29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.03.03 / Der Irak-Krieg verstößt gegen das Völkerrecht

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. März 2003


Der selbsternannte Weltpolizist
Der Irak-Krieg verstößt gegen das Völkerrecht
von Alfred M. de Zayas

Das Völkerrecht ist keine Mathematik. Zwar sind die internationalen Normen, die Rechtsprechung und die Mechanismen ausreichend klar. Verträge wie die UN-Charta müssen eingehalten werden. Pacta sunt servanda. Aber was passiert, wenn eine imperiale Macht diese internationale Rechtsordnung grob mißachtet? Gibt es überhaupt Sanktionen, oder muß die zivilisierte Welt die alte Maxime "Macht ist Recht" einfach hinnehmen? Kann es "business as usual" nach einem US-Angriff gegen den Irak geben?

Die völkerrechtliche Lage ist klar: Artikel 2, Absatz 3, der UN-Charta besagt: "Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel ... bei." Artikel 2, Absatz 4, stipuliert: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete ... Androhung oder Anwendung von Gewalt."

Nach Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Völkerrechtler ist das Gewaltverbot, spätestens seit den Nürnberger Prozessen, zwingendes Völkerrecht beziehungsweise jus cogens. Gewalt darf nur in zwei Situationen angewandt werden, nämlich wenn der Sicherheitsrat gemäß Artikel 42 der Charta so beschließt oder im Fall der Selbstverteidigung (Artikel 51).

Die UN-Generalversammlung hat am 14. Dezember 1974 die Resolution 3314 verkündet, in welcher die Definition der Aggression enthalten ist. Ohne Zweifel stellt ein amerikanischer Präventivkrieg gegen den Irak eine Aggression dar.

Artikel 5 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 nennt das Verbrechen der Aggression unter jenen Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegen. Zwar ist eine einschlägige Bestimmung über die Definition dieses Verbrechens durch die USA stets untergraben worden, jedoch dürfte die Aggressionsdefinition der Generalversammlung als Richtlinie gelten. Außerdem könnte die Generalversammlung gemäß Artikel 96 der UN-Charta ein Rechtsgutachten vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag anfordern, um das Offensichtliche festzustellen, nämlich daß dieser Angriff ohne spezifische Genehmigung des Sicherheitsrates und, sogar wenn die Mechanismen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten genutzt worden sind, als "Aggression" im Sinne von Resolution 3314 zu bewerten ist. Gewiß liefern die Resolutionen 678 (1990), 687 (1991) und 1441 (2002) absolut keine Legimitation für eine militärische Aktion im Jahre 2003. Eine derartige Interpretation der alten Resolutionen ist völkerrechtlich unhaltbar und mit der UN-Charta nicht in Einklang zu bringen.

Jetzt ist die Zeit gekommen, eine Dringlichkeits-Sonder-Sitzung der Generalversammlung einzuberufen, wobei ihre Kompetenzen gemäß Resolution 377 ("Uniting for Peace") voll ausgenützt werden sollten.

In einem Krieg gegen den Irak müssen die Regeln der Haager und Genfer Konventionen respektiert werden. Besonders wichtig sind die Regeln zum Schutze der Zivilbevölkerung sowie die Trennung von militärischen von zivilen Zielen. Nur militärische Ziele dürfen angegriffen werden, wobei zu bemerken ist, daß "Kollateralschäden", wie sie 1991 im Golfkrieg vorkamen, wo sie etwa 50.000 Ziviltote beinhalteten, nur äußerst beschränkt hingenommen werden können, gemäß dem Prinzip der "Proportionalität". Gewiß stellten die anglo-amerikanischen Terror-Bombardierungen deutscher Bevölkerungszentren im Zweiten Weltkrieg, die schätzungsweise 600.000 Ziviltote verursachten (Jörg Friedrich, Der Brand), delicta juris gentium, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Auch die Regeln über die Behandlung von Kriegsgefangenen sind streng zu beachten. Die skandalöse Situation der afghanischen Kriegsgefangenen in Guantánamo ist mit Recht von den Vereinten Nationen, vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes und von Amnesty International wiederholte Male verurteilt worden. Wenn in einem Krieg gegen den Irak die Regeln des Kriegsvölkerrechts gebrochen werden, so sind Artikel 146 der IV. Genfer Konvention von 1949 und Artikel 85 des ersten Zusatzprotokolles von 1977 besonders einschlägig. Danach müßten die Parteien ihre eigenen Soldaten wegen Kriegsverbrechen zur Verantwortung ziehen, unter anderem aufgrund "gegen die Zivilbevölkerung oder einzelne Zivilpersonen gerichteter Angriffe". Wenn sie dies nicht tun, wäre an Artikel 7 und 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zu erinnern, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit näher definieren.

Zwar gibt es noch keinen Hauptankläger in Den Haag, und nicht alle Staaten haben das Statut von Rom ratifiziert, vor allem die USA nicht. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit gilt aber das Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit (universal jurisdiction), so daß auch ein deutsches Strafgericht zuständig für die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem Irak-Krieg wäre! Ähnliches gilt für die Verbrechen im Jugoslawien-Krieg. Hinzu kommen die allgemein gültigen Regeln der Menschenrechte. Die USA, Großbritannien, Spanien und Irak sind alle Vertragsparteien des Internationalen Pakts bürgerlicher und politischer Rechte. Artikel 20 des Paktes stipuliert: "Jede Kriegspropaganda wird durch Gesetz verboten." Artikel 6 stipuliert: "Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben ... Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden."

Der Autor dieses Beitrages studierte Rechtswissenschaften in Harvard, arbeitete als Anwalt im Büro Cyrus Vance und 22 Jahre für die Vereinten Nationen, zuletzt als Sekretär des UNO-Menschenrechtsausschusses. Es wäre schwierig, keine Verletzung von Artikel 20 durch die Vereinigten Staaten festzustellen, zumal die Regierung selbst für den Krieg hetzt, den wachsenden Widerstand im Volke ignoriert, Gegner des Krieges diffamiert oder intimidiert. Außerdem sind die Desinformation in vielen US-Zeitungen und -Zeitschriften sowie die ständige Propaganda für den Krieg schockierend.

Was könnte dagegen unternommen werden? Da die meisten europäischen Staaten sowie auch die USA, Großbritannien und Spanien gemäß Artikel 41 des Paktes erklärt haben, daß sie die Zuständigkeit des Ausschusses zur Entgegennahme und Prüfung von Staatenbeschwerden anerkennen, könnten zum Beispiel Deutschland und ein Konsortium von anderen Europäischen Staaten eine Beschwerde gegen die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Spanien dem UNO-Menschenrechtsausschuß zur Prüfung vorlegen.

Staatenbeschwerden wären auch im europäischen System möglich gemäß Artikel 33 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, allerdings nur gegen die beteiligten europäischen Staaten.

Im UNO-System können auch Individuen gemäß dem Fakultativprotokoll Individualbeschwerden zur Prüfung durch den UNO-Menschenrechtsausschuß einreichen allerdings nicht gegen die Vereinigten Staaten oder Großbritannien, die die Zuständigkeit des Ausschusses Annahme für solche Beschwerden bisher nicht anerkannt haben, wohl aber gegen Spanien. Jedoch könnte gemäß Artikel 34 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Individualbeschwerde gegen Großbritannien beziehungs- weise gegen Spanien eingereicht werden, und zwar wegen Verlet-zung der Artikel 2 und 3 der Konvention.

Wozu diente dies? Es ist klar, daß wenn sich die USA vom Sicherheitsrat nicht beeindrucken lassen, sie jegliche Feststellungen durch den Internationalen Gerichtshof und den Menschenrechtausschuß genauso mißachten werden. Immerhin wäre eine deutliche Feststellung der rechtlichen Lage durch gerichtliche und quasi gerichtliche Instanzen sinnvoll. Dies würde dazu dienen, um das Völkerrecht zu behaupten und spätere finanzielle und andere Ansprüche leichter bestimmen zu können.

Es gäbe auch andere Wege, die demokratische Stimme der Mehrheit der Menschen der Welt gegen den Krieg und das Verlangen nach Achtung des Völkerrechts zu unterstreichen, so zum Beispiel durch die Einsetzung eines "Peoples"-Tribunals so wie seinerzeit des Russell-Tribunals, während des Vietnam-Krieges, des "Tribunal Permanent des Peuples" (Paris 1984) und des Golfkrieg-Tribunals, 1992 vom ehemaligen US-Justizminister Ramsey Clark einberufen, das feststellte, daß während des erstes Golfkrieges viele zehntausend Zivilisten im Irak völkerrechtswidrig getötet wurden.

In der Irak-Krise ist die völkerrechtliche Lage eindeutig. Der US-Angriff ist völkerrechtswidrig. Ebenso klar ist der Anspruch der Regierung Bush, das Völkerrecht ignorieren zu können, und zwar ohne Konsequenzen. Hier haben wir es mit der Frage der Impunität beziehungsweise Straflosigkeit zu tun. Mehr als 100 amerikanische Juristen hatten Präsident Bush vor den strafrechtlichen Konsequenzen eines illegalen Krieges gewarnt. Auch Blair und Aznar sind gewarnt worden.

Der chilenische General Augusto Pinochet ist bereits wegen seiner Verbrechen als Chile-Diktator vor Gericht gekommen, und wäre er nicht so alt und kränklich, wäre er auch verurteilt und bestraft worden. Dies liefert einen Präzedenzfall für die Verfolgung anderer Regierungschefs, jedenfalls nachdem sie keine Amtsimmunität mehr genießen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Entscheidung des Belgischen Obersten Gerichtes vom 12. Februar 2003, welches die gerichtliche Untersuchung des Falles Sabra und Shatilla gegen Amos Yaron und Ariel Sharon genehmigte, hinzuweisen.

Vor 57 Jahren sagte der amerikanische Hauptankläger in Nürnberg, Robert Jackson, bezüglich des Verbrechens gegen den Frieden: "Lassen Sie es mich deutlich aussprechen: Dieses Gesetz hier wird zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt. Es schließt aber ein, und muß, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder anderen Nation verdammen, nicht ausgenommen jene, die hier zu Gericht sitzen."

Dem ist nichts hinzuzufügen. Oder doch: Wenn Bush und Blair auch möglicherweise nicht vor Gericht gestellt werden, werden sie doch immer in die Geschichte als verlogene Politiker eingehen, vielleicht sogar als Verbrecher.

 

Alfred M. de Zayas, US- Staatsbürger, Mitglied der Republikanischen Partei, Wähler Bushs 2000. Gastprofessor des Völkerrechts an verschiedenen Universitäten in Amerika und Europa. 22 Jahre hoher des UN-Beamter, ehemaliger Se- kretär UN-Menschenrechts- ausschusses, Dr. iur. (Harvard), Dr. phil. (Göttingen), Mitglied im International PEN, Autor von "Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen" (Ullstein Taschenbuch), "Heimatrecht ist Menschenrecht" (Universitas)