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08.03.03 / Unter Präsident Thomas Jefferson hielt das Interventionsprinzip Einzug in die Außenpolitik der USA

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. März 2003


Der Beginn einer Tradition
Unter Präsident Thomas Jefferson hielt das Interventionsprinzip Einzug in die Außenpolitik der USA

Die ganze Welt ist US-Interessensphäre

Die Zeichen stehen auf Krieg. Der US-Präsident George W. Bush ist fest entschlossen, den Irak "um der Sicherheit der Nation und des Weltfriedens willen zu entwaffnen". Den bevorstehenden Feldzug erklärt er zu einem Kreuzzug, einer Art heiligem Krieg gegen den Diktator Saddam Hussein. Tatsächlich geht es auch um Öl, um Macht - und um die Ehre. Bushs Verhalten hat viele Entsprechungen in der US-amerikanischen Geschichte, denn seit 200 Jahren ist das Interventionsprinzip ein fester Bestandteil der US-Außenpolitik. Seitdem ist kaum ein Jahrzehnt vergangen, in dem die US-Regierung nicht in irgendeinem Teil der Welt mit militärischen Mitteln in die Geschicke einer Region eingegriffen hat. Denn von Anbeginn ihrer Existenz haben die Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur den amerikanischen Kontinent, sondern den gesamten Globus als ihrer Interessensphäre zugehörig betrachtet. Wann und wo immer ihre Interessen oder die eines Verbündeten bedroht waren, haben sie eingegriffen, wenn nötig auch mit militärischer Gewalt.

Nach dem US-amerikanischen Selbstverständnis hat die Nation noch nie einen Krieg verloren. Der Vietnam-Krieg wird deshalb gern als "Polizeiaktion" umgedeutet. Er ist neben dem sogenannten Bürgerkrieg zwischen den Konföderierten und den Vereinigten Staaten von Amerika das große Trauma der US-amerikanischen Geschichte. Doch während der eine Konflikt ein Bruderkrieg war, dessen Blut die Nation geeint und gestärkt hat, wirkte die Schmach des ruhmlosen Abzugs aus Indochina noch lange nach. Mit dem Sieg im ersten Golf-Krieg wurde diese Scharte in den Augen vieler US-Amerikaner ausgewetzt. Der Vater des jetzigen Präsidenten hatte einen gefährlichen Despoten, der es gewagt hatte, die selbsternannte Schutzmacht von Demokratie und Freiheit sowie die Weltgemeinschaft herauszufordern, mit militärischen Mitteln in die Schranken gewiesen und der US-Nation ihre Würde endgültig zurückgegeben. Unverständlicherweise hat sich Bush senior damals damit begnügt, Saddam Hussein eine vernichtende militärische Niederlage beizubringen. Obwohl es keiner großen Anstrengungen dazu mehr bedurft hätte, hat er darauf verzichtet, das irakische Terrorregime zu beseitigen und das Land zu besetzen. Damit war zwar ein großer militärischer Sieg errungen, die Demütigung, die Saddam Hussein dem Präsidenten und der Nation durch die brüske Zurückweisung aller Friedensbemühungen zugefügt hatte, aber noch nicht beseitigt. Fast hat es heute den Anschein, als wolle der Sohn das zu Ende bringen, was der Vater unvollendet gelassen hat. Denn kaum etwas weckt den militärischen Ehrgeiz der US-Amerikaner mehr als eine erlittene Schmach.

Der erste, der das schon vor 200 Jahren zu spüren bekam, war ebenfalls ein orientalischer Despot, der Statthalter des Osmanischen Reiches in Tripolis, Yussuf Karamanli. Sein Herrschaftsbereich gehörte mit Algier und Tunis zu den sogenannten Barbareskenstaaten, die seit dem 15. Jahrhundert Teil des Osmanischen Reiches waren. Karamanli bestieg den Thron von Tripolis im Jahre 1795. Mit ihm kam ein Mann an die Macht, der als unberechenbar galt. Karamanli konnte einerseits weltoffen, freundlich und zu seinen europäischen Gästen außerordentlich charmant sein, andererseits aber konnte ihn ein falsches Wort in Wut versetzen und ihn zu einem gefühllosen Mörder werden lassen. Um an die Macht zu gelangen, hatte er sogar vor den Augen der Mutter einen seiner Brüder umgebracht. Sein Reich hatte ungefähr die Grenzen des heutigen Libyen. Die Küste maß knapp 2.000 Kilometer, an ihr lagen die Provinzen Tripolitanien mit der Hauptstadt Tripolis im Westen und Cyreneika mit der Hauptstadt Derna im Osten. Die dritte Provinz lag 700 Kilometer weiter in der Wüste.

In seinem Land regierte Karamanli mit harter Hand. Schon bei geringsten Vergehen drohten Verstümmelungen oder der Tod. Der Sultan ließ ihm freie Hand, solange er seinen jährlichen Tribut zahlte und treue Gefolgschaft leistete. Die Europäer in Tripolis kannten seine Launen und arrangierten sich mit ihm, waren die Verhältnisse in den anderen Barbareskenstaaten doch noch schlimmer.

Das Land warf wenig ab, und auch der Sklavenhandel und die jährlichen Pilgerzüge brachten kaum Geld ins Land. Lukrativ war einzig und allein die Piraterie. Länder, die unbehelligt in der Levante Handel treiben wollten, mußten Verträge mit Karamanli schließen und Schutzgeld zahlen. Großbritannien und Frankreich unterhielten sogar eigene Konsulate, die Pässe ausstellten und gefangene Landsleute freikauften. Für die Schiffe kleinerer Länder, die keine Schutzverträge abschließen konnten, bedeutete die Fahrt in dieses Seegebiet zumindest ein großes Risiko, oftmals sogar eine Fahrt in die Sklaverei oder den Tod. Jedes Land, das kein Schutzgeld zahlte, wurde von den Barbareskenstaaten als Kriegsgegner angesehen. Deshalb nannten sich die sozusagen in staatlichem Auftrag fahrenden Freibeuter nicht Piraten, sondern Korsaren. Wurde ein Schiff aufgebracht, entschied Karamanli persönlich über das Schicksal der Mannschaft.

Unter diesen Praktiken hatten auch die USA zu leiden, deren Schiffe seit der Mitte des 18. Jahrhunderts das Mittelmeer befuhren. Deshalb entsandte auch Washington seine Konsuln in die Barbareskenstaaten. Doch James Cathcart, ein ehemaliger Seemann, war in Tripolis nicht gern gesehen. Für Kara-manli war es viel lohnender, die US-amerikanischen Schiffe zu über- fallen als einen Vertrag zu schließen. Schließlich handelte er den US-Amerikanern eine Zahlung von 18.000 US-Dollar pro Jahr und ein "Konsulargeschenk" in Höhe von 4.000 Dollar ab. Damit blieben die US-Schiffe zunächst unbehelligt. Doch dann fand Karamanli heraus, daß die anderen Barbareskenherrscher weit höhere Zahlungen aus Washington erhielten. So verlangte er im Frühjahr 1801 ein Schutzgeld in Höhe von 250.000 Dollar und eine zehnprozentige Sondervergütung. Cathcart lehnte ab. Daraufhin ließ Karamanli das Konsulat stürmen und den Konsul und dessen Familie gefangennehmen. Das kam einer Kriegserklärung an die USA gleich.

Doch die erst wenige Jahre alte US-Marine war noch nicht schlagkräftig. Sie mußte sich mit der Durchführung einer Seeblockade begnügen. Dieser Versuch scheiterte kläglich. Vom Sommer 1801 an versuchten Marineeinsatzkommandos drei Jahre lang ohne Erfolg, Kara-manli zu zermürben und auszuhungern. Im Oktober 1803 kam der größte Fehlschlag. Die Fregatte "Philadelphia" unter dem Kommando von Kapitän zur See William Bainbridge lief bei der Verfolgung eines tripolitanischen Kriegsschiffes dicht unter der Küste auf Grund. Daraufhin beschossen feindliche Kanonenboote das US-Schiff, das seine Waffen wegen der starken Schlagseite nicht einsetzen konnte. Die Takelage wurde zerstört, ein Entkommen unmöglich. Die 306 Mann starke Besatzung mußte sich ergeben. Karamanli ließ das Schiff bergen und im Hafen von Tripolis wieder flottmachen. Hier lag die Fregatte nun als Bedrohung für die US-Kriegsschiffe. Die "Philadelphia" war zur Schande für die junge US-Marine geworden.

Eine gewaltsame Wegnahme des Schiffes war ausgeschlossen, seine Zerstörung im feindlichen Hafen dagegen nicht vollkommen unmöglich. Der junge Leutnant Stephen Decatur stellte ein Marineinfanteriekommando aus 80 Freiwilligen zusammen und trainierte mit seinen Männern wochenlang, wie man ein großes Schiff bei Dunkelheit lautlos entert und wo man Spreng- und Brandsätze anbringt.

Am späten Abend des 16. Februar 1804 war es soweit. Mit zwei Schiffen segelte das Kommando im Schutz der Dunkelheit in die Bucht von Tripolis. Das Fluchtschiff "Siren" blieb in sicherem Abstand zurück, während die "Intrepid", eine gekaperte tripolitanische Ketsch, den inneren Hafen der Stadt erreichte. Der ortskundige maltesische Lotse konnte die Besatzungen zweier Wachboote mit einer List täuschen, so daß das Enterkommando ungehindert ans Ziel kam. Als der Alarmruf der Wachen erscholl, war es schon zu spät. Die Korsaren wurden niedergemacht, und nach nur fünf Minuten ging das US-amerikanische Enterkommando wieder von Bord. Unter wildem Feindfeuer gelang ihm die Flucht. Im Hafen brannte derweil die "Philadelphia" bis auf die Spanten nieder. Die Ehre der US-Navy war wiederhergestellt.

Aber Captain Bainbridge und seine Mannschaft waren noch immer gefangen. Die Offiziere lebten recht komfortabel, während die Männer als Sklaven gehalten wurden. Karamanli forderte eine Million Dollar als Lösegeld. Im Juli 1804 griffen US-amerikanische Seestreitkräfte Tripolis an, aber sie kamen nicht in den Hafen. Denn Karamanli hatte 25.000 Mann unter Waffen und eine den Angreifern ebenbürtige Flotte. Doch die US-Amerikaner gaben nicht auf. Am 3. August griff eine US-Flottille mit dem Flaggschiff "Constitution" und zwölf Briggs, Schonern und Kanonenbooten Tripolis an. Ihr Chef, Commodore Edward Preble, war fest entschlossen, dem "Pascha von Tripolis", der für ihn nichts als ein "verräterischer Schurke" war, die militärische Stärke der USA zu demonstrieren. Nach der Beschießung des Schlosses und der Küstenbatterien bot er Kara-manli Verhandlungen an. Der zeigte sich aber wenig beeindruckt und forderte eine Zahlung von 150.000 Dollar und einen jährlichen Tribut. Die Beschießung ging weiter. Am 5. September unternahm Preble einen erneuten Angriff. Diesmal hatte sich der listige Soldat und Seemann eine besondere Überraschung ausgedacht. Er ließ den Bauch der "Intrepid" randvoll mit Schießpulver füllen und in der Nacht in den Hafen von Tripolis segeln. Hier sollte das Schiff inmitten der feindlichen Flotte zur Explosion gebracht werden und die Schiffe vernichten. Doch die "Intrepid" wurde trotz der Dunkelheit bemerkt und von den Küstenbatterien in Brand geschossen. Sie flog in die Luft, noch bevor sie ihr Ziel erreicht hatte. Alle 13 Mann der Besatzung kamen ums Leben.

Preble wurde seines Kommandos enthoben. Doch auch sein Nachfolger, Samuel Barron, hatte keinen Erfolg. Von See aus war dem tripolitanischen Pascha offensichtlich nichts anzuhaben. Der ehemalige Marineoffizier und US-amerikanische Konsul in Tunis, William Eaton, machte nun den Vorschlag, den im ägyptischen Exil lebenden älteren Bruder Karamanlis in Derna als Gegenherrscher zu inthronisieren und mit ihm auf Tripolis zu marschieren, um den Despoten zu stürzen. Doch Regierungsberater, die die Verhältnisse im Land und die Mentalität der Tripolitaner kannten, zweifelten am Erfolg eines Herrschers, der mit christlicher Hilfe gegen einen moslemischen Pascha an die Macht kommen würde. Doch Eaton, der in der Region schon so manche Krise für sein Land gemeistert hatte, blieb beharrlich. Schließlich erhielt er den Auftrag, seinen Umsturzplan auszuführen.

Als selbsternannter General stellte Eaton in Kairo und Alexandria eine bunte Streitmacht aus 500 Söldnern zusammen. Auf Wunsch Ahmed Karamanlis sollten sie nicht per Schiff, sondern auf dem Landweg nach Derna marschieren. Am 5. März setzte sich die Truppe in Marsch. Vor ihr lagen 800 Kilometer Wüste. An der Spitze ritten US-amerikanische Marineoffiziere in vorbildlicher Ordnung, ihnen folgten US-Artilleristen, dann griechische Söldner und hinter ihnen ein verwegener Kriegerhaufen. Der Marsch wurde zu einer Tortur. Es gab keine Karten, Lebensmittel waren knapp, und eine Verständigung in dem Vielvölkergemisch war kaum möglich. Nach über sieben Wochen stand Eaton endlich vor Derna. Unter dem Unterstützungsfeuer der US-Kriegsschiffe "Argus" und "Hornet" griff er die Stadt an. Der Gouverneur von Derna floh und überließ die Stadt den Angreifern. Eaton wehrte alle Gegenangriffe ab. Er triumphierte.

Doch sein Sieg blieb ohne Bedeutung. Denn die US-Regierung, die eine weitere Niederlage unbedingt vermeiden wollte, hatte unterdessen Verhandlungen mit Yussuf Kara-manli aufgenommen. Sie bot ihm 60.000 Dollar für die Freilassung von Captain Bainbridge und seiner Mannschaft und den Abzug der US-Truppen aus Derna. Unter dem Eindruck der US-Militärpräsenz und des drohenden Umsturzes willigte Karamanli ein und verzichtete zugleich auf alle zukünftigen US-amerikanischen Schutzgeldzahlungen. Endlich war der Krieg nach vier Jahren zu Ende.

Damit standen Ahmed Karamanli und Eaton auf verlorenem Posten. Bei Nacht und Nebel retteten sie sich mit den christlichen Offizieren und Soldaten auf die "Constitution", die zu ihrer Evakuierung eingetroffen war. Ihre arabischen und beduinischen Mitstreiter überließen sie ebenso wie Ahmeds Familie, die in Tripolis als Geiseln gehalten wurde, der Willkür des Gegners. Damit erlitten sie das gleiche Schicksal wie die Schiiten und die Kurden 1991.

Saddam Hussein könnte der nächste sein

Dieser erste Krieg der USA gegen einen orientalischen Despoten und sein islamisches Staatsgebilde wird bis heute in der Traditionspflege der US-Marines lebendig gehalten. Er war zugleich der erste bewaffnete Konflikt, den die USA außerhalb des eigenen Landes führten. So demonstrierte die noch junge US-Nation schon früh, daß sie eine Demütigung nicht hinnehmen und einen Aggressor beharrlich bekämpfen würde. Diese Erfahrung wird wohl auch Saddam Hussein machen müssen.

Jan Heitmann

Bild: Thomas Jefferson: Von 1801 bis 1809 Amerikas dritter Präsident