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08.03.03 / Er lässt die Puppen tanzen / Der Königsberger Modellbauer Horst Dühring schuf auch liebenswerte Kleinplastiken

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. März 2003


Er lässt die Puppen tanzen
Der Königsberger Modellbauer Horst Dühring schuf auch liebenswerte Kleinplastiken

Zum Verreisen im Kopf gibt's für den gebürtigen Königsberger und Wahl-Herforder nicht nur Bücher. So fährt er nicht ausschließlich mit seinen Modellen aus Pappe und Balsaholz, sondern auch mit seinen auf wundersame Weise sonderbaren Puppenplastiken heim zu seiner alten Heimatstadt Königsberg, als wäre sie noch am Leben, als fände er sie wieder, unversehrt und unverloren. Und wenn dieses vor Kreativität berstende, dem alten Königsberg und seinen Originalen zärtlich zugetane Multitalent den Untergang seiner Geburtsstadt auf surrealistische Manier im Bild festhält, dann sind diese Bilder wie gemalte Alpträume seiner Jugend. "Sie sind ein Stück Vergangenheitsbewältigung," sagt Horst Dühring selbst.

Der als Sänger ausgebildete, inzwischen pensionierte Musik- und Kunsterzieher, Jahrgang 1930, hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, seine Geburtsstadt zu dokumentieren: Modelle ihrer Gebäude (im Maßstab 1:200) und Miniaturen von Kunstschätzen und Möbelstücken (im Maßstab 1:30 oder 1:10). Dafür wurde ihm vom ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker die Verdienstmedaille des Verdienstor- dens der Bundesrepublik Deutschland verliehen, in Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste. Die Königsberg-Ausstellung, hieß es damals, sei die gelungenste Stadt- repräsentation, die man jemals gesehen hat. Unbedingt erwähnenswert ist, daß er mit Hilfe seiner Modelle aus Balsaholz nicht nur Königsberg oder dem historischen Berlin zu einer Auferstehung verholfen hat, sondern auch einer ganzen Reihe geliebter Königsberger Originale, aus Gießharz modellierte Typen wie beispielsweise "Der höhere Schüler" und der andächtig in der Nase popelnde "Lorbaß", "Marjellchen mit Kullerreifen", "Lola Klamotta", "Eine vom Steindamm". Allen voran die liebevoll karikierend gestaltete Auguste Oschkenat aus Enderweitschen per Kieselischken: Prototyp des Dienstmädchens in Königsberg, "Königsberger Ehepaar (zwei typische Königsberger Altchen) und "Morita- tensänger", komplett mit Leierkasten. Inspiriert wurden diese zum Schmunzeln einladenden Kleinplastiken von den fiktiven Briefen der Auguste Oschkenat aus der Feder des Dr. Alfred Lau, damals Intendant des Reichssenders Königsberg.

Da Dühring unter dem Sternzeichen Schütze geboren ist, befindet er sich ständig auf der Suche nach neuen Ufern der Kreativität und hält gern mit Hilfe seiner Puppenphantasien den Mitmenschen den Narrenspiegel vor, schießt auch mit Vorliebe hin und wieder ein paar zeit- oder sozialkritische Pfeile ab. Um zu provozieren oder um zum Nachdenken anzuregen - ja, um zu verletzen - nie!

Filigran sind viele der Kirchen und Türme, die er als maßstabgerechte Modelle rekonstruiert. Filigran sind auch viele seiner Puppenträume und beispielsweise seine ungewöhnliche Weihnachtskrippe in Schreinform, als dreigeschossige Pyramide und als Rokoko-Orgelmotiv. Wie kommt es, daß ein Künstler wie er, Maler, Zeichner, Bildhauer, Modellbauer in einer Person, gern die Puppen tanzen läßt, will ich wissen. Der Mann mit dem kauzigen Schnurrbart und dem verschmitzten, an Heinz Rühmann erinnernden Lächeln aus hellwachen, blauen Augen hat auch darauf eine Antwort. "Ich sehe sie als willkommenen Ausgleich zu meinen Miniaturbauten und Miniaturaltären und Orgeln, ebenfalls en miniature." Der Mann mit den flinken Fingern, der als König des Modellbaus gilt, beschreibt sich selbst als Eidetiker. "Ich gehöre zu den Menschen, die sich Dinge so plastisch vorstellen können, als seien sie real. Ich besitze so etwas wie ein fotografisches Gedächtnis." Und schließt er daheim in seinem Atelier die Augen und schaut nach innen, schon fließen die Bilder von Traumgebilden, laufen ab wie ein Film: ein filigraner "Kleiner Prinz", eine grazile, schwerelos schreitende Märchenfigur im roten Gewand, eine an Art déco erinnernde Figurine, ein Narrenspiegel, eine Dame mit Einhorn, ein Dämon, dessen Hand spielerisch die Weltkugel umfaßt. Bei der Dame mit Einhorn handelt es sich um eine 80 Zentimeter hohe Plastik, die zusammen mit dem Stab und der Traube einen Meter mißt. "Unter Strom", erklärt er, "sieht sie ganz toll aus, denn sie ist eine Art Leuchte." Er sagt, seine Puppengeschöpfe lassen sich fabelhaft mit Möbeln kombinieren. Auch der jadegrüne, einen Pfeil abschießende Zentaur gehört zu seiner Menagerie. Mit Menschen oder skurrilen Tieren bevölkert, besitzen seine gemalten wie auch seine modellierten "Landschaften" eine beinahe ausnahmslos illusorische Qualität, als wollten sie bestätigen, daß es noch eine andere Welt gibt. Dühring will, daß wir die Bilder wahrnehmen, die in seinem Kopf, in seiner Tagtraumwelt herumspuken. Sie werben mit mal leiser, mal lauter Stimme, aber immer mit leuchtenden Farben um die Aufmerksamkeit des Betrachters, bitten ihn, sich einzulassen auf eine Puppenwelt voller Überraschungen.

Was Dührings bevorzugte Materialien angeht, so hat er früher für die Herstellung von Masken gern Tonal benutzt. "Weil es nicht reißt und sich wie Holz ‚benimmt'", erinnert er sich. Seine Puppenplastiken fertigt er heutzutage aus Gips, Fimo und efaplast, einer schnell trocknenden Masse. Am Anfang steht immer das Skelett aus Eisendraht, das mit Gipsbinden umwickelt wird, bevor er die Form mit Gips oder anderem Material ummantelt. Beine werden als Vollplastik gestaltet, die Brust aus Gipsbinden, die über einen Grundkern aus feuchtem Zeitungspapier gewickelt werden. Was ihn momentan reizt, ist die Herstellung dünnwandiger Hohlplastiken. Seine Salome ist ein gutes Beispiel. Er rührt seinen Gips selbst an. Manchmal trägt er eine Schicht ziemlich flüssig auf und glättet sie später in akribischer Handarbeit mit Hilfe von Glaspapier. Alle Requisiten und jedes Schmuckstück entstehen mit viel Liebe zum Detail unter seinen geschickten Händen, nach eigenem Design. Auch seine historischen Bernstein- und Goldschmiedearbeiten für seine Königsbergsammlung sind Beweis für seinen Drang nach Perfektion.

Stationen auf seinem Lebensweg waren nicht nur Königsberg, seine Vaterstadt, sondern auch Eisenach, Weimar, Berlin, Dortmund und Frankfurt. Fremd fühlt er sich in Herford, seiner Wahlheimat, längst nicht mehr, aber er wird wohl immer ein Baum mit zwei Wurzeln bleiben. Warum auch nicht? Schließlich schlagen sie für ihn eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. All das, mit dem die alten Königsberger Wurzeln ihn genährt hatten, es kommt noch immer zum Tragen, in mancher Puppenplastik, mit jedem Pinselstrich. Eva Masthoff

... Marjellchen mit Kullerreifen: Liebevoll modelliert, Königsberger Originale: Lorbaß und ...