren Anlagen verwandt sind. Der Blick für die Rasseeigentümlichkeiten und die Erfahrung sowie der Einsatz der wenigen Halter und Züchter ermöglichten es, inzwischen rund 5.000 Skudden ohne Inzuchtschäden und größtenteils in Betreuung des Zuchtverbandes als ideale Helfer im Landschaftsschutz aufzuziehen. In meinem Bestand, wie auch andernorts, waren das bei Diversen vorhandene Interesse und die Ansehnlichkeit der Tiere hilfreich. Ich konnte allmählich näherliegende Flächen bis zum Lindenhof, Broichenhof und Rodderbergshof vor- und nachbeweiden, und zwar unter Benutzung von Stecknetzen.

Gleichzeitig stehen getrennt 84 Böcke meiner Bockherde zur Zeit in Liessem. Die Eigenschaft dieser Schafe konnte ich kürzlich bei einer Begegnung am Tag der offenen Tür auf dem Versuchshof der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn in Hennef erläutern. Es bestätigte sich erneut, wie viele landwirtschaftliche Erfahrungen zwischenzeitlich verschüttet oder verloren-gegangen sind.

Die Skudden vertragen nicht nur, sondern sie brauchen sogar einen höheren Anteil an Rohfaser in ihrer Kost. Das befähigt und veranlaßt sie, Nesseln, auch Disteln und andere mehrjährige Pflanzen im Grünlandbereich dem etwaigen Weißklee vorzuziehen. Binsen, Bärenklau, Huf-lattich und der breitblättrige Ampfer können recht lästig in der Grünlandschaft werden. Die Skudden beseitigen sie, indem sie die Sparwurzeln, beispielsweise des Ampfers, im angehenden Frühjahr an der Spitze kürzen und somit die Samenentwicklung der Pflanze für den folgenden Sommer reduzieren. Der bereits vom Vorjahr im Boden wartende Samen der Art keimt zwar, wird aber wieder etwa April und noch einmal im Herbst von den Tieren verbissen und damit an der Assimilation gehindert. Mir fiel an Trockenrasenstücken im Ländchen auf, wie oft Schafgarbe sich dort ausgebreitet hatte. Diese Pflanze heißt nicht zufällig so. Ihre Aufnahme durch urzeitliche Landschafrassen unterstützt die Gesundheit der vielbenutzten Klauen. Die Skudde ist übrigens das lauftüchtigste Schaf. Gemessen wurden rund zwei Kilometer je Tier und Tag. Sie haben also nicht nur einen Bedarf an faserreichem Futter - auch Äste und Waldrandvegetation helfen ihnen sehr -, sondern auch einen erheblichen Raumbedarf. Der kriechende Hahnen- fuß gilt selbst in Lehrbüchern der Tierzucht für sogenannte Leistungsschafrassen als schädlich. Die Skudden frühstücken ihn so gerne wie Efeublätter. Wer weiß denn noch, daß der Efeu sprachkundlich wohl seit jeher als "ewiges Heu" bezeichnet wird. Auch vor ihm wird in manchen Fachbeiträgen gewarnt, wohl deshalb, weil durch menschlichen Einfluß die robusten Eigenschaften der eigentlichen Anpassungsformen, genannt Rassen, verändert wurden. Mit Merinoschafen aus Nordafrika über Spanien eingekreuzte Tiere, die im 18. Jahrhundert durch Friedrich den Großen und Maria Theresia eingeführt wurden, können kaum den Bezug zur deutschen Flora und ihrer frostharten Vielfalt mitgebracht haben. Tatsächlich sind der größte Anteil der heute in Deutschland lebenden, leider rückläufigen Schafbestände Merino-Landschafe. Sie sind eingekreuzt und erst nach vielen Generationen mit Stallhaltung und weiterer Unterstützung durch Zufutter und tierärztliche Betreuung hier lebensfähig. Ich habe noch selbst die Einkreuzung eines Merino-Bockes in die Landschafherde unseres Familienbetriebes in Schlesien erlebt. Die zweite Generation seiner Lämmer war die krankheitsanfälligste, die wir je hatten, und mein Vater entschied seine möglichst baldige Abgabe.

Man kann einen solchen Bestand natürlich nicht endlos erweitern. Noch habe ich dankenswerterweise genügend Weideflächen zur Verfügung. Meine munteren Tierchen pflegen ja auch und hinterlassen begehrten Naturdünger auf den Flächen.

Es gibt jeden Herbst und Winter auch etliche überzählige Böckchen und weniger zur Nachzucht geeignete Zibben. Neben Wolle und Fell, den besten Wärme- und Gesundheitshelfern des Menschen, sind halbe oder ganze Schlachtkörper in Teilen meistens hier zu bekommen. Das Fleisch schmeckt nicht nur gut, es wird zugleich aufgrund seines hohen Anteils an ungesättigten Fettsäuren ärztlich empfohlen.

Einen oft ungeahnten Bezug dieser Tiere zu ihren Mitgeschöpfen möchte ich noch hervorheben: Der Graureiher nutzt gerne ihre Laufaktivität zwischen ihnen zum Mäusefangen, Schwalben, Mauersegler, Schaf- und Bachstelzen begleiten die Tiere gerne und fangen ihnen die Fliegen weg. Bedeutender in der Wirkung bleibt der naturfreundliche Bezug der Skudden. Seit es meine Herde hier gibt, brüteten erstmalig wieder Wachteln in der Gemarkung. Die Voraussetzung zur Aufzucht ihrer Küken ist das Vorhandensein von Rasenameisen, da sie in der Nähe heranreifende Grassamen erreichbar machen. Rasenameisen leben größtenteils unter der Erde, ihre Atmungshügel werden von den sorgfältigen Skudden geschont. Anders als Rinder, Pferde oder gar der Kreiselmäher sichern Landschafe bei der Beweidung die Möglichkeit der Kükenaufzucht mit Ameisenpuppen und noch unreifen Grassamen. Noch interessanter ist ihre Wirkung auf den Flächen für Bodenbrüter und seltene Schmetterlinge. Die Schwalbenschwänze und Bläulinge sind nämlich auch für ihre Jugendentwicklung vorübergehend auf die Rasenameisen angewiesen.

Schlimm ist die leider noch zunehmende Zahl unverständiger Mitmenschen, die wohl zu jeder Art landwirtschaftlichem Tun besserwisserische Einmischung parat haben. Das reicht vom Hetzen durch Hunde, auch wenn Tiere dabei zugrunde gehen, "denn Hunde brauchen doch Bewegung mit Spielgefährten", bis zu Beschimpfungen als Tierquäler, "weil Schafe doch nicht hinter Zäunen, sondern frei grasen müssen". Die Harmonie gesunder, ansehnlicher Mitgeschöpfe wird von so Engstirnigen geradezu bekämpft.

Meine Möglichkeiten, einen solchen Bestand nebenher zu betreuen, lassen altersbedingt nach. Ich hoffe, daß die Erhaltungszucht Ostpreußischer Skudden eines Tages im Ländchen fortgesetzt werden kann. Meine Bockherde soll übrigens zum erneuten Beweis ihrer grünlandverbessernden Beweidung demnächst vorübergehend in Hennef für die landwirtschaftliche Fakultät tätig werden.

Die Summe der Eigenschaften dieser Tiere - wie übrigens auch der Rauhwolligen Pommerschen Landschafe - ermöglicht Einblicke in die Schöpfungsordnung ganz eigener Art. Daher findet gelegentlich ein Schild über Zweck und Ziel der Haltung solcher Schafe Aufmerksamkeit, und ein anderes am Zaun besagt: "Vater allen Lebens, laß uns nicht vergebens durch der Schöpfung Garten gehen. Laß uns deine Wunder sehen, daß wie Sonne, Blum und Stern, wir dem Licht gehorchen gern, dienstbar Christus, unserm Herrn."