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05.04.03 / In Tschetschenien beweist Moskau brutale Machtpolitik

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. April 2003


Volksabstimmung im heissen Krieg
In Tschetschenien beweist Moskau brutale Machtpolitik
von V. Landsbergis

Die russische Regierung hatte den 23. März als den Termin festgelegt, an dem die Tschetschenen gegen ihre Unabhängigkeit stimmen sollten. Vorgeblich sollten sie über ihre Verfassung abstimmen, der in Moskau verfaßte Entwurf schreibt jedoch vor allem fest, daß Tschetschenien ein Teil Rußlands ist. Dies ist also das Wesen des Referendums, wie die 99prozentige Wahlbeteiligung der Enthusiasten von "Mutter Rußland". Im übrigen haben auch die neuen russischen Invasoren einschließlich des Strafexpeditionscorps an diesem "Potemkinschen Referendum" teilgenommen. So ist das Ergebnis kaum verwunderlich, daß bei einer Wahlbeteiligung von knapp 80 Prozent die Verfassung mehrheitlich angenommen wurde. Die tschetschenische Republik verfügte bereits über eine eigene Verfassung, gemäß der der Präsident und das Parlament Tschetscheniens 1997 unter Beobachtung internationaler Organisationen rechtmäßig gewählt wurden. Wie der russische Präsident Wladimir Putin vor kurzem in Paris erläuterte: "1996 haben wir Tschetschenien de facto die Unabhängigkeit gewährt."

Als Rußland mit einem massiven vorgeplanten Angriff den zweiten Tschetschenien-Krieg gegen das de facto anerkannte Land begann, erläuterte die Delegation der russischen Duma in Straßburg (Dimitri Rogozin) noch, die rechtmäßige Amtszeit von Präsident Aslan Maschadow und des aufgelösten und verfolgten Parlaments sei beendet (!) bzw. ende gemäß der Verfassung im Jahr 2001. Tatsächlich beliefen sich Amtszeit beziehungsweise Wahlperiode in beiden Fällen auf fünf Jahre und dauerten bis 2002; ferner hatte das tschetschenische Parlament den wohlbegründeten Beschluß gefaßt, daß der Krieg und der Terror des russischen Militärs Neuwahlen unmöglich machen, und das Mandat bis zu den nächsten Wahlen unter Friedensbedingungen verlängert. Heute gibt Moskau vor, eine tschetschenische Verfassung habe es nie gegeben; eine Verfassung mußte daher durch die Abhaltung des "Referendums" am 23. März verabschiedet werden. Als ich letztes Jahr in Straßburg Abdul-Khakim Sultygow, den vom russischen Präsidenten für Tschetschenien eingesetzten Aufseher (Sonderbeauftragter des Präsidenten der Russischen Föderation in Tschetsche- nien) fragte, ob es ein Referendum für die Unabhängigkeit geben werde, da hörten alle Teilnehmer an der Sitzung die Antwort: "Nein, ein solches Referendum ist nicht möglich." Niemand anders fragte: "Warum ist das nicht möglich?", und ein Parlamentarier darf in der Regel keine zweite Frage stellen. Wie sieht dies das demokratische Europa? Es nimmt das nicht enden wollende Massaker an der Zivilbevölkerung, die Plünderung der Dörfer, die Vergewaltigung der Frauen und die Straflosigkeit der russischen Soldaten, die alle Gesetze der Menschlichkeit verletzten, zur Kenntnis. Dies ist jedoch die einzige Rüge, die Rußland erteilt wird, wie der Katze Vaska aus der Fabel von Iwan Krylow. Die Katze hörte sich die Zurechtweisung ruhig an und fraß weiter den gestohlenen Schinken. Trotz allem schien ein "Referendum" unter den Bedingungen des russischen Terrors durch das Militär für einige zu viel. Lord Judd, der stellvertretende Vorsitzende der von der parlamentarischen Versammlung des Europarates eingesetzten gemeinsamen Arbeitsgruppe (mit der russischen Duma) öffnete endlich die Augen und erklärte aufrichtig, das "sinnlose" tschetschenische Referendum müsse aufgrund eines "äußerst grausamen und blutigen Bürgerkrieges" verschoben werden. Andernfalls werde er, Frank Judd, zurücktreten. Dimitri Rogozin hatte einen Wutanfall und wünschte den lieben Freund zur Hölle. Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Alvaro Gil-Robles, der jüngst das verwüstete Land besuchte, schrieb, die Lage habe sich deutlich verschlechtert. "Drei Jahre entsetzlicher Gewalt gegen die Menschen." Vergewaltigungen, selbst wenn die Frauen nicht erwürgt werden (wie das junge Mädchen mit Namen Elsa Kungajewa, die von Oberst Buda-now erwürgt wurde, der vor kurzem von einem russischen Gericht freigesprochen wurde), sind für muslimische Bevölkerungsgruppen äußerst schrecklich.

Die Europäer erkannten dies letzt-endlich in Bosnien, noch nicht jedoch bezüglich Tschetschenien. Und die moralische und politische Vergewaltigung der gesamten tschetschenischen Nation wurde nun auf den 23. März festgelegt - in aller Öffentlichkeit, auf einem Platz, im Angesicht des vorgeblich christlichen Europa. "Wir sind zur Vernunft gekommen (sagen angeblich die Tschetschenen), wir geben unsere Hoffnungen und Ziele auf, wir verurteilen die Führer der Widerstandsbewegung, die wir selbst gewählt haben, und wollen wieder Untertanen Rußlands sein ..." Wer wollte ein solches Ergebnis als fair bezeichnen? Das Kalkül des Kreml ist einfach: die Tschetschenen werden in ihrem eigenen Land durch die "Spot"-Methode ausgelöscht - durch die Registrierung ihrer Adressen. Alle, die sich weigern, zur Wahl zu gehen, unterschreiben ihr eigenes Urteil. Deshalb werden sie kommen ... Einige europäische Organisationen werden Beobachter entsen- den, einige nicht (damit sie nicht dazu mißbraucht werden, Unrechtmäßiges zu decken). Was aber, wenn es sehr viele internationale Beobachter gegeben hätte, und was, wenn sie kontrolliert hätten, ob die Stimmabgabe tatsächlich geheim erfolgt ist und die Stimmen korrekt ausgezählt wurden? Dann hätten die russischen Behörden das Referendum sicher nicht abgehalten.

Die russische Armee hat nach der Straßburger Terminologie in Tsche-tschenien einen "rechtsfreien Raum" geschaffen. Russische Hauptmänner und Majore werden dort rasch zu Obersten und Generälen und schicken ihren Familien in Rußland riesige Mengen Plünderguts. Dies sei der Grund, erklärte der Abgeordnete und ehemalige Duma-Präsident Ruslan Chasbulatow am 28. Oktober 2002 in Kopenhagen, warum Frieden diesen Generälen nicht passe. Im übrigen wurde in Tschetschenien vor kurzem eine weitere geopolitische Plattform errichtet, um in Georgien einzugreifen. Daher wird die Hölle trotz aller Referenden andauern, die russischen Truppen werden sich nicht zurückziehen, und Tschetschenien wird, während es in den Abgrund gestürzt wird, das zerfallende Rußland mit sich reißen. Sergei Kowalew warnte 1999 davor. Und der Niedergang der Armee wie der Demokratie sind offensichtlich.