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05.04.03 / Der Rhetorik-Unterricht Adolf Hitlers als Bühnenstück

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. April 2003


Eine bizarr-groteske Aufführung
Der Rhetorik-Unterricht Adolf Hitlers als Bühnenstück
von Heinz Magenheimer

Es mutet grotesk, ja unwirklich an, wenn das Jahr 1932, als Adolf Hitler unmittelbar vor der Machtergreifung stand, vor den Augen der Zuschauer in Form eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses wieder zum Leben erweckt wird. Das Theaterstück "Schüler Hitler", das derzeitig in Wien über die Bühne des "Rabenhofes" läuft, beruht auf den Tagebucheintragungen des damaligen prominenten Opernsängers Paul Devrient alias Paul Stieber. Dieser hatte die seltene Gelegenheit, Hitler ein halbes Jahr lang in Rhetorik zu unterrichten. Die Aufzeichnungen Devrients, der die Dialoge ausführlich wiedergibt, liegen in einer Neubearbeitung ("Mein Schüler Hitler", Langen-Müller) mit umfang-reichen Kommentaren von Professor Dr. Werner Maser vor und haben auch als Grundlage für die Dramaturgie gedient.

Man versetze sich in den April 1932, als die NSDAP unter Hitler alles unternimmt, um als bereits stärkste Partei noch mehr Wähler zu gewinnen und endlich den politischen Durchbruch zu erzielen: Sie will den Reichskanzler oder gar Reichspräsidenten stellen. Immerhin kandidierte Hitler damals gegen Hindenburg, mußte aber bei den Wahlen eine deutliche Niederlage einstecken. "Hitler über Deutschland", das war die zugkräftige Parole, die der Parteiführer entweder in seiner Ju-52 oder mitten in Auto-Konvois oder eingekeilt in einer jubelnden Menschenmenge zeigt. Die scheinbare Omnipräsenz, die der "Führer" durch laufenden Ortswechsel, ständige Reden und den Kontakt mit begeisterten Zuhörern hervorruft, sollte zu einem äußerst wirksamen Mittel in der Propagandaschlacht werden.

Doch welch ein Hitler betritt die Bühne? Er wirkt mitgenommen, leicht verkrampft, unschlüssig und sieht sich einem Sänger gegenüber, der ihm durch seinen HNO-Arzt dringend empfohlen worden ist. Warum? Braucht er, der bereits auf dem Höhepunkt seiner Redeerfolge steht, noch Unterricht in Sprech- und Vortragstechnik? Hitler pocht auf seine Triumphe, doch muß sehr bald zur Kenntnis nehmen, daß seine Sprechtechnik nicht nur dilettantisch, sondern auch sehr gesundheitsschädlich ist. Wenn er so wei-termache, meint Devrient, der seine persönliche Eitelkeit nur schwer unterdrücken kann, werde er bald eine unheilbare Schädigung seiner Stimmbänder davontragen. Außerdem müsse er seine Atemtechnik umstellen, um sich nicht frühzeitig zu verausgaben. Der Schüler sieht schließlich ein, daß ein weiteres Fehlverhalten das Ende seiner Redner- und Politikerkarriere bedeute.

Was nun folgt, läuft auf ein gro- teskes Gegen- und Miteinander von zwei völlig verschiedenen Persönlichkeiten hinaus, die zugleich zwei Welten personifizieren: Hier der Machtmensch Hitler, der im Rausch seiner Erfolge schwelgt, sich als Verkünder einer neuen Lehre und Retter des Volkes sieht, aber plötzlich um sein Selbstbild ringt, wenn es ganz nüchtern in Frage gestellt wird. Dort der selbstgefällige Sänger und Schauspieler, der der NS-Bewegung unberührt gegenübersteht, sich aber geehrt fühlt, wenn er dem umjubelten Redner dessen Fehler und Pannen vorführen darf. Hitler fühlt sich unsicher, linkisch, wird nachdenklich. Als er aber merkt, wie ihn Devrient schulmeisterlich behandelt, geschieht das schier Unvermeidliche: er fällt in seinen Habitus als Volkstribun, Prediger und Agitator zurück, stößt grimmige Phrasen aus und vergißt schlagartig, was ihm der Lehrer gerade mühsam nahegebracht hat. Er rudert mit den Armen, seine Stimme überschlägt sich, er wettert gegen die "Systemparteien", gegen die "Volksfeinde", "artfremden Ausbeuter" und verkündet mit Nachdruck, was er alles verändern wolle, wenn er erst einmal an der Macht wäre.

Wie reagiert Devrient? Er steht verlegen im Raum, versucht, ein Lächeln zu verbergen und überlegt offenbar, wie er diesen ungezügelten Wortschwall bremsen soll. Er nimmt den Zornesausbruch einfach zur Kenntnis und verliert kein einziges Wort über dessen Inhalt. Ja, er hilft Hitler sogar bei der Vorbereitung einer Rede, indem er ihn bei dessen aggressiver Wortwahl noch übertrifft.

Hat Devrient wirklich nicht gewußt, wer da im Raum steht? Hat er sich wirklich keine Gedanken gemacht, wer die Zielscheibe der Vorwürfe und Angriffe ist? Wie war ihm zumute, als Hitler massive Drohungen gegen seine Feinde ausstieß? Nahm er ihn nicht ernst oder vermeinte er, einen dilettantischen Schauspieler vor sich zu haben, den man schließlich zur Vernunft bringen würde? Devrient bemüht sich redlich, seinem Schüler die Grundsätze der Rede- und Schauspielkunst beizubringen, aber als Hitler endlich anfängt, danach zu handeln, wirkt er linkisch, puppenhaft, ja lächerlich. Aber dennoch liegt kein Grund zur Heiterkeit vor, denn kurz darauf zeigt er seinem Lehrer stolz Zeitungsartikel, die seine jüngsten Redeerfolge hervorkehren. Er will von Devrient Zustimmung hören, doch dieser weicht aus, gibt sich diplomatisch und verweist auf künftige Fortschritte. Anscheinend hofft er, aus Hitler einen guten Schauspieler zu machen. Beide kommen im Lernprozeß wenig voran. Schließlich endet der Unterricht im November 1932 abrupt. Devrient fühlt sich als "Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat", aber vor seinem Abtritt verkündet er in einer Zukunftsschau, daß sein Schüler drei Monate später Reichskanzler geworden sei. Schwang da nicht Stolz und Genugtuung mit?

Die Aufführung besitzt den Vorteil eines Einakters, der ziemlich wortgetreu der Vorlage Devrients folgt, gleichzeitig aber der schauspielerischen Leistung der beiden Darsteller große Freiheiten einräumt. Die Regie (Thomas Gratzer) spitzt stark zu, ohne aber provokativ oder moralisierend zu werden. Sie konzentriert sich auf wenige exemplarische Szenen mit Dialogen, läßt also den gedanklichen Hintergrund beiseite, wie ihn Devrient in seinem Tagebuch ausbreitet. Ein bizarrer Kontrast entsteht durch die mehrmalige lautstarke Einspielung von Szenen eines Propagandafilmes, der den überlegenen, umjubelten Hitler im Originalton zeigt, aber plötzlich abbricht und dem Rhetorikschüler Hitler in einem Arbeitszimmer weicht. Dieser Gegensatz könnte kaum schärfer ausfallen. Am Ende bleibt ein Gefühl der Beklemmung zurück, das einige heikle Fragen aufwirft, wie etwa diese: Hätte ein anderer Lehrer, der nicht nur auf Stimme und Atemtechnik achtet, an der Gedankenwelt des Redners etwas ändern können?