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05.04.03 / Studie erforschte die Meinung der Russen im Königsberger Gebiet und in Rußland

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 05. April 2003


Die Zukunft der Exklave
Studie erforschte die Meinung der Russen im Königsberger Gebiet und in Rußland
von M. Ruoff

Das Institut für Komplexe Gesellschaftsstudien (IKSI) der Russischen Akademie der Wissenschaften hat im Königsberger Gebiet und den anderen Teilen der Russischen Föderation in Zusammenarbeit mit der Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Föderation eine Meinungsumfrage durchgeführt, in der es unter anderem um den zukünftigen Status der Exklave ging.

61,2 Prozent der Befragten antworteten, das Gebiet müsse in der Föderation verbleiben und denselben rechtlichen Status wie die anderen Föderationssubjekte behalten. 19,6 Prozent antworteten, daß das Gebiet seinen politischen und rechtlichen Status zwar behalten, es aber zu einer freien Wirtschaftszone gemacht werden sollte. In diesem knappen Fünftel überwiegen Angehörige des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums, sprich ökonomisch relativ gut abgesicherte Russen mit unabgeschlossener und abgeschlossener Hochschulbildung, sowie junge Leute unter 35 Jahren. Jeweils nur 2,7 Prozent sprachen sich dafür aus, daß die Russische Föderation die Verwaltung des Gebietes mit der Europäischen Union teilt beziehungsweise die Souveränität an die Bundesrepublik Deutschland abtritt.

Für die Anschauung hinsichtlich der Frage nach der Zukunft des Königsberger Gebietes spielt der geographische Standort eine größere Rolle als das Alter, die Bildung oder die materielle Lage. Während beispielsweise in allen Altersgruppen das quantitative Verhältnis zwischen Befürwortern der russischen Souveränität und denjenigen, die bereit wären, diese wenigstens teilweise aufzugeben, relativ stabil zwischen 11 zu 1 und 12 zu 1 liegt, variiert das Verhältnis bei den Regionen immerhin zwischen 8 zu 1 und 21 zu 1.

Doch nicht nur nach dem gewünschten Status für das nördliche Ostpreußen wurden die Russen gefragt, sondern beispielsweise auch nach ihrer Meinung über Wladimir Putins Politik. Sie fällt überwiegend wohlwollend aus. 29,4 Prozent beurteilen seine Tätigkeit im internationalen Bereich als eindeutig positiv, 53,5 als eher positiv, 6,7 Prozent als eher negativ und nur 2,3 Prozent als eindeutig negativ. Die Innenpolitik wird ähnlich, wenn auch nicht ganz so wohlwollend beurteilt.

Putin steht für eine neue Form von Außenpolitik. Die späten Gorbatschow- und frühen Jelzin-Jahre bilden die sogenannte romantische Phase, um einen Begriff des früheren sowjetischen und russischen Außenministers Andrej Kosyrew zu verwenden. Die Russen wurden Opfer der Ideologie und Propaganda des "kalten Krieges", derzufolge es sich ausschließlich um einen Kampf der Systeme gehandelt habe. Entsprechend dieser Lehre hätte Rußland nach der Übernahme des gegnerischen Systems, sprich repräsen-

tativer Demokratie und Kapitalismus, die Perspektive erhalten müssen, als Gleicher unter Gleichen Mitglied in NATO und EU werden zu können. Ebenso hätte nach dem Ende des "kalten Krieges" durch die Auflösung der Warschauer Vertrags-organisation (WVO / Warschauer Pakt) Harmonie und Frieden ausbrechen müssen. Die Verwirklichung des von den USA propagierten One-World-Konzeptes mit Freiheit und Gleichberechtigung schien bevorzustehen. Es war die Zeit, in der sogar - ähnlich der Erreichung des Paradieses - voller Optimismus vom "Ende der Geschichte" gesprochen wurde. Die Russen mußten jedoch die Erfahrung machen, daß der Westen zwar Gorbatschows Bild vom europäischen Haus bejubelte, daß jedoch weder in der NATO noch in der EU für sie ein Zimmer vorgesehen war.

Enttäuschte Illusionen führen häufig zu Verbitterung und manchmal gar zu Zynismus. Eine analoge Entwicklung läßt sich bei Rußland feststellen. Der "romantischen Phase" ist inzwischen eine Ära gefolgt, die von nüchterner, pragmatischer, stellenweise auch zynischer an den Interessen des eigenen Staates orientierter Macht- und Realpolitik geprägt ist. Sie ist mit dem Namen Wladimir Putins verbunden und entspricht offenkundig der Stimmung seiner Bevölkerung. So mißt die Mehrheit der Russen der internationalen Stellung ihres Landes derzeit hohen Wert bei, und sie ist der Ansicht, daß sich diese im Laufe von Putins Amtszeit verbessert habe. Während im Jahre 2000 nach der Wahl des jetzigen Amtsinhabers ins Präsidentenamt nur 5,4 Prozent der Befragten eine Verbesserung dieser Stellung bemerkt zu haben glaubten, sind es zwei Jahre später mit 53,9 Prozent mehr als die Hälfte.

Auch mit seinem Fernbleiben von der Koalition der Willigen und der statt dessen erfolgenden Mitarbeit in der Achse der Kriegsunwilligen trifft Putin den Geschmack seines Volkes. Bereits vor dem Ausbruch des Irak-Krieges hatten die USA mit ihrer zunehmend unverblümteren unilateralistischen Politik eine frappierende Desillusionierung bei den Russen bewirkt. Kein anderes der insgesamt zehn untersuchten Länder verlor zwischen 1995 und 2002 bei den Russen derart an Ansehen und Sympathie. Betrug das quantitative Verhältnis der positiven zu den negativen Beurteilungen 1995 noch 77,6 zu 9,0 Prozent, so wecken die Vereinigten Staaten 2002 mittlerweile bei einer relativen Mehrheit von 45,5 Prozent hauptsächlich negative Gefühle, während nur noch bei 38,7 Prozent der Russen positive überwiegen.

Die IKSI-Meinungsumfrage, aus der das hier vorgestellte Datenmaterial stammt, wurde bereits im letzten Sommer durchgeführt, doch hat der inzwischen ausgebrochene Irak-Krieg zu keiner qualitativen Veränderung des Trends geführt. Dieses zeigen die Untersuchungen im Rahmen des US-amerikanischen "Pew Global Attitudes Project", dessen Vorsitz die frühere US-Außenministerin Madeleine K. Albright innehat. Ihnen zufolge haben inzwischen nur noch 28 Prozent der Russen ein positives Bild von den USA. Gegen den von den Verei-nigten Staaten begonnenen Irak-Krieg sind 87 Prozent, zehn Prozent sind dafür. 40 Prozent glauben, daß es den Irakern nach dem Kriege schlechter gehen wird, die Hälfte davon, sprich 20 Prozent, glaubt das Gegenteil. 45 Prozent sind der Ansicht, daß die Region anschließend instabiler sein wird, nicht einmal die Hälfte davon, nämlich 21 Prozent, erwartet das Gegenteil. Im Gegensatz zu den Briten, Franzosen, Deutschen, Italienern und Polen sehen die Russen laut dieser jüngsten US-Umfrage das Problem jedoch mehrheitlich nicht vornehmlich in der Person des gegenwärtigen US-Präsidenten George W. Bush, sondern in den USA im allgemeinen.

Bezeichnend für die oben angesprochene Illusionslosigkeit der Russen bezüglich der internationalen Politik sind zwei weitere Ergebnisse der US-Studie. Keine andere der untersuchten neun Nationen hält die Vereinten Nationen für so wenig bedeutend wie die Russen. Sie sind die einzigen, unter denen mit 57 Prozent eine absolute Mehrheit der Bevölkerung die Ansicht vertritt, die Situation im Irak zeige, daß die United Nations "nicht so wichtig" seien. Für einen von Naivität freien, ausgeprägten Realitätssinn der Russen spricht auch das Ergebnis einer von den Amerikanern Ende des letzten Jahres in mehreren Ländern durchgeführten Meinungsumfrage, ob die USA den Irak angreifen würden, weil sie glaubten, Saddam sei eine Bedrohung, oder weil sie das irakische Öl kontrollieren wollten. 76 Prozent der Russen nannten das Öl als Motiv; nur 15 Prozent nahmen den USA ab, sich vor einer Bedrohung schützen zu wollen.

Der Ansehensverlust der USA bei den Russen ist wohl nur noch mit dem Israels vergleichbar, wo es in den Jahren zwischen 1995 und 2002 im Grunde zu einer Umkehr kommt. 1995 hat es mit einem Verhältnis von 40,8 zu 20,4 Prozent genau doppelt so viele Freunde wie Gegner unter den Russen. Sieben Jahre später hat es mit einem Verhältnis von 23,7 zu 45,9 Prozent noch gut halb so viele Freunde wie Gegner.

Mit jenem der USA ist auch das Ansehen der anderen vom IKSI untersuchten angelsächsischen Staaten gesunken. So nahm der Anteil der Freunde Großbritanniens und Kanadas um 12,5 beziehungsweise 13,9 Prozentpunkte ab, während der Anteil der Gegner um 10,3 beziehungsweise 10,5 Prozentpunkte zunahm. Stabiler Sympathiewerte auf hohem Niveau können sich die inzwischen die Führung der Achse der Kriegsunwilligen innehabenden Franzosen mit 78,9 Prozent Zustimmung 1995 und 78,0 Prozent 2002 erfreuen. Relativ stabil sind auch die Werte der ebenfalls zur Achse der Unwilligen gehörenden Deutschen. Weckten sie 1995 bei 69,0 Prozent der Russen hauptsächlich positive Gefühle, so sind es sieben Jahre später 68,1 Prozent. Durch den Abfall der Angelsachsen rücken sie mit diesem Wert hinter Frankreich an die zweite Stelle der in der Studie berücksichtigten Staaten.

Dabei besteht für Deutschland noch ein interessantes Entwick-lungspotential, denn das Zahlenmaterial besagt, daß die Russen mehr Sympathien für die Deutschen empfinden, als es umgekehrt der Fall ist. Während in Deutschland der Anteil der Menschen, die Sympathie für die Russen empfinden, 2002 um fünf Prozentpunkte niedriger ist als jener der Deutschen, die keine besonderen Sympathien empfinden, liegt in der Russischen Föderation der Prozentsatz jener, die Sympathien für die Deutschen empfinden, um vier Punkte höher.

Auch das grausame Ringen der beiden Nachbarvölker in den Weltkriegen ist für die Russen kein grundsätzliches Hindernis. Hierzu liegt aussagekräftiges Zahlenmaterial aus dem Jahre 1996 vor. Während in jenem Jahre in Deutschland eine Mehrheit von 56 Prozent der Meinung war, daß die Erinnerungen an die beiden Kriege sich eher trennend auf die bilateralen Beziehungen auswirken und nur 15 Prozent das gemeinsame Leid als eher verbindend beurteilten, hielten sich in der Russischen Föderation die beiden Gruppen ungefähr die Waage.

Auch die im westlichen Ausland gerne selbstgefällig gegen die Deutschen geschwungene "Faschismus-keule" spielt bei den Russen kaum eine Rolle. Dort wird die "Wahrscheinlichkeit des Auflebens faschistischer Ideen" für Deutschland nicht höher eingeschätzt als für das eigene Land.

Und noch etwas kommt den Deutschen zukünftig entgegen, die ungleiche Verteilung von Sympathie und Antipathie bei Jung und Alt. Das Verhältnis jener Russen, bei denen die Erwähnung Deutschlands "im wesentlichen positive Gefühle" weckt, gegenüber jenen, bei denen "im wesentlichen negative Gefühle" geweckt werden, beträgt bei den über 60jährigen 60,3 zu 22,2, bei den 51- bis 60jährigen 62,9 zu 19,0, bei den 31- bis 50jährigen 71,3 zu 12,1 und bei denen, die 30 oder jünger sind, 72,9 zu 10,7.

Wenn denn die Russen zumindest ihrerseits im Zweiten Weltkrieg kein grundsätzliches Problem in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern sehen, worin sehen sie dann das größte Problem? Während die bundesdeutsche politische Klasse es zur Staatsräson gehörig betrachtet, die unnatürliche Nachkriegsordnung krampfhaft zu verteidigen und jede Diskussion des Status Quo als Gefährdung des Friedens zu verunglimpfen, ist den Russen ein funktionierendes Gespür für unnatürliche und ungerechte Zustände sowie die ihnen innewohnenden Gefahren für die Völkerverständigung offenkundig in hohem Maße eigen. So wird die Überwindung der deutschen Teilung von 59 Prozent der Russen nicht etwa als "größte außenpolitische Niederlage der UdSSR (Rußlands)" oder als "Folge einer politischen Fehlkalkulation Gorbatschows" interpretiert, sondern schlichtweg nur als "natürlich (und gerechtfertigt)". Analog werden die "Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Status" des Königsberger Gebietes von den Russen als das brennendste Problem in den Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland erkannt. Mit 24 Prozent wird dieses von allen Problemen am häufigsten genannt. Erst dahinter rangiert auf Platz zwei die "Erinnerung der Russen und der Deutschen an den Krieg 1941-1945". Es folgen auf den Plätzen drei bis neun die "fehlende Bereitschaft Deutschlands, Rußland die Kulturgüter zurückzugeben, die während des Krieges außer Landes gebracht wurden", die "Unzufriedenheit Rußlands mit der Unterstützung Deutschlands für den Plan zur Osterweiterung der NATO", die "fehlende Bereitschaft Rußlands, Deutschland die Kulturgüter zurückzugeben, die während des Krieges außer Landes gebracht wurden", die "Unzufriedenheit Rußlands mit der Höhe der Entschädigung für russisches Eigentum auf dem Territorium der ehemaligen DDR", die "Unzufriedenheit Deutschlands mit den Folgelasten der Präsenz sowjetischer Truppen auf dem Territorium der ehemaligen DDR", die "Tätigkeit der russischen Mafia in Deutschland" sowie die "Sorgen Deutschlands vor dem Auftauchen radioaktiven Materials aus Rußland auf seinem Territorium". Es ist zu wünschen, daß die politische Klasse in der Bundesrepublik diese Studie aufmerksam durcharbeitet und das ihre dazu beiträgt, um das von den Russen ausgemachte wichtigste Problem in den bilateralen Beziehungen zu lösen.

 

Russen im Königsberger Gebiet: Ihre Meinung und die ihrer Landsleute in Rußland erforschte das Institut für Komplexe Gesellschaftsstudien der Russischen Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, Moskau. Das Bild zeigt eine Hochzeitsgesellschaft vor dem Grabmal Immanuel Kants am Königsberger Dom, Foto: Visum