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05.04.03 / Ruth Geede erzählt von Begegnungen mit Gertrud Lerbs-Bernecker

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. April 2003


Eine wundervolle Frau und sensible Künstlerin
Ruth Geede erzählt von Begegnungen mit Gertrud Lerbs-Bernecker

Als Peter Drahl mir das erste Exemplar der Biographie von Gertrud Lerbs-Bernecker übergab, wußte ich wohl, daß mich dieses Buch sehr berühren würde. Daß dies aber in einem Ausmaß geschah, das weit über das Vermutete hinausging, lag an den vielen gemeinsamen Begegnungen, die Gertrud Lerbs akribisch aufgezeichnet hatte und von denen manche mich doch sehr nachdenklich machen. Ich erinnere mich noch genau, wie ich sie und ihren Mann Kurt Bernecker besuchte, damals an einem warmen Sommertag im Lüneburg des Jahres 1949. Es war die erste persönliche Begegnung nach Krieg und Flucht, und es war Zufall, daß uns das Schicksal in die gleiche Stadt verschlagen hatte.

Ich sah diese zerbrechlich wirkende Frau mit dem sensiblen Gesicht, das von soviel Leid sprach. Spürte, daß mehr als körperlicher Schmerz das Heimweh an ihr zehrte. Und so sprachen wir von der gemeinsamen Heimat, holten Erinnerungen zurück an jene Tage, als wir uns das erste Mal begegnet waren - damals im Juli 1941 auf der Kurischen Nehrung.

Sie war mir ja schon vertraut gewesen, ehe wir uns in Rossitten trafen. Nicht nur durch ihre Arbeiten - sie war ja bereits eine bekannte und geehrte Graphikerin, als ich noch zur Schule ging -, sondern auch durch die Erzählungen von Herta Drahl, einer Freundin unserer Familie, ihrer engsten und innigsten Vertrauten. Und so war sie mir als Künstlerin und Mensch keine Fremde, als wir uns dann persönlich gegenüberstanden. Eigenartig: Wir waren uns schon wenige Stunden vor dieser Verabredung in Kunzen, dem kleinen Nehrungsdorf, begegnet. Ich hatte dort ein kleines Lokal aufgesucht, in dem mir als einzige Gäste dies stille Ehepaar auffiel, das mich zu mustern schien. Mich faszinierte vor allem das verinnerlichte Gesicht der Frau mit den ernsten, hellen Augen. Daß es ihr umgekehrt ähnlich ergangen war, sagte sie mir dann wenig später in Rossitten, als wir uns nun nicht mehr als namenlose Wesen gegenüberstanden.

Es sollte der Beginn einer Zusammenarbeit werden, die es dann doch nie gab. Der Roman, den ich begonnen hatte und den sie illustrieren wollte, wurde nie beendet - der Krieg verhinderte es. Ich schrieb dafür eine längere Novelle, "Die große Wassersnot", die ein Königsberger Verlag herausbringen wollte. Man bedenke: im Herbst 1944! Es war der Illustrationsauftrag, von dem sie schreibt, daß sie ihn bereits in Brietlingen erhielt.

Es kam alles anders: Das schon gesetzte Manuskript ging in Königsberg verloren, ich selber konnte keinen Abzug retten und freute mich, daß Gertrud Lerbs noch einen besitzen mußte. Aber auch der war durch die Besatzung vernichtet worden, samt ihren bereits fertigen Steinzeichnungen. Von allen meinen verlorengegangenen Arbeiten schmerzt mich dieser Verlust am meisten. Ich habe diese Novelle nie wieder schreiben können!

Darüber sprachen wir damals und noch über vieles mehr. Ich versuchte ihr mit liebevollen und heiteren Erinnerungen ein wenig Leichtigkeit zu schenken, und es schien mir auch zu gelingen. Wir standen gemeinsam auf dem Balkon ihrer kleinen Wohnung und atmeten tief den Duft blühender Linden ein. Ihr schmales Gesicht, von der schweren Krankheit schon gezeichnet, gewann weichere Konturen.

Ich war damals jung und durfte wieder schreiben, viel schreiben - was wollte ich mehr? Ich nahm glücklich und dankbar diese Aufgabe an. War das wirklich so beispielhaft? Wie muß ihr das eigene körperliche Leid doch bewußt ge- worden sein, daß sie es so empfunden hat. Das macht mich nachdenklich, ja betroffen. Um so dankbarer bin ich, daß dieses Buch erscheinen konnte, das dieser wundervollen Frau und großen Künstlerin gerechter wird, als das Leben es war. Denn sie wurde nie wieder gesund!

Osterwasser: Kupferstich aus dem Jahr 1942

Rufende in der Stadt: Steinzeichnung von Gertrud Lerbs aus dem Jahr 1944

Alle Abbildungen aus dem besprochenen Band