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29.03.03 / "Bilder im Wechselstrom": Die Ausstellung in Leipzig zeigt Vielfalt der Museumslandschaft

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. März 2003


Ungeahnter Reichtum
"Bilder im Wechselstrom": Die Ausstellung in Leipzig zeigt Vielfalt der Museumslandschaft

Selbst eingefleischte Museumsfreunde werden kaum alle Museen "ihrer" Stadt kennen, zu umfangreich ist oft das Angebot. So besitzt die Stadt Leipzig, in der die Ostpreußen bereits zweimal zu ihren Deutschlandtreffen zusammenkamen, eine besonders reichhaltige Museumslandschaft. Eine Ausstellung will nun die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte der Sammlungen aufzeigen. Unter dem Titel "Bilder im Wechselstrom" werden im Museum der bildenden Künste, Grimmaische Straße 1-7, noch bis zum 6. April Exponate aus 25 unterschiedlichen Leipziger Museen und Sammlungen gezeigt (dienstags und donnerstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, mittwochs 13 bis 20 Uhr, montags geschlossen, an Feiertagen 10 bis 18 Uhr). Ausgehend von jeweils einem Werk aus der Sammlung des Museums für bildende Künste versucht man, Beziehungen zu anderen Objekten, Kunstwerken oder Dokumenten herzustellen. "Bilder im Wechselstrom", so die Verantwortlichen, "macht die im Kunstwerk enthaltenen Verweisfelder sinnlich erfahrbar und demonstriert zugleich, wie dieses Verfahren auf die Wahrnehmung des Ausgangswerkes zurückwirkt." Der Besucher ist eingeladen, auf eine Entdeckungsreise in die Welt der Leipziger Sammlungen zu gehen und dort Erstaunliches zu erfahren.

Die Ausstellung ist in 14 Kapitel, sprich Räume gegliedert. Die Themen reichen von Liebe und Kindheit über Tier und Natur bis zu Politik, Gewalt, Hexerei und Wahnsinn. Wie unterschiedlich diese Themenbereiche aufgefaßt werden können, zeigt die Beteiligung so verschiedener Sammlungen wie des Bach Archivs Leipzig, des deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Bücherei Leipzig, des Sächsischen Apothekenmuseums Leipzig, des Zoos Leipzig oder des Schulmuseums - Werkstatt für Schulgeschichte.

Hier nun ein Gang durch einige, nicht immer willkürlich ausgewählte Räume: In die Europäische Traumwelt Orient entführt Raum 3 mit einem Gemälde von Stanislaus Batowski-Kaczor, "Befreiung der Tochter aus türkischer Gefangenschaft", aus dem Jahr 1899. Diesem Bild in der Tradition des Orientalismus steht eine Radierung des Ostpreußen Lovis Corinth gegenüber: "Der Harem" aus dem Jahr 1914, aber auch Kunsthandwerk wie ein Helm mit Nackenschutz (Persien, 16. Jahrhundert) oder eine kunstvoll bemalte Fliese (Persien, 14. Jahrhundert), ebenso ein Theaterzettel zur Leipziger Aufführung von Mozarts "Entführung aus dem Serail" am 2. Oktober 1784.

Im Mittelpunkt des Raums 5 steht das Tier, genauer gesagt die "Königin der Löwen". Eine Bronze von August Gaul (1869-1921) zeigt eine "Gro- ße stehende Löwin", entstanden 1899-1901. Mit diesem Werk gelang dem Bildhauer, dessen "Kämpfende Wisente" 1912 in Königsberg aufgestellt wurden, der öffentliche Durchbruch. Gaul zeigte das Tier erstmals als ebenbürtiges Geschöpf neben dem Menschen; zuvor waren Tiere in der offiziellen Denkmalskunst nur als "Begleiter" von Herrschergestalten aufgefallen. Der großen Figur mit den Augen aus Bernstein waren zwei kleinere Fassungen vorausgegangen. Der Bronzeguß wurde von dem Sammler Eduard Arnhold erworben und im Garten seiner Villa am Wannsee aufgestellt. Sie überstand die "Arisierung" der Sammlung und gelangte in die Heimatstadt des Künstlers nach Hanau. Ein posthumer Bronzeguß aus dem Jahr 1940 wurde für den Sammler Paul Geipel angefertigt und ist heute im Besitz des Museums der bildenden Künste Leipzig. Die vielschichtige Sicht auf das Tier in der Kunst wird deutlich beim Betrachten der weiteren Werke in diesem Raum, darunter auch eine Zeichnung von Rembrandt. Doch auch die Exponate aus dem Naturkundemuseum (ein präparierter Löwenschädel) und aus dem Ägyptischen Museum der Universität Leipzig (Löwenamulett aus Kieselkeramik 664-332 v. Chr.) oder eine Fotoreihe aus dem Leipziger Zoo, die 125 Jahre Löwenzucht lebendig werden läßt, runden das Bild eindrucksvoll ab.

1847 malte Adolph v. Menzel im Auftrag des Kasseler Kunstvereins das Bild "Gustav Adolf empfängt seine Gemahlin vor dem Schloß zu Hanau". Es sollte ursprünglich als Skizze dienen für ein Gemälde, das allerdings nie ausgeführt wurde. Zu diesem Bild schrieb Menzel einmal erläuternd: "Ich hielt es für angemeßen, auch einmahl, nachdem die Kunst bis jetzt fast ausschließlich gestrebt hat, den um Deutschland unsterblich verdienten von der Heroenseite zu zeigen, die in ihm nicht weniger schöne menschliche Seite zur Anschauung zu bringen." So menschlich das Herrscherpaar auf diesem Gemälde gezeigt wird, so sehr rückt das grauenvolle Geschehen des 30jährigen Krieges dabei in den Hintergrund. Ein Geschehen, das allerdings beim Betrachten der weiteren Exponate wieder in den Vordergrund drängt, sieht man doch Szenen aus diesem Krieg in einer Holzstichfolge oder den Kupferstich eines unbekannten Künstlers zum Tod des Königs in der Schlacht bei Lützen 1632. Grauenvoll wird's auch in Raum 10, wo die Büste "Die Verdammnis" von Balthasar Permoser zu sehen ist. Entsetzen und Furcht, schreckliche Qualen - all das wird durch diesen Schrei der Verzweiflung offenbar, betrachtet man die Büste aus dem frühen 18. Jahrhundert. Untermalt wird dieser Schrecken noch durch so makabre Exponate wie Hinrichtungszettel aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, durch Halseisen und Fußfessel, die das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig zur Verfügung stellte.

Liebe und Haß, wie nah liegt das beieinander, und so wurde Raum 13 (!) mit dem Titel "Sex and Crime" betitelt. Im Mittelpunkt steht ein besonders eindrucksvolles Gemälde von Lovis Corinth: "Salome II" aus dem Jahr 1900. In der Münchner Sezession war das Bild durchgefallen, während es in der Berliner Sezession bejubelt wurde. Mit dieser drastischen Darstellung erlangte Corinth seinen ersten großen Erfolg und wurde nicht zuletzt dadurch angeregt, nach Berlin zu ziehen. Dr. Jan Nicolaisen, einer der Kuratoren der Ausstellung, erläutert das Bild: "Johannes der Täufer wurde inhaftiert, weil er eine Liebesaffäre zwischen dem Fürsten Herodes und seiner Schwägerin Herodias angepran- gert hatte. Als Salome, die Tochter der Herodias, für einen Tanz eine Belohnung von Herodes erbitten durfte, forderte sie, angestiftet von ihrer Mutter, das Haupt von Johannes dem Täufer - und erhielt es. ... Corinth schuf herrliche Nachbarschaften: Der noch warme Kopf des Propheten liegt in einer blauen Glasschüssel von großer Leuchtkraft, die sich gegen die Fleischfarben der Körper absetzt. Salome zieht mit edelsteingeschmück-ten Fingern ein Augenlid des Toten auf, was böte sich ihm für ein Anblick, wenn er ihn genießen könnte."

"Die Geschichte spielt im Orient und in Europa", so Nicolaisen weiter. "Der Künstler hat Details wie Schwert, Kostüme und den Pfauenfächer nach realen Vorbildern studiert ... Es gibt auffällig viele geöffnete Augen auf diesem Bild, das letztlich auch, wörtlich verstanden, vom An-Sehen der Kunst handelt. Der Henker trägt die Gesichtszüge Corinths, er ist ein Selbstporträt des Künstlers. Das Schwert ist somit auch sein Pinsel, an dem die rote Farbe klebt. Der Künstler hat sich entblößt, um von den nackten Tatsachen der Malerei zu erzählen. Keine Kunst ohne Körper und ihr Begehren. Museen, Orte der Kunst, sind auch Theater und Tempel dieses Begehrens." Liebe, Begehren, aber auch Kriminalität kann man durchaus in Verbindung bringen mit dem Thema des 14., des letzten Raums der Ausstellung: "Wein ist Venusmilch", so der Titel einer Zeichnung von Nikolaus Knüpfer aus der Zeit um 1650. Neben Exponaten zum Thema Frohsinn und Geselligkeit sind auch solche zu finden, die das Thema Alkoholismus aufgreifen. Besonders eindrucksvoll da ein Plakat mit einem Motiv, das Käthe Kollwitz entworfen hat. Vermutlich vom Deutschen Guttempler-Orden in Auftrag gegeben, schuf sie eine Kreidelithographie mit einem Aufruf zur "Alcoholgegnerwoche" im Dezember 1922. Eine verzweifelte Frau schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und blickt furchtsam zu einem Mann hinauf, der, in sich zusammengesunken, mit verdrießli- chem Gesicht vor sich hin stiert. - Ein Exponat aus der Lehrsammlung Pathologie der Universität Leipzig - eine Leber mit Leberzirrhose-Befund - ist gewiß nicht sonderlich schön anzusehen, rundet jedoch die negative Seite des Bildes ab. Um allerdings bei der Sonnenseite des Themas zu bleiben: auch Krüge aus dem 14./15. und sogar aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. sowie Römer oder Weinamphoren und Bacchantenszenen sind in diesem Raum zu sehen. - Eine derart vielschichtige Sicht auf den Reichtum ihrer Museen hat wohl kaum eine Stadt bisher präsentieren dürfen. Ganz gewiß, daß der eine oder andere Besucher der Ausstellung "Bilder im Wechselstrom" sich angeregt fühlt, auch einmal die anderen unterstützenden Museen und ihre Sammlungen aufzusuchen - soweit sie für das Publikum zugänglich sind. Silke Osman

Lovis Corinth: Salome II (Öl auf Leinwand, 1899/1900) Foto: MdbK, Gerstenberger

August Gaul: Große stehende Löwin (Bronze, 1901)

Foto: Museum der bildenden Künste Leipzig, D. Kluge