Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. März 2003 |
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Berliner Ammenmärchen Die von der Bundesregierung als "allein seligmachend" gepriesene Ganztagsbetreuung soll die Familienplanung in Deutschland einfacher gestalten. Leider wird dabei übersehen, daß es auch noch andere Möglichkeiten gibt, die zudem für die Entwicklung des Kindes besser sind. Ein Blick über die Landesgrenzen verrät, daß es Alternativen zur Ganztagsbetreuung gibt, die für die Eltern und Kinder sowie für den Staat durchaus vorteilhafter sind. von Jürgen Liminski Die meisten Mütter wollen gar nicht voll erwerbstätig sein Die Geburtenrate zu steigern ist der heimliche - wegen der politischen Korrektheitshysterie in Deutschland allerdings nicht laut ausgesprochene - Wunsch von Politik und Wirtschaft. Frauen sollen in Betrieben arbeiten und dennoch Kinder bekommen. Das brauche man für Wirtschaft und Sozialsysteme. Die vielen Formen der Betreuung, die die Politik anbietet, sind deshalb, um es etwas polemisch zu formulieren, oft nicht viel mehr als Programme zur Selbstverwirklichung von Eltern, genauer von Frauen. Noch genauer von Frauen mit dem umgekehrten Nora-Komplex, die Flucht in einen außerhäuslichen Erwerbsberuf. Aber ist das wirklich der Wunsch der Mehrheit, wie uns Politik und Wirtschaft glauben machen möchten? Handelt es sich wirklich um Investition in die Zukunft oder nur um Zukunftsalpträume à la Orwell oder Huxley? Nach allen Umfragen in Deutschland, Österreich, aber auch in Frankreich und in skandinavischen Ländern äußern junge Eltern eine starke Präferenz, ihre Kleinstkinder selbst zu betreuen. Eine Befragung deutscher Mütter durch das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Anfang 2001 ergab, daß nur fünf bis sieben Prozent der westdeutschen Mütter, die in Partnerschaft leben, mit Kindern unter sieben Jahren auf ihre volle Erwerbstätigkeit setzen. In Ostdeutschland wollen nur noch 17 bis 24 Prozent der dort lebenden Mütter für sich und ihren Mann einen Vollzeitjob. In Deutschland beläuft sich die Frauenerwerbsquote auf 61 Prozent. Das sind überwiegend die Frauen ohne Kinder, mittlerweile fast ein Drittel und bei Akademikerinnen an die vierzig Prozent, die lebenslang kinderlos bleiben. Das sind ferner Frauen, deren Kinder aus dem Haus sind und Frauen mit Kindern unter sieben Jahren, bei ihnen liegt der Anteil der Teilzeitarbeit bei über zwei Drittel. Daher auch die Zahlen des Nürnberger Instituts. Sicherlich ist die Erwerbsquote von Frauen und auch von Müttern in Skandinavien höher als in Deutschland, meist zwischen 70 und 80 Prozent, obwohl man auch hier genauer hinschauen sollte. So ist zum Beispiel der Anteil der Teilzeitarbeit bei schwedischen Müttern sehr hoch. Kein Wunder, Paare mit Kindern sind, zumindest in Dänemark und Schweden, mehr oder weniger gezwungen, beide erwerbstätig zu sein. Bei Steuer- und Abgabenquoten von bis zu 65 Prozent ist ein angemessener Lebensstandard für Familien mit Kind(ern) mit einem Durchschnittseinkommen praktisch nicht machbar. Sicher, die Geburtenrate ist in allen skandinavischen Ländern höher als in Deutschland. In Schweden ist sie allerdings innerhalb von zehn Jahren von 2,14 auf 1,5 Kinder pro Frau abgesackt, was zeigt, daß es auch bei flächen- deckenden Ganztagseinrichtungen keine Garantie für relativ hohe Geburtenraten gibt. In Deutschland wird nun genau in diese Richtung argumentiert. Es lasse sich zeigen, heißt es, daß Länder mit einer höheren Erwerbsquote von Müttern auch höhere Geburtenraten aufwiesen. Diese Behauptung ist wie ein Axiom, aus ihm leitet man die Notwendigkeit einer besseren Vereinbarung von Familie und außerhäuslicher Erwerbsarbeit ab. Wie eine Monstranz wird das Vereinbarkeitsdogma in jeder Diskussion vor Kameras und Mikrofone getragen, und in der Prozession marschieren alle Parteien mit, nicht hintereinander, sondern in einer Phalanx von Amazonen und alten Schlachtrössern. Und wie sei die höhere Erwerbstätigkeit für Mütter machbar? Durch die (angebliche) Existenz flächendeckender öffentlicher oder öffentlich bezuschußter Ganz- tagseinrichtungen für Kinder ab dem vierten Lebensmonat bis zur Einschulung und auch danach. Vier Milliarden Euro sollen nun dafür investiert werden. Hier wird übrigens die Prioritätenordnung der rotgrünen Bundesregierung sichtbar: Erst der Beruf, dann das Kind. Aber es sollte umgekehrt sein. Der Beruf muß sich dem Kind anpassen. Genau darüber läuft übrigens seit ein paar Monaten in den USA, wo es auch flächendeckende Betreuungseinrichtungen gibt, eine heiße Debatte - das Buch "Creating a life - professional woman and the quest for children" (etwa: Persönliche Lebensplanung zwischen Berufsfrau und Kinderwunsch) von Sylvia Ann Hewlett hat offenbar einen tiefsitzenden Zentralnerv getroffen. Schaut man sich das skandinavische Panorama genauer an, ergibt sich ein sehr differenziertes Bild der Betreuungssituation. Zunächst: Der Eigenbeitrag der Eltern zur Betreuung ihrer Kinder spielt eine viel größere Rolle, als unsere Luftraum erobernden - nicht über dem Irak, sondern über Kinderbetten, wohlgemerkt - Familienpolitiker offenbar wissen oder zur Kenntnis nehmen wollen. Dann: Familienpolitik und vor allem die staatlichen Leistungen zur finanziellen Absicherung von häuslicher und außerhäuslicher Betreuungszeit haben in Skandinavien einen sehr viel höheren Stellenwert - gemessen an den zur Verfügung gestellten staatlichen Finanzmitteln - als in Deutschland. Mit anderen Worten: Es wird gerade für die sensible Zeit der Betreuung von Kleinkindern bis zur Erreichung des Kindergartenalters sehr viel mehr staatliches Geld ausgegeben. Schließlich: Skandinaviens Kinder haben mehr von ihren Eltern, auch von ihren Vätern. Zum Finanziellen: Es gibt eine Lohnersatzleistung, Elterngeld genannt, in praktisch allen nordischen Staaten. Sie liegt bei circa 80 Prozent des letzten Einkommens (bei einer Höchstgrenze von 2.650 Euro in Schweden). Dieses Elterngeld wird in Schweden und Norwegen ein Jahr, in Finnland neun Monate und in Dänemark mindestens sechs Monate mit verschiedenen Verlängerungsoptionen gezahlt. Diese hohe Lohnersatzleistung ist auch die Haupterklärung für die höhere Beteiligung von Vätern am Elternurlaub in Skandinavien. Ein zusätzlicher Anreiz für Väter ist ferner, daß der sogenannte Vätermonat, wenn er vom Vater nicht in Anspruch genommen wird, in Schweden und in Norwegen seit einigen Jahren ersatzlos entfällt. Die Rotgrünen werden so lange mit ihrem Väterprogramm keinen durchschlagenden Erfolg haben, solange sie nicht bereit sind, für eine Abkehr von den lächerlich niedrigen 300 Euro Erziehungsgeld zugunsten eines deutlich höheren Erziehungsgeldes (in Richtung auf ein existenzsicherndes Erziehungseinkommen) zu plädieren. Aber danach sieht es nicht aus. Man ergeht sich oberflächlich noch in den Träumen von einem Berliner Büllerbü: Alle sind glücklich, am glücklichsten sind die Frauen in den Betrieben. Allerdings handelt es sich eher um Berliner Ammenmärchen. Nach zwölf Monaten Elterngeld erhalten schwedische Mütter oder Väter im Elternurlaub weitere drei Monate einen Tagessatz von 6,50 Euro (also knapp 200 Euro monatlich). Diese Garantiesumme von 60 Kronen pro Tag erhalten ferner Studenten/-innen, Arbeitslose und Nichterwerbstätige maximal 15 Monate lang statt des hohen Elterngeldes. Darin steckt freilich eine Diskriminierung gegenüber nichter- werbstätigen Frauen mit Kind(ern). Immerhin, diese Diskriminierung, die in Deutschland stillschweigend und wie selbstverständlich hingenommen wird, war in Teilen des politischen Spektrums in Schweden schon immer hoch umstritten. Seit 2002 ist nun folgende Regelung in Kraft: Studenten/-innen, Arbeitslo- se und Nichterwerbstätige, die ein Kind bekommen, erhalten in den zwölf Monaten, in denen Erwerbstätige eine Lohnersatzleistung erhalten, nicht mehr nur eine Garantiesumme von 6,50 Euro pro Tag, sondern das doppelte, nämlich 13 Euro, und ab 2004 sogar 180 Kronen, also 20 Euro. Auf den Monat umgerechnet sind das fast 600 Euro Erziehungsgeld. Das gilt sogar noch drei Monate weiter, also 15 Monate lang - wohlgemerkt, für Erziehende, die vor der Geburt ihres Kindes nicht erwerbstätig waren. Diese (für deutsche Verhältnisse) massive Steigerung des bisher stiefmütterlich behandelten Erziehungsgeldes für "Hausfrauen", die es nach Auskunft von politischer und fachlicher Seite angeblich gar nicht mehr gibt, bedeutet einen Paradigmenwechsel der familienpolitischen Grundpositionen auch der regierenden Sozialdemokraten. Es ist kein Almosen von Vater Staat, sondern eine Anerkennung der Erziehungsleistung. Finnlands Förderungen sind Anreiz für häusliche Betreuung Finnlands Familienpolitik wird in deutschen Debatten im allgemeinen nicht erwähnt - zu Unrecht. Spätestens seit Pisa hätte man sich intensiver damit beschäftigen müssen. Finnland verfügt tatsächlich über ein ungewöhnlich differenziertes System zur finanziellen Förderung von Zeiten der Kinderbetreuung. Nach Ablauf des bezahlten Mutterschutzes gibt es - wie in allen anderen nordischen Ländern - das Elterngeld, in Finnland neun Monate lang. Das Elterngeld liegt - in Abhängigkeit von der Höhe des Einkommens - zwischen 45 und 65 Prozent des letzten Einkommens. Im Anschluß daran gibt es verschiedene Förderungsangebote des Staates. Eltern, die eine Betreuung ihrer Kinder durch dritte Personen wünschen, können entweder einen Betreuungsplatz in staatlichen oder privaten Einrichtungen nachfragen, sich eine anerkannte Tagesmutter suchen oder selbst mit anderen Eltern eine Betreuungslösung organisieren. In jedem Fall bietet der Staat finanzielle Hilfe an. Eltern, die nach der Phase des Elterngeldes ihre Kinder weiter ganz oder zeitweise zu Hause erziehen wollen, erhalten ein Kinderbetreuungsgeld bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres ihres jüngsten Kindes. Diese Leistung wird überproportional von Familien mit mehr als einem Kind in Anspruch genommen. Pro Kind liegt das Familiengeld für häusliche Betreuung bei 421 Euro (Stand 2002) monatlich. Die Besonderheit des finnischen Familiengeldes für häusliche Betreuung ist, daß auch für weitere Kinder zwischen drei und sieben Jahren eine (geringere) Leistung gewährt wird, solange das jüngste Kind noch nicht drei Jahre alt ist. Darin unterscheidet sich die finnische Regelung vom norwegischen Betreuungsgeld. Letztlich ist die staatliche Förderung der Betreuung weiterer Kinder unter sieben Jahren ein Anreiz für Familien, die häusliche Betreuungsform zu wählen, wenn sie es so wollen. Es gibt also in Finnland ganz und gar nicht eine Abkehr von staatlicher Förderung familiärer Betreuung von Kleinkindern. Heute machen die Eltern nur bei 45 Prozent der Kinder von ihrem Recht auf einen Betreuungsplatz außer Haus Gebrauch. Die meisten Ein- bis Zweijährigen werden nach wie vor zu Hause betreut. Erst in der Gruppe der Sechsjährigen geht die große Mehrheit in den Kindergarten. Denn dort können Sie gleichzeitig eine Vorschulerziehung erhalten. Zu Dänemark nur eine Bemerkung. Seit 1994 garantiert der dänische Staat Eltern einen Betreuungsplatz für alle Kinder im Alter von ein bis fünf Jahren. Die rechtliche Garantie gibt es auch in Deutschland, aber dort wie hier ist die Nachfrage bis heute höher als das Platzangebot. Entsprechend gibt es in vielen Gemeinden Wartelisten. Nun haben die Gemeinden in Dänemark die Möglichkeit, Eltern, deren Kind keinen Betreuungsplatz erhält, ein ergänzendes Betreuungsurlaubsgeld zu gewähren. Dieser Zuschuß kann maximal bei 4.600 Euro pro Jahr (Stand '98) liegen. In Norwegen ist am 1. August 1998 ein Betreuungsgeld eingeführt worden, das an Eltern von ein- und zweijährigen Kindern gezahlt wird, für die die Eltern keinen Platz in einer Kinderkrippe in Anspruch nehmen. Das Betreuungsgeld beläuft sich auf 3.000 norwegische Kronen oder 425 Euro monatlich und wird maximal 24 Monate gezahlt. Hintergrund dieser Maßnahme sind Klagen von Eltern gewesen, die ihr Kleinkind selbst zu Hause erziehen wollen. Sie sahen sich gegenüber jenen Familien ökonomisch benachteiligt, die für ihre Kinder einen Krippenplatz in Anspruch nehmen. Die Höhe des Betreuungsgeldes entspricht genau der Höhe des staatlichen Zuschusses für einen Betreuungsplatz in einer Kinderkrippe. Das Betreuungsgeld kann auch mit Krippenbetreuung kombiniert werden. Wird etwa eine Teilzeitbetreuung in einer Kinderkrippe benötigt, so wird das Betreuungsgeld entsprechend gekürzt. Auch hier wieder der Grundzug skandinavischer Familienpolitik: flexibel und pragmatisch. In Deutschland dagegen ist man starr und ideologisch. Die Einführung des Betreuungsgeldes in Norwegen kommt Forderungen nach mehr Wahlfreiheit für Eltern, die in der familienpolitischen Debatte Europas in immer mehr Ländern eine wachsende Rolle spielt, entgegen. Es ist in erster Linie Sache der Eltern zu entscheiden, wie ihr Kind erzogen werden soll. Oft haben sie aber keinen echten Entscheidungsspielraum, wenn der Staat - insbesondere im zweiten und dritten Lebensjahr der Kinder - nur eine Variante, nämlich die Betreuung der Kinder in Tageseinrichtungen, fördert. Das war bis vor wenigen Jahren so in allen nordischen Ländern, und es war so in der DDR. Aber statt daß Deutschland sich an den neuen Gegebenheiten in Skandinavien orientiert, diskutiert man sich in eine DDR-light hinein. In Skandinavien entstand eine Gegenbewegung der Eltern, die die häusliche Erziehung ihrer ein- und zweijährigen Kinder der außerhäuslichen Betreuung in Tageseinrichtungen vorziehen. Der überwiegende Teil dieser Eltern konnte auch in Norwegen diesen Wunsch nicht realisieren, weil die Familien den Einkommensverlust, der mit der Entscheidung eines der Elternteile für die häusliche Kinderbetreuung verbunden gewesen wäre, nicht verkraftet hätten. Die Einführung des Betreuungsgeldes in Norwegen erweitert nun die reale Wahlfreiheit von Eltern bei ihrer Entscheidung über die Erziehungsform. Sie müssen jetzt nicht die staatlich hoch subventionierte Betreuung ihres Kleinkindes in einer Tageseinrichtung wählen, sondern sie können sich jetzt auch für die häusliche Betreuung entscheiden. Zumindest steht dieser Entscheidung ein Gegenwert von 425 Euro monatlich gegenüber. Erreicht wird damit mehr Leistungsgerechtigkeit für alle Eltern. Die Betreuungsgeldreform wurde von der konservativ-christlichen Regierungskoalition, die bis Oktober 1999 im Amt war, eingeführt. Maßgeblich hat sich dafür die Christlich-Demokratische Partei, die unter anderem den Regierungschef und die Familienministerin stellte, eingesetzt. Für sie war entscheidend, daß Familien damit instand gesetzt würden, mehr Zeit dem Familienleben und insbesondere der Betreuung und Erziehung der eigenen Kinder widmen zu können. Mit der kombinierten Förderung von häuslicher und institutioneller Kinderbetreuung sowie mit gleichzeitig erhöhten Staatszuschüssen für Kindertageseinrichtungen sollte ein Signal dafür gesetzt werden, daß in den Augen der Regierung beide Betreuungsformen positive Wahlentscheidungen darstellen, daß es aber Sache der Eltern ist, die Entscheidung für ihr Kind selbst zu treffen. Das Betreuungsgeld - ganz oder gekürzt - erhalten heute ungefähr 80 Prozent aller Eltern von Kindern im Alter zwischen ein und drei Jahren. Bisher haben sich die Befürchtungen der Opponenten dieser Maßnahme nicht bestätigt. Das Betreuungsgeld hat keinen Auszug der Kinder aus den Einrichtungen bewirkt. Der Anteil der ein- und zweijährigen Kinder mit Krippenbetreuung lag 1996 bei 34 Prozent, wobei in dieser Zahl auch die Teilzeitbetreuung enthalten ist. Kinder als Zukunfts-Kapital der Gesellschaft Für die Regierungskoalition - insbesondere die federführende christliche-demokratische Partei - war die Betreuungsgeldreform und die damit verbundene kontroverse Debatte auch ein wichtiger Teil der gesellschaftlichen Wertediskussion. Ziel war nicht nur, Geld für Familien zu mobilisieren, sondern verbesserte Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß mehr Menschen wirklich Zeit haben, Familie zu leben, und daß mehr Eltern kleiner Kinder Zeit und Geld haben, sich als Eltern gegenüber ihren Kindern zu betätigen. Im erdölreichen Norwegen werden die Erdölvorräte oft als wichtigstes Zukunftserbe des Landes bezeichnet. Die Befürworter eines Betreuungsgeldes für Eltern sehen dagegen die Kinder und Jugendlichen als das entscheidende Zukunftskapital der Gesellschaft an. Wenn hier in die Zukunft investiert wird, wird die Gesellschaft in Zukunft reiche Ernte einfahren. Dieser Gedanke ist grundlegend, nicht nur für Norwegen, auch für Deutschland. Frauen machen fast die Hälfte aller Erwerbstätigen in Norwegen aus. Die durchschnittliche Wochenerwerbsarbeitszeit von Frauen liegt allerdings um acht Stunden niedriger als die der Männer. Sehr viele Frauen haben also einen Teilzeitjob, um Kinder und Familie bewältigen zu können. In den Chefetagen sind allerdings auch in Norwegen die Frauen rar. Nur 3,5 Prozent der Führungskräfte in norwegischen Unternehmen sind Frauen. Das ist weniger als in den USA, Großbritannien oder auch Spanien. Auf der mittleren Führungsebene beträgt der Anteil der Frauen 7,5 Prozent, auch das eine - gemessen am frauenpolitischen Image Skandinaviens bei deutschen Frauen- und Familienpolitikerinnen - "beschämend" niedrige Zahl. Frankreich, die Fakten: Die Frauenerwerbsquote, Fetisch der deutschen Diskussion, liegt bei Frère Jacques, unserem wichtigsten Nachbarn, niedriger als in Deutschland und zwar bei 57 Prozent im Vergleich zu 61 Prozent in Deutschland. Die höhere Geburtenrate von 1,87 Kindern pro Frau korreliert also nicht immer mit einer höheren Frauenerwerbsquote, wie es heute in der deutschen Diskussion suggeriert wird. Sie wird auch nicht gesteigert durch eine erhöhtes Angebot an Betreuungseinrichtungen. Denn in Frankreich ist dieses Angebot dank der Ecoles Maternelles seit Jahrzehnten flächendeckend, wenigstens für die Altersgruppe ab zwei, drei Jahren. Und auch Horte und Krippen gibt es in weit größerer Zahl als in Deutschland. "Die Familie leistet einen sozialen Dienst" Nein, die höhere Geburtenquote, mit Irland die höchste in der EU, hat mit der Subjektförderung zu tun. In Deutschland frönt man dem sozialistischen Prinzip der Objektförderung. Man investiert in Gebäude, Institute - der Staat soll's richten. In Frankreich tut man beides. Man fördert die Einrichtungen und gibt den Eltern Geld in die Hand, man fördert auch Subjekte. Das geschieht auf vielerlei Weise, direkt und indirekt. Die familienpolitischen Maßnahmen enthalten das klassische Repertoire, also Kindergeld, Wohngeld, Mutterschaftsurlaub, Baby-Rentenjahre, bis hin zu spezifisch französischen Maßnahmen wie Familiensplitting, Familienzulagen, Geburtsbeihilfen, Geburts- und Adoptionsurlaub, Schulbeginnhilfe, Alleinerziehendenhilfe, Haushaltsgründungsdarlehen, Umzugsprämie oder Renovierungsprämie. Insgesamt sind es rund drei Dutzend einzelne Posten, plus Sondermaßnahmen. Der familienpolitische Diskurs bei Frère Jacques ist geprägt von staatlichem und privatem Interesse. De Gaulle schreibt in seinen Memoiren: "Von allen Investitionen ist die Erhöhung der Bevölkerungszahl in Frankreich zweifellos die wichtigste". Er schrieb diesen Satz und handelte danach, als Frankreich in Trümmern lag und sich nach deutschem Denken familienpolitische Maßnahmen eigentlich nicht leisten konnte. Aber das ist eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Der Diskurs ist übrigens älter als de Gaulle und hat Tradition. Schon vor mehr als hundert Jahren, am 28. Oktober 1898 forderte der Abgeordnete Lemire in der Nationalversammlung die Einführung eines Familiengeldes mit dem Argument der Leistungsgerechtigkeit. Er sagte: "Das, was ich von der Kammer fordere, nenne ich weder Hilfe noch Entschädigung. Denn eine Hilfe wird bei einem drängenden oder vorübergehenden Bedarf gewährt, und eine Entschädigung erhält man für einen Verlust. Eine Familie zu haben, bedeutet jedoch, weder einen Unfall noch einen Schaden erlitten zu haben. Eine Zuwendung wie das Familiengeld ist eine Gegenleistung für einen Dienst. Die Familie leistet einen sozialen Dienst." Kaum vorstellbar, solches im Bundestag mal zu hören. Es gäbe einen Aufschrei und die sattsam bekannte, dümmliche Frage: Wer soll das bezahlen? Dem kann man nur mit der Weisheit des verstorbenen Franz Josef Strauß antworten: Es ist unsinnig, einem sterbenden Volk gesunde Haushalte zu hinterlassen. In einer Studie im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands ist schon vor Jahren festgestellt worden, daß rund 40 Prozent aller Krankheiten psychosomatisch sind, also eine mitverursachende psychische Komponente haben und daß von dieser psychischen Komponente rund fünfzig Prozent in Zusammenhang mit familiären Zerwürfnissen steht. Mit anderen Worten: Ein Fünftel aller Krankheitsfälle wäre vermeidbar, wenn das Familienleben der Betreffenden intakt wäre oder gewesen wäre. Müssen wir uns da nicht fragen, ob wir mit der Ganztagesbetreuung à la DDR massenhaft künftige Krankheitsfälle produzieren? Um es positiv zu formulieren: Wer Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit schenkt, der schenkt Liebe und das ist die beste Medizin für die Seele. |