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29.03.03 / Russlanddeutsche im Ghetto

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 29. März 2003


Russlanddeutsche im Ghetto
Ansehen und Integration der Aussiedler bedürfen dringend der Verbesserung
von Götz Eberbach

Die Rußlanddeutschen, mit denen ich seit zehn Jahren gearbeitet habe (ich gebe im nördlichen Ostpreußen den zuwandernden Rußlanddeutschen und Russen Deutschunterricht im Rahmen des "Schulvereins für die Rußlanddeutschen in Ostpreußen), sollen im folgenden Text weder verteufelt noch verherrlicht werden. Sie sind Menschen wie andere auch, die allerdings als Volksgruppe auf ein sehr hartes, ein unverdient hartes Schicksal zurückblicken können. Der folgende Aufsatz soll auch die Rußlanddeutschen nicht daran hindern, in die Heimat ihrer Vorfahren zurückzukehren. Sie haben meiner Ansicht nach ein Recht darauf, in ihre alte Heimat zu kommen, wenn sie es wollen und wenn sie in den Ländern der ehemaligen UdSSR keine Chance sehen, sich als Deutsche eine vernünftige Existenz aufzubauen. Deutschland ist, wie schon der Name sagt, das Land der Deutschen, auch der Rußlanddeutschen, und dabei soll es bleiben.

Aber die Rußlanddeutschen sollen und müssen wissen, was sie in Deutschland erwartet und was sie tun können und tun sollen, um Gefahren möglichst zu vermeiden. Und die "Bundesdeutschen", besonders die "Sinngeber" (Lehrer, Journalisten, Pfarrer) sollen endlich das Schicksal ihrer rußlanddeutschen Landsleute zur Kenntnis nehmen und die Hilfe für die Rußlanddeutschen nicht als "Deutschtümelei" abtun. Hier sind besonders die Kirchen gefordert, aber die gleichen Gemeinden, die sich für alle Arten von Ausländern stark machen und ihnen sogar "Kirchenasyl" gewähren, die gleichen Pfarrer, die am liebsten von unseren lieben islamischen Mitchristen sprechen würden, die oft genug vom Islam als einer "abrahamitischen Schwesterreligion" sprechen, haben sehr wenig Interesse an den Rußlanddeutschen, die meist aus einer christlichen Tradition kommen.

 

Seit dem Ende des Krieges, verstärkt seit dem Besuch Bundeskanzler Adenauers in Moskau und dann besonders seit dem Ende der UdSSR drängen die Rußlanddeutschen zurück in die alte Heimat ihrer Vorfahren. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte man die ihnen einst von den Zaren feierlich gegebenen Versprechungen eine nach der anderen zurückgenommen (zum Beispiel die Befreiung vom Wehrdienst "auf ewige Zeiten" - sehr wichtig für die Mennoniten!), im Ersten Weltkrieg wurden sie verfolgt und entrechtet, es gab "Deutschenpogrome", zum Teil wurden sie schon damals auch deportiert (die Wolhyniendeutschen!). In der Sowjetunion dann oft als "Kulaken", aber auch als gläubige Christen verfolgt, erreichte die Verfolgung der Rußlanddeutschen ihren Höhepunkt durch die pauschale Verurteilung als "Verräter" 1941 nach Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges und damit verbunden durch die Deportation aus der angestammten Heimat nach Sibirien und in den turkestanischen Raum, vor allem nach Kasachstan. Die arbeitsfähigen Männer wurden in die "Arbeitsarmee", praktisch in Konzentrationslager gebracht, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen (zwölf bis 16 Stunden pro Tag!) bei schlechtester Ernährung arbeiten mußten. Jahrelang, auch noch nach dem Krieg, waren die Rußlanddeutschen entrechtet, durften in der Öffentlichkeit nicht deutsch sprechen, ihre Kinder konnten jahrelang keine Schule besuchen, später nur fünf oder sechs Jahre, das Studium war ihnen auch später noch jahrelang verboten, und selbst noch in der Breschnew-Zeit durften Rußlanddeutsche (wie auch Juden!) nicht im Ausland, auch nicht im befreundeten Ausland studieren.

Zwar wurde die Verurteilung der Volksgruppe später aufgehoben, und es wird heute zugegeben, daß der Vorwurf des "Verrats" keinerlei reale Grundlage hatte, doch war es wohl so, daß man die Rußlanddeutschen (wie andere Volksgruppen auch) als Sündenbock für die schweren Niederlagen der angeblich unüberwindlichen Roten Armee brauchte. Aber dies Bekenntnis machte die Toten nicht wieder lebendig (man nimmt an, daß etwa ein Drittel der Rußlanddeutschen an dieser Verfolgung zugrunde ging), und der enteignete Besitz wurde nicht zurückgegeben, sie durften auch - im Gegensatz zu anderen deportierten Völkern, zum Beispiel den Tschetschenen - nicht in die Heimat zurückkehren, und das später von Jelzin gegebene Versprechen, sie in die angestammten Siedlungsgebiete zurückkehren zu lassen und die Wolgarepublik wiederherzustellen, wurde, wie so viele Versprechungen Jelzins, nicht eingehalten. Dazu kam die wirtschaftliche Krise Rußlands, die schlechten Berufsmöglichkeiten und die unsicheren politischen Verhältnisse nach dem Ende des Kommunismus. All das veranlaßte immer mehr Rußlanddeutsche (und natürlich auch solche, die nun plötzlich ihre rußlanddeutschen Vorfahren entdeckten), nach Deutschland zu drängen.

Waren die ersten rußlanddeutschen Aussiedler in den 50er und 60er Jahren in ein Land gekommen, das im Zeichen des "Wirtschaftswunders" dringend Arbeitskräfte jeder Art brauchte, so kommen sie heute in ein Land mit hoher Arbeitslosigkeit, in das aber aufgrund seiner hohen Sozialleistungen trotzdem Menschen aus aller Herren Länder, nicht zuletzt aus dem ehemaligen Ostblock, drängen. Die Rußlanddeutschen werden deswegen heute nicht mehr mit offenen Armen aufgenommen - dabei ist die Arbeitslosigkeit in Rußland, besonders im "Oblast Kaliningrad" höher als in Deutschland, die Situation der Arbeitslosen ist schlechter.

Dazu kommt, daß manche Kreise in der Bundesrepublik zwar Deutschland zum Einwanderungsland erklären, Asylanten aus aller Welt aufnehmen und von einer "multikulturellen Gesellschaft" schwärmen, aber merkwürdigerweise gerade bei den Rußlanddeutschen finden, sie würden uns die Arbeitsplätze wegnehmen (Dieter Spöri, SPD) und ihre Aufnahme sei überhaupt "Deutschtümelei" (so Oskar Lafontaine, SPD) und daß sowohl von Rheinland-Pfalz wie von Niedersachsen Gesetzentwürfe vorgelegt wurden, die die Rückkehr der Rußlanddeutschen nach Deutschland praktisch unmöglich machen sollten. Die gleichen Kreise, die verhindern, daß etwa persische Rauschgiftdealer ausgewiesen werden, weil ihnen in ihrer Heimat die Todesstrafe drohe, die gleichen Gesetzgeber, die zu verantworten haben, daß der berüchtigte "Mehmet" nun wieder nach Deutschland darf, wollen also die Zuwanderung unbescholtener Rußlanddeutscher verhindern oder mindestens erschweren. Während früher die Rückwanderung von sowjetischer Seite erschwert wurde, wird sie heute von seiten der Bundesregierung (schon der alten CDU-FDP-Regierung!) erschwert, zum Beispiel durch die Sprachprüfung, für die zum Beispiel die Rußlanddeutschen aus Ostpreußen mehrere tausend Kilometer weit nach Moskau fahren müssen, oder durch eine Überprüfung der deutschen Abstammung, die sehr an die "Volksliste" unseligen Angedenkens erinnert. Auf diese Weise hat man die Zuwanderung erschwert (man sagt dazu heute "verstetigt"), während zum Beispiel russische Juden all diese Probleme und Schwierigkeiten nicht haben, wenn sie nach Deutschland kommen wollen.

Auf der anderen Seite darf man nicht übersehen, daß sich heute unter den Rußlanddeutschen, besonders unter den jüngeren, manche befinden, die nur den Eltern zuliebe auswandern, die kein Wort Deutsch sprechen und auch wenig Willen zeigen, Deutsch zu lernen. Oft sind es auch Kinder aus deutsch-russischen "Mischehen", die sich bisher als Russen gefühlt hatten. Weiter kommt dazu, daß man oft ein zu ideales Bild von Deutschland hatte. Wenn man davon hört, daß ein Arbeitsloser mit Familie unter Umständen fast 1.000 Euro bekommt, so erscheint das gegenüber russischen Verhältnissen paradiesisch. Man verkennt, daß dem auch ganz andere Preise, zum Beispiel für Mieten, gegenüberstehen. Dazu kommt auch, daß vielen Rußlanddeutschen nicht klar ist, daß Armut leichter zu ertragen ist, wenn sie weitgehend allgemein ist, wie das in Rußland vor allem auf dem Land oft der Fall ist, nicht aber, wenn man, wie in Deutschland, bei den meisten anderen einen viel größeren Wohlstand sieht.

Die Tragik der Rußlanddeutschen ist, daß sie sich oft in Rußland und in Deutschland ausgegrenzt fühlen. Für viele sind sie in Rußland eben "die Deutschen", und das heißt mindestens "keine Russen", aber öfters immer noch "die Faschisten" - in Deutschland sind sie aber "die Russen", denn wer kennt hier ihre tragische Geschichte, wer weiß denn von ihrer Verfolgung? Medien, Schulen und nicht zuletzt die Kirchen weisen immer wieder auf die Leiden in der "Dritten Welt" hin und auf die Leiden der Juden, die im NS-Regime verfolgt wurden, nur weil sie Juden waren - aber wer weiß etwas von den Leiden der Deutschen im Ausland, die oft auch nur verfolgt wurden, weil sie Deutsche waren? Weil dies alles nicht bekannt ist, werden sie oft abgelehnt und werden sie auch hier oft ausgegrenzt, und dumme junge Leute, die sich für Patrioten halten, werfen sogar Brandsätze gegen die Unterkünfte der Rußlanddeutschen (wobei in so einem Fall kein Bundeskanzler zu einem "Aufstand der Anständigen" aufruft!).

Dazu kommt, daß die Deutschkenntnisse der Zuwanderer wirklich immer schlechter werden. Die ältere Generation hatte noch deutsche Schulen besucht. Die etwas jüngeren Rußlanddeutschen hatten vor dem Krieg wenigstens noch in Gebieten gelebt, in denen Deutsch die Umgangssprache war. Aber 1941 wurde das alles anders, Deutsch war in der Öffentlichkeit verboten. Oft hatten die Rußlanddeutschen auch später dann keine Möglichkeit, Deutsch zu lernen. (Noch vor einigen Jahren wurde auch dort, wo an den Schulen Deutschunterricht erteilt wurde, dieser oft den Rußlanddeutschen verwehrt!) Kindergarten und Schule, Fernsehen und der Rundfunk waren russisch. Später wurden zwar an manchen Orten Deutschkurse für Aussiedler eingerichtet, aber nun werden die Deutschkurse aufgrund der schlechten finanziellen Lage sowohl im Herkunftsland als auch in Deutschland von seiten der Bundesregierung wieder immer mehr eingeschränkt. So wird auch den Lernwilligen - und das sind die Mehrzahl - die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft erschwert.

Heute werden die Aussiedler meist zunächst in Lagern, dann in Bereichen (zum Beispiel leerstehende Kasernen) untergebracht, wo sie "unter sich" sind, so zum Beispiel in Rastatt. Wenn aber so Hunderte oder gar Tausende von Rußlanddeutschen eng zusammen wohnen, sprechen sie natürlich nur Russisch, haben wenig Berührung mit den anderen Deutschen (die meist ihrerseits sich auch nicht sehr um die Rußlanddeutschen kümmern), sie sind also im Ghetto. Sie sind weitgehend sich selbst überlassen. Die Arbeitslosigkeit unter ihnen ist, gerade wegen der Sprachprobleme, deshalb oft sehr hoch.

Das führt dazu, daß manche junge Rußlanddeutsche nicht nur isoliert sind, sich nur in "Russendiscos" mit ihresgleichen treffen, sondern auch kriminell werden, daß sie Banden bilden, ähnlich wie das bei Ausländern, zum Beispiel Türken oder Kosovo-Albanern der Fall ist, nur daß hier das "Verständnis" der "öffentlichen Meinung" für diese "Minderheiten" und ihre Probleme sehr viel größer ist.

Natürlich wird nur eine Minderheit der jungen Rußlanddeutschen kriminell, aber in der Presse liest man oft "ein 18jähriger Aussiedler ...", oft in den gleichen Blättern, die die Nationalität anderer Krimineller verschweigen, denn man will doch "Keine Ressentiments" erzeugen und nicht als "ausländerfeindlich" gelten. Aber wenn man sie darauf hinweist, daß die Bemerkung über die Herkunft der rußlanddeutschen Straftäter dazu im Widerspruch stehe, dann hört man, daß ja die Rußlanddeutschen "angeblich" keine Ausländer seien, man dürfe also ruhig...! Sie werden so zum Prügelknaben für die multikulturellen Probleme unserer Gesellschaft, obwohl sie in Mehrzahl viel leichter zu integrieren wären als zum Beispiel Türken oder Sinti und Roma.

Es ist ein Teufelskreis: Enttäuschung, Arbeitslosigkeit und Isolierung führen zu verstärkter Kriminalität, das führt dann wieder zu verstärkter Ablehnung und Isolierung durch die Öffentlichkeit. Wer von unseren Herren der öffentlichen Meinung bemüht sich denn, die tragische Geschichte der Rußlanddeutschen bekanntzumachen? Wer kennt denn überhaupt die Probleme der deutschen Minderheiten, die bis heute die eigentlichen Verlierer des Zweiten Weltkrieges sind? Wer macht etwa das Lob des großen Russen Alex-ander Solschenizyn für die Ruß- landdeutschen bei uns bekannt? (Siehe Kasten auf Seite 19!) Und man gibt zwar große Summen aus, um auf die Probleme der Ausländer unter uns hinzuweisen und um Verständnis für sie zu werben, so gut wie nicht aber für unsere rußlanddeutschen Landsleute.

Der Durchschnittsdeutsche weiß eher etwas über die Probleme der Kurden, er weiß bestimmt von der Verfolgung der Juden und er verurteilt die Benachteiligung der Menschen anderer Nationalität oder Rasse, wie man es ihm beigebracht hat, er weiß aber in der Regel nichts davon, daß Menschen in vielen Teilen der Welt leben, die verfolgt wurden, nur weil sie Deutsche waren. Er weiß nichts davon, wie schwer es für die Rußlanddeutschen lange Zeit war, die deutsche Sprache zu lernen, ja daß man sie ihnen manchmal im wörtlichen Sinn ausgeprügelt hat.

Und manch Rußlanddeutscher will bei so viel Unverständnis in einer (falschen) Trotzreaktion diese Sprache auch nicht lernen. Er kann ja andererseits erleben, daß er bei vielen Deutschen als Russe durchaus Eindruck macht - wenn er aber "nur Deutscher" sein will, wird er uninteressant. Wenn er "Kalinka" oder "Katjuscha" singt und dazu Kasatschok tanzt - das ist prima, aber nicht "Sah ein Knab ein Röslein stehn" oder "Ännchen von Tharau".

Wer als Rußlanddeutscher nach Deutschland will, soll kommen. Aber er muß wissen, daß er es hier schwer haben wird. Viele Rußlanddeutsche werden erwidern: "Aber nicht so schwer wie hier, in Rußland, in der Ukraine, in Kasachstan!" Ich sage darauf: "Aber immer noch schwer genug!" Auf jeden Fall muß er sich bemühen, in der deutschen Gesellschaft Fuß zu fassen, und das heißt vor allem, die deutsche Sprache lernen. Er wird sich im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben nur behaupten können, wenn er die deutsche Sprache beherrscht, gut beherrscht. Er darf sich nicht isolieren und in ein rußlanddeutsches Ghetto zurückziehen. Er muß in dieser Gesellschaft der Interessenverbände auch lernen sich zu wehren und sich zu behaupten. Es sind schätzungsweise schon zwei Millionen Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland, das ist ein großes Wählerpotential. Sie müssen lernen, sich besser zu organisieren und ihre Interessen geschlossen zu vertreten. Sie sollen ihre leidvolle Geschichte erzählen und auch so Einfluß nehmen. Daneben dürfen sie ruhig ihre Traditionen pflegen, Pelmeni oder Kascha essen und Sitten und Gebräuche aus der Wolgarepublik oder der Ukraine weitergeben und genau wie die anderen Vertriebenenverbände so ihre Traditionen pflegen.

Auf der anderen Seite müssen die einheimischen Deutschen sich um mehr Verständnis für die Rußlanddeutschen bemühen. Kirchen und Schulen sollten dabei mit gutem Beispiel vorangehen! Es gibt nicht wenig Organisationen, die sich um die Asylanten, um Integration von Ausländern, um Hilfe für Ausländerkinder in den Schulen bemühen, warum nicht im gleichen Maße um Hilfe für Aussiedlerkinder? Nur weil sie keine Russen, sondern Rußlanddeutsche sind? Gerade für konservativ-nationale Kreise wäre doch hier ein lohnendes Tätigkeitsgebiet - statt im "rechten" Schmollwinkel zu sitzen, könnte man so Landsleuten helfen.

Auch die Kirchen sind hier gefordert, die meisten Rußlanddeutschen betrachten sich als Christen - aber manchmal hat man den Eindruck, daß die Kirchen heute mehr an einem "Dialog mit dem Islam" interessiert sind als an den rußlanddeutschen Mitchristen. Keinem Menschen nimmt man es übel, wenn er sich in erster Linie um die eigene Familie kümmert, warum sollte es schlecht sein, wenn man sich um die Familie kümmert, warum sollte es schlecht sein, wenn man sich um die Familie im weitesten Sinne, um das eigene Volk, bemüht? Bei den Juden ist das ganz selbstverständlich, sie haben die russischen Juden trotz aller Probleme, die es auch dort gibt, in Israel aufgenommen - können wir das nicht von ihnen lernen?

Alexander Solschenizyn über die Russlanddeutschen

"Kreuz und quer durcheinandergesiedelt und voreinander entblößt, offenbarten die Nationen ihre Merkmale, Lebensweisen, Geschmäcker und Neigungen. Ausnehmend tüchtig und arbeitsam waren unter ihnen die Deutschen. Von ihnen allen haben sie hinter dem vergangenen Leben das dickste Kreuz gemacht (was war das denn auch für Heimat an der Wolga oder am Manytsch?). Wie einst auf dem von Kaiserin Katharina geschenkten fruchtbringenden Land, so setzten sie sich jetzt auf dem von Stalin zugewiesenen kargen Boden fest, widmeten sich ihm, als wär's nunmehr für alle Zeit ihr eigen. Nicht bis zur ersten Amnestie richteten sie sich darauf ein, nicht bis zur ersten Zarengnade, sondern - für immer. 1941 blank und nackend ausgesiedelt, jedoch umschichtig und unermüdlich, ließen die Deutschen den Mut nicht sinken und schickten sich an, ebenso ordentlich und vernünftig zu werken. Wo liegt auf Erden jene Wüste, die die Deutschen nicht in blühendes Land zu verwandeln verstünden? Nicht umsonst hieß es im früheren Rußland: Der Deutsche ist wie'n Weidenbaum. Wo du ihn hinsteckst, schlägt er Wurzeln. Ob im Schacht, auf der Traktorenstation oder auf dem Staatsgut, die Natschalniks waren des Lobes voll über die Deutschen, bessere Arbeiter fanden sie nicht. Schon zu Beginn der fünfziger Jahre hatten die Deutschen - unter den übrigen Verbannten, ja, oft auch unter den Einheimischen - die besten, geräumigsten und saubersten Häuser; die größten Schweine; die milchreichsten Kühe. Ein deutsches Mädchen war eine begehrte Braut, nicht allein der Wohlhabenheit ihrer Eltern wegen, sondern weil sauber und anständig inmitten der durch und durch verlotterten Lagerumwelt." (Aus "Der Archipel Gulag", Band 3, Bern, 1974, S. 402 ff. Kapitel "Die Völkerverschickung")

Aus dieser Welt in Kasachstan und Kirgistan werden die Rußlanddeutschen wie auch die Russen durch die nun unabhängigen Moslemvölker vertrieben, gerade weil sie es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht haben, der den Neid der Kasachen, Kirgisen und vieler anderer erregt.