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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. Februar 2003 |
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Leserbriefe zum Thema Kriegsgefangenschaft Angeregt durch Leserbriefe zum Thema Kriegsgefangenschaft haben viele unserer Abonnenten uns von ihren Erlebnissen berichtet. Eine Auswahl dieser Zeitzeugenberichte lesen Sie hier.
Lazarette waren fast ohne Medizin Betr.: Sowjetische Kriegsgefangenschaft (Folge 2 + 5) Meine Gefühle beim Lesen dieser Schilderung in Kriegsgefangenschaft möchte ich besser und höflichst verschweigen: Wenn ich darin von "dreimal am Tag warmes Essen" lese, von langen Ergüssen über "Kulturarbeit" und Lachsalven bei diesen Veranstaltungen, von überlangen Lazarett-Aufenthalten und rührseligen Weihnachtsbräuchen wie daheim, sträuben sich mir die Haare ... Die Wirklichkeit sah bedauerlicherweise ganz und gar anders aus! Wären sonst z. B. von den rund 800 deutschen Soldaten meiner Einheit bzw. meines Transportes letztlich 670 verhungert oder anders zu Tode gekommen? Natürlich gab es zwei bis drei dünne Suppen am Tag (in den ersten Jahren "kredenzt" aus einer sogenannten "Oskar Meyer-Büchse", verrostet, und aus den amerikanischen Hilfslieferungen), mit ein paar Fischaugen und Kohlblättern, wenn man Glück hatte, und einmal etwa zwei Eßlöffel Kascha (Graupen oder Hirse). Die dreimal 200 Gramm Brot eines spelzigen nassen Gemenges (die Landser nannten es "Pferdfutter-Konserve") waren ziemlich ohne Nährwert. Dies vermittelt wohl ein anderes Bild der Ernährungslage angesichts der zehn- bis 13stündigen Schwerarbeit pro Tag in Kohleschächten, Steinbrüchen und bei Erd- und Bauarbeiten - inklusive der langen Märsche zu den Arbeitsstellen. Die Erfüllung der täglichen sogenannten Arbeitsnorm überwachten Antreiber, genannt "Brigadiere", meist deutscher Provenienz (beliebt bei den Sowjets waren ehemalige Zuchthäusler oder KZ-Häftlinge). Bespitzelte Äußerungen politischer Art oder "Zurückhaltung" bei der Schufterei wurden mit Strafzugs-Einweisung geahndet - das gab einem dann den Rest! Die erwähnten "Lazarette", fast ohne jede Medikamente, Binden oder dergleichen, in primitiven Erdbaracken und mit schnellstmöglichem "Durchlauf", waren ein Thema für sich; unsere Ärzte (nur die wenigsten durften dort behandeln) rangen die Hände ... Und die Kulturgruppen, von der "Antifa" den Lägern fast aufoktroyiert, waren klägliche Versuche, mal mit ein paar simplen, selbstgestrick-ten Aufführungen einfachster Art durch ein paar geeignete Mitgefangene ein wenig Leben ins stumpfsinnige Lagerleben zu bringen. In diesem Zusammenhang jedoch von Lachsalven ob gewisser Darbietungen zu schreiben, ist schon der allgemeinen Stimmungslage der Gefangenen wegen mit Sicherheit völlig daneben. Und zu Weihnachten? Ich habe in meinen sechseinhalb Jahren in sibirischen Lagern (im Kußbass-Kohlegebiet und im Raum Swerdlowsk) im Hinblick auf die dort das Zepter schwingenden NKWD/MWD in den sogenannten "Regime-Lagern" nicht einmal erlebt, daß eine Art Weihnachtsbegehung, nicht einmal ein Tannenzweig, erlaubt worden war. Karl-Gottfried Vierkorn, Stephanskirchen
Vernünftiges Essen war eine absolute Ausnahme Drei Jahre und zwei Monate durfte ich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verleben. Im Vergleich zu Tausenden anderer Kameraden hatte ich das Glück, schon 1948 (!?) entlassen zu werden. In dieser Zeit war ich in vier verschiedenen Lagern in der Ukraine und in Armenien. Wie auch der Verfasser des Leserbriefes in Folge 2 berichtet, blieb auch mir in puncto Arbeit nichts erspart. Holzfällen bei 20 Grad Frost, in den Steinbrüchen Armeniens bei sengender Hitze oder nach "Prozent-Leistung" in den Betonbrigaden unter fast unmöglichen Bedingungen das "Soll" schaffen sind nur einige Beispiele. Die erwähnte Kulturarbeit gab es wohl in jedem Lager mehr oder weniger qualitativ. "Kultura" mußte sein und war auch ein Lichtblick in dieser ansonsten traurigen Zeit. Ich erinnere mich in unserem Lager in Kirowakan/Armenien an die fabelhafte Aufführung des Schauspiels "Der zerbrochene Krug" (Heinrich von Kleist). Nur eines konnte dadurch nicht überdeckt werden: der ständig nagende Hunger! Zu der Bemerkung in Folge 2 ("Es gab dreimal täglich warmes Essen, also Suppe, Brei/Kascha und Brot) glaube ich im Namen von Tausenden Kriegsgefangenen hier eine Korrektur einzubringen: Die sogenannte Suppe war morgens und mittags ein Liter warmes Wasser, in dem in einer Ecke des angekippten Kochgeschirrs höchstens drei Löffel "Dickes" vorhanden waren, abends gab es einen halben Liter gleicher Qualität, wie schon in Folge 5 beschrieben. Die Folge war natürlich bei der schweren Arbeit ein rascher Abfall der körperlichen Verfassung. Bei der alle vier bis sechs Wochen stattfindenden Untersuchung standen die Lagerinsassen splitternackt im Hof. Die russische Ärztin kniff einmal kurz in den Hintern (wieviel Fleisch noch dran war), das war alles. Der "Patient" wurde dann in die entsprechende "Kategorie" eingeteilt, also seines Arbeitsleistungsvermögens. Eine wahrhaft medizinische Meisterleistung, denn wir waren ohnehin alle nur "Haut und Knochen". Einmal jedoch eine absolute Ausnahmesituation: Eine Kommission des schwedischen Roten Kreuzes hatte sich kurzfristig angesagt. Sie hätte besser unverhofft kommen sollen! Das Lager stand Kopf. Es war im Herbst 1947. Bis dahin mußten wir auf unseren zweistöckigen Holzpritschengestellen auf den blanken Brettern schlafen. Jetzt wurden Hunderte von Strohsäcken ins Lager gefahren. Sogar mit Laken versehen. Alles wurde geschrubbt. Statt unserer alten Kochgeschirre, häufig bestehend aus Konservendosen, bekamen wir schöne Aluminium- schüsseln mit neuen Löffeln. Unsere alte verschlissene Unterwäsche wurde gegen neue ausgetauscht. Am besagten "Tag X" bekam dann diese Kommission ein Kriegsgefangenenlager präsentiert, wie sie es sich wünschte - wir jedoch bis dahin nie kennengelernt hatten. Erstmalig bekamen wir zur abendlichen Suppe auch den heißersehnten "Kascha" (Brei), den wir ebenfalls nie erhielten. Wir dankten außer Gott auch dieser Kommission, einmal satt geworden zu sein. Die vage Hoffnung, daß es nun vielleicht besser würde, war ein Trugschluß. Schon einen Tag nach Besichtigung wurden die Strohsäcke wieder abgefahren (wie wir dann erfuhren, hatte man sie aus einer Kaserne ausgeliehen). Ebenso verfuhr man mit den Essens-Utensilien. Der vorherige Lageralltag hatte uns wieder. Die traurige Erkenntnis, was uns von "Rechts" wegen zugestanden hätte, blieb zurück. Zu dem angesprochenen Thema Seuchen kann ich sagen, daß die abseits liegende, isolierte "Ruhrba-racke" unseres Lagers ständig belegt war. Es wurde nicht viel Federlesens gemacht. Es gab die gleichen Holzpritschen dort. Die Kranken wurden für mehrere Tage auf totales Fasten gesetzt. Was vorhanden war: jede Menge schwarzer Tee! Diese Roßkur führte zwar zur totalen Erschöpfung, letztendlich jedoch auch meistens zum Abklingen der Krankheit, viele jedoch schafften es nicht mehr. Die schmucklosen Grabhügel in der Nähe bezeugten dieses. Unser Verhältnis zu der russischen Zivilbevölkerung in der ersten Zeit nach Kriegsende war zunächst geprägt durch jeweils ne- gative oder auch positive Kriegserlebnisse. Es besserte sich jedoch recht schnell durch arbeitsbedingte Kontakte miteinander. Oftmals hatte man den Eindruck, daß die Leute nicht mehr in jedem einzelnen Deutschen den persönlichen "Feind" sahen. Bald erkannten sie den Wert unserer Arbeit. Ich war einige Zeit zur Reinigung der russischen Wachstube im Lager bestimmt. Die russischen Soldaten bestimmten meine Arbeitsweise. So rutschte ich auf Knien mit dem Wischlappen durch den Raum und wurde ständig an den Betten vorbei dirigiert, auf denen die Herren lagen. Kam ich an einem von ihnen vorbei, bekam ich einen Stiefeltritt in den Rücken. Immer wieder mußte ich den Raum neu wischen. Ich habe die Tritte bald nicht mehr gezählt, dann brach ich zusammen. Eine Meldung ersparte ich mir, um weitere Schikanen auf der Arbeitsstelle zu vermeiden. Ich war damals gerade 18 Jahre. Mit den Jahren stellte sich oftmals (allerdings unter äußerster Vorsicht) ein gewisses Vertrauensverhältnis ein, in dem Worte fielen wie "Hitler Sch...e, Stalin auch". Schließlich gab es schon lange davor die sibirischen Gulags mit ihren Millionen Toten! Gerhard Hahn, Hannover
"Mein Lager war ein Vorzeigeobjekt für das IRK" Ich hege keinen Zweifel daran, daß die Leserbriefe in Folge 5 dem Erleben der Verfasser entsprechen und wahr sind. Ebenso wahr ist auch, daß weit mehr russische Kriegsgefangene in Deutschland verhungert sind. Waren es in Bergen-Belsen nicht schon 45.000? Was soll also heute noch das Aufrechnen? Und sogar wider besseres Wissen. Da lobe ich mir die Aktivitäten einzelner Landsleute oder gar Kreisgemeinschaften, heute mit den Menschen in unserer angestammten Heimat Freundschaften zu schließen. Ausnahmen bestätigen die Regel! Ich verbrachte fünf Jahre (44/49) in dem "Offizierslager 7.150-Grjasowez", unweit Jaroslawl. Während dieser Zeit starben dort, wenn man von der Krimquarantäne mit 40 Toten absieht, nur noch 100 von 4.800 Offizieren. Das beweist der kleine Friedhof, der heute noch von einer russischen Lehrerin gepflegt wird. - Erst ab Kriegsende mußten wir - mit Ausnahme der Stabsoffiziere - außerhalb des Lagers arbeiten. Der Fliegermajor Hartmann genoß trotz seiner 280 Abschüsse sowjetischer Maschinen große Anerkennung. - Ich war zweimal Dystrophiker, gehörte nie der Antifa an - und überlebte doch. Mein Glück: Dieses Lager war offenbar ein Vorzeigeobjekt für das IRK. Außerdem meinten die Sowjets wohl, die Offiziere bei guter Laune halten zu müssen, um sie "umdrehen" und für den Aufbau des Sozialismus einspannen zu können. Vielleicht war auch die persönliche Freundschaft zwischen dem Gefangenen Baron von Neidhardt, dem Chef-Dolmetscher von Generalfeldmarschall Paulus, und dem Lagerkommandanten Oberst Syrma für unsere menschliche Behandlung ausschlaggebend. Sie kannten sich schon seit der Zarenzeit. Von Neidhart war im Garderegiment des Zaren Schwadronchef, Syrma einer seiner Wachtmeister. Von allen diesen Zufällen haben wir profitiert. Muß ich mich deshalb schämen? Im Jahre 1998 war ich bei einem Treffen ehemaliger Mitglieder der Theatergruppe. Dazu hatte man auch eine von allen Gefangenen geachtete Lagerschwester eingeladen. Sie setzte sich immer für uns ein, obwohl die meisten ihrer Angehörigen bei der Belagerung Leningrads verhungert waren. Nach dem Kriege lebte sie bis zum Tode ihres Mannes 20 Jahre in Pillau, Insterburg und Gumbinnen. Welch eine Ironie des Schicksals! Zum Abschied sagte die betagte, verarmte Frau: "Als junge Komsomolzin sollte ich euch umerziehen. Ich versuchte es mit Menschlichkeit. Es lebe weiter die Nächstenliebe! Druschba! Der Herr behüte euch!" Horst Redetzky, Delmenhorst
Die Lager waren unterschiedlich Mein Leserbrief in Folge 2 hat für Aufregung gesorgt. Andere in der Sowjetunion verurteilte Kriegsgefangene griffen darauf hin ebenfalls zur Feder und schilderten ihre Erlebnisse. Da ich nun allerdings in ein komisches Licht geraten bin, möchte ich noch einiges ergänzen. Denn ich war nicht wie sie in Lagern, die in Landstrichen lagen, über die der Krieg zweimal hinweggebraust war, sondern ich erlebte außer in Leningrad nur Lager, die sich in Gebieten befanden, die von Kriegsereignissen nicht berührt worden waren. Also auch die Stimmung der Zivilbevölkerung uns gegenüber eine andere war, als zum Beispiel Weißrußland oder der Ukraine. Wir hatten zu Weihnachten kein Problem. Wir hatten unsere Weih-nachtsbäume in den Baracken, und in Swedlowsk zum Bespiel habe ich auf Anweisung unseres Barackenältesten, eines deutschen Leutnants, Figuren wie Maria mit dem Christuskind, Josef, die drei heiligen Königs aus Lehm geformt, die dann anschließend in der Töpferei der Ziegelei gebrannt wurden. Heinz Glogau, Brandenburg |