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01.03.03 / Erinnerung an den Maler Alexander Kolde

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. März 2003


Die Phantasie mit seinen Bildern beflügelt 
Erinnerung an den Maler Alexander Kolde
von Berta Alexandrowna Kolde

Meine beiden Schwestern und ich sind mit Bildern, die unser Vater Alexander Kolde malte, groß geworden. Sie hingen in der Wohnung und im Atelier und standen auch aufrecht hintereinander an den Wänden des Werkraums. Von Zeit zu Zeit wechselten sie den Platz oder verschwanden vorübergehend auf Ausstellungen. Manche blieben jahrelang in der Wohnung und prägten sich in ihrer Thematik, in Form und Farbe dem Gedächtnis ein.

So ging es mir mit dem Bild "Panischer Schrecken", in den zwanziger Jahren entstanden: Ein Mann läuft einen Fahrweg entlang, einen Arm abwehrend nach vorne gebreitet. Im Lauf schaut er rück-wärts. Auf seinem Gesicht breitet sich Entsetzen aus. Das Giftgrün der Laubbäume zu beiden Seiten der Straße spiegelt sich in seinem Antlitz wider. Oder ist es umgekehrt? Es sind die Farben, die sofort ins Auge fallen. Ein weiches, helles Chromgelb wird zurückgedrängt von einem Grünspangrün. Auch das Bild "Erschöpfte Flüchtlinge" war nach Eindrücken aus dem Ersten Weltkrieg entstanden. Es ist kaum zu glauben, daß das Thema nie seine Aktualität verloren hat!

Das Bild "Auferstehung" hing jahrelang in unserer Wohnung, ehe es einen Liebhaber fand. Es war ein breites Format und stellte ein Schlachtfeld dar. Einzelne bunte Rüstungen und Waffen lagen verstreut umher, und auf diesem Feld des Krieges der Antike standen nackte Körper auf vor einem lichten Himmel. Die Rückansicht einer männlichen Gestalt ohne Kopf ist den Gestalten zugewandt, die in der Ferne schweben.

Was konnte ein kleines Mädchen zu damaliger Zeit mit Bildern wie "Boxer im Ring" oder "Der Schwur" anfangen? Sie wurden zunächst neugierig betrachtet. Mit der Zeit wurden sie vertrauter, und das Kind freundete sich mit ihnen an. Es lebte mit den Bildern und war enttäuscht, wenn sie plötzlich verschwanden.

Ich denke aber auch an die vielen Stilleben, die Tierbilder wie "Tiger im Dschungel", "Löwen unter Sternen", Katzenbilder jeder Art, Pferde unter blühenden Bäumen, Pferde im Gewitter, Pferdeauktion, Antilopen, Rehe, die von einem Kornfeld ins andere wechselten, Hähne im Hühnerhof, Taubenbilder und Habicht in der Luft, eine Taube schlagend. Dazu kamen die Bilder aus der Legenden- und Sagenwelt! Diese Themen aus der griechischen Mythologie schienen unerschöpflich, und mein Vater wiederholte sie nach dem Krieg in seinem Flensburger Atelier.

Es waren die Gestalten, die mich in ihrer Harmonie der Bewegung und Körperhaftigkeit anzogen, ob es sich dabei um die Europa, um Prometheus, Nausikaa, Menelaos, Odysseus, Orpheus, Bacchus, oder um die Seherin von Troja handelte. Don Quijote zog auf Abenteuer, kämpfte mit den Windmühlenflügeln und trat dem Löwen in seinem Karren mutig entgegen. Nicht vergessen darf ich die vielen Porträts. Bei den meisten handelte es sich um Aufträge, bei einigen um öffentliche. Da man wußte, daß mein Vater Lovis Corinth aus seinen Studienjahren in Berlin gut kannte, sollte er ihn porträtieren. Er tat dies aus seinem Gedächtnis heraus, und Corinth stand auf dem Bild selber vor seiner Staffelei im weißen Malerkittel. Für mich auffallend war sein kugelrunder Kopf. Dieses Porträt hing dann im Schloßmuseum.

Als ich etwas älter wurde, nahm mich mein Vater auf die großen Ausstellungen in die Kunsthalle am Wrangelturm mit, der in Königsberg (Pr) am Oberteich lag. Mir fiel auf, daß die Begrüßung unter den Malern immer sehr herzlich war. Sofort kam eine Unterhaltung zustande, an der sich alle beteiligten. Die Maler waren fröhlich, weil eine schöne Ausstellung gelungen war, die Bilder gut gehängt waren. Die Räume schienen mir damals als Kind riesengroß, und alles zusammen, auch die mit Bohnerwachs gepflegten glänzenden Holzdielen, versetzten mich in feierliche Stimmung. Viele Jahre später, nach der Vertreibung aus Ostpreußen, schrieb der Maler Julius Freymuth aus Rosenheim in Bayern an meinen Vater nach Flensburg: "Lieber Alex! Jetzt muß ich an unsere schöne Ringausstellung denken. Ich habe eine solche Ausstellung nie mehr gesehen, weder in Berlin, noch in München.[...] Wenn wir, lieber Alex, nicht so weit auseinander gewohnt hätten, so wäre vielleicht der ‚Ring' doch wieder erstanden." Freymuth erinnert sich dabei sicher an die erste große Ausstellung nach dem Ersten Weltkrieg, die von den Mitgliedern des "Ring" veranstaltet wurde. Mein Vater hatte diese Vereinigung 1918 gegründet. als er aus dem Krieg zurückkehrte. 1919 war er Vertrauensmann und Sprecher für die aus dem Felde zurückkehrenden früheren Schüler der Akademie und faßte im Jahre darauf die wesentlichsten künstlerischen Kräfte Ostpreußens in dieser Vereinigung zusammen. Der "Ring" trat noch im gleichen Jahr mit einer großen Ausstellung hervor.

Dem "Ring" gehörten auch andere künstlerisch Tätige an, so Architekten und Bildhauer wie Gerhard Morgenstern und Walter Rosenberg. Später ging der "Ring" in den "Notbund" über, einen Wirtschaftsverband der freien Künstler in Königsberg (Pr). Ihm gehörten Künstler an wie Dobrzinski, Bischoff, Fincke, Lindh, Kuhnau, Behrendt, Girod, Morgenstern, Specht, C. L. H. Schulz, Ruth Gaebel, Rosenberg, Kolde und andere.

In den Jahren nach 1940 begegnete ich Bildern meines Vaters, die ich noch nicht kannte. Sie hingen in den Räumen des Museums von Graudenz. Mein Vater hatte sich in diese Stadt zurückgezogen, die ihm schon ihrer Lage wegen gefiel. Etwa 1942 erhielt er vom Magi-strat der Stadt den Auftrag, die Burgruine Rheden zu malen. Als ich ihn wieder einmal in Graudenz besuchte, bat er mich, ihn zu dieser ehemaligen Ordensburg zu begleiten, die er sich anschauen wollte, um von ihr Skizzen zu machen. An einem schönen Frühsommertag brachen wir auf und fanden uns schließlich auf einer schnurgeraden Chaussee mit hohen Baumreihen wieder. Ich weiß heute nicht mehr, wie lange wir liefen, ich erinnere mich nur an den großen Schrecken, der mich durchfuhr, als ich einmal aufschaute und die mächtigen Mauern der Ruine unerwartet vor mir auf einer Anhöhe auftauchten. Es war so, als wäre ich in eine andere Zeit versetzt worden.

Etwas abseits, unterhalb der Burg, ließen wir uns auf der Wiese nieder. Hier verlebten wir mehrere Stunden in geruhsamer Beschaulichkeit und Stille, die kaum unterbrochen wurde durch spielende Kinder auf der Anhöhe. In einiger Entfernung vor uns hütete ein Mann zwei Ziegen. Es war windstill. Die niedrigen Büsche am kleinen Weiher bewegten sich kaum. Die hohen roten Mauerfragmente der Ordensburg mit den zwei noch erhaltenen Ecktürmen ragten in einen blauen Himmel, über den weiße Wolken rasch dahinzogen.

Da oben schien es zu stürmen. Mein Vater skizzierte alles. Es entstanden mehrere Blätter. Die vordere Ansicht, vom Weg aus gesehen, war besonders malerisch. Vom Eckturm aus lief die zerstörte Mauer der Burg diagonal breit auf den Boden zu, und der Blick konnte durch die Ruine frei auf einem gewaltigen Stück Himmel ruhen.

Später, als ich das fertige zwei Meter hohe Ölbild der "Burgruine Rheden" betrachtete, wurde ich sofort eingestimmt in jene zeitlosen Stunden der geruhsamen Idylle, als wir uns im Schutze der Anlage befanden. Das Bild wurde im Museum von Graudenz ausgestellt, es war für den Magistratssaal bestimmt. Der Museumsdirektor, Dr. Bernhard Meyer, schrieb 1962 in einem Artikel: "Großzügig in Auffassung und Farbgebung hat Kolde es ausgeführt, ohne alle billigen Effekte und unter Verzicht auf alle kleinlichen Details." Mein Vater schrieb von diesem Motiv, er habe mit Bewunderung festgestellt: "Noch in seinem Verfallszustand konnte man die Kulturhöhe und die Ausdruckskraft der Erbauer spüren und erleben, wie Geschichte und Romantik ineinander übergehen zu ewiger Harmonie mit der Umgebung. So war's am Nil, am Euphrat, in den Anden, in Athen und Rom - und nun hier im Weichselland."

Ob das Gemälde der Ordens-burgruine Rheden hernach noch einen anderen Platz erhielt, weiß ich nicht. Es ist zu wünschen, daß es die Kriegswirren überstanden hat, wo auch immer es gelandet sein mag. Graudenz war Festung wie Königsberg (Pr) auch und wurde längere Zeit verteidigt.

Viele Bilder und Kunstschätze sind im Osten durch Brandbomben und Kriegseinwirkungen vernichtet worden. Aber da gibt es seltsame Zufälle, die hoffen lassen, daß Kunstwerke erhalten blieben. Im Jahre 1950 erhielt meine Mutter in Flensburg eine Postkarte von Gertrud Bischoff, Frau des Malers Eduard Bischoff. Sie schrieb aus Gelsenkirchen: "Liebe Frau Kolde! Ich habe Ihnen bei unserem Besuch ja ganz vergessen zu erzählen, daß uns Dr. Paul Heidecker, der erst 1948 aus Königsberg rauskam, erzählte, daß er in der Wohnung eines ihm Unbekannten (ich glaube in der Dürerstraße) ein Bild von Ihrem Mann fand und sich aneignete. Es war eine grüne Woge, die ihn von Kellerwohnung zu Kellerwohnung begleitete und ihm viel Freude bereitet hat, bis er einmal ein Quartier mit drei Damen teilen mußte. Da war eines Tages sein schönes Bild weg - wie sie ihm beschämt gestanden, auf dem schwarzen Markt an einen Russen verkauft. So ist das Schick-sal Ihres Bildes.[...]"

Es gibt Glücksmomente, wenn man erfährt, daß Verwandte oder Bekannte auf ihrer Flucht in den Westen das eine oder andere Bild gerettet haben. Es ist vorgekommen, daß einige wenige Bilder zur rechten Zeit ausgelagert wurden und manch kleines Bild ins Fluchtgepäck wanderte. Bei Kunstsammlern tauchten nach 1945 unverhofft Lithographien von Alexander Kolde auf. Auch die beiden lithographischen Zyklen "Wandernder Christus" und "Und der Cherub steht vor Gott", bereits 1920 in Königsberg im Ringverlag erschienen, haben die Kriegszeit überdauert. (Näheres über www.alexander-kolde.de.) Wahrscheinlich sind noch Bilder von Künstlern aus Ostpreußen auf die eine oder andere Weise erhalten geblieben, und ihre jetzigen Besitzer könnten sich an ihnen erfreuen. Ich selber - es mag anderen auch so gehen - fühle mich bereichert, da ich mit einem großen Teil der Bilder leben durfte. Sie regen mich in ihrer Thematik, in ihren Stimmungen, Zeitbetrachtungen und Farben noch heute an und beflügeln die Phantasie. Viele neue Bilder sind nach 1945 entstanden und begleiten uns weiter.

Alexander Kolde wurde am 2. März 1886 in Haldensleben bei Magdeburg geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Rastenburg. In Berlin, München und Königsberg studierte er. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte und arbeitete Kolde in Flensburg, wo er vor 40 Jahren an seinem 77. Geburtstag starb.

Alexander Kolde: Der Künstler an der Flensburger Förde

Rastenburg: Die 1359 bis 1370 errichtete St. Georgskirche, wie Kolde sie sah