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12.04.03 / Aus dem Protokoll des Deutschen Bundestages: "Endlich Gerechtigkeit"

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. April 2003


Aus dem Protokoll des Deutschen Bundestages: "Endlich Gerechtigkeit"

In einer Debatte um die Osterweiterung der europäischen Union am 13. März 2003 mahnte der Unionsabgeordnete Erwin Marschewski noch einmal die Einhaltung elementarer Menschenrechts- und Völkerrechtsnormen durch die Beitrittsländer an - insbesondere die überfällige Aufhebung der Vertreibungs- und Entrechtungsdekrete durch Tschechien und Polen.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Erwin Marschewski, CDU/CSU-Fraktion.

Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorredner haben zu Recht gesagt, daß die Osterweiterung der Europäischen Union ein epochales Ereignis ist. Daß Demokratie, Menschenrechte und Minderheitenschutz in dann 25 Staaten Europas mit 450 Millionen Menschen absolute Geltung haben werden, hat der Union Kraft gegeben, seit Jahrzehnten auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Wir wollen diese historische Chance nutzen, die auch eine noch intensivere Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn umfaßt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Verständigung und Aussöhnung - das sind Ziele, die die Heimatvertriebenen bereits im August 1950 in ihrer Stuttgarter Charta proklamiert haben. Es geht darum, die Gräben zuzuschütten und ein geeintes Europa zu schaffen, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können. Weil dies auch unsere Ziele sind, haben wir als Union die wichtige Brückenfunktion der deutschen Heimatvertriebenen und Volksgruppen in Mittel- und Osteuropa stets in besonderer Weise herausgestellt. Deswegen werden wir die berechtigten Anliegen der Heimatvertriebenen im Rahmen der Osterweiterung zur Sprache bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Weil das Recht auf die Heimat gilt, muß die in der Europäischen Union geltende Freizügigkeit ein Schritt hin zur Verwirklichung dieses Rechts auf die Heimat sein, und weil sich Europa als Rechts- und Wertegemeinschaft versteht, müssen Völker und Volksgruppen ohne rechtliche Diskriminierung zusammenleben können. Deswegen betone ich: Die Vertreibungsdekrete und Vertreibungsgesetze sind Unrecht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Daher darf zum Beispiel das so genannte tschechische Straffreistellungsgesetz von 1946, durch das die Verbrechen an Deutschen und Ungarn bis hin zur Tötung straffrei gestellt wurden, keine Gültigkeit mehr haben. Gleiches gilt für die Aufhebung der Unschuldsvermutung und die entschädigungslose Enteignung. Sie dürfen keine notwendigen Sanktionen mehr sein, wie es das tschechische Verfassungsgericht noch 1995 bedauerlicherweise ausdrücklich erklärt hat.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Marschewski, gestatten sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckel?

Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Bitte schön, Herr Präsident.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Bitte sehr.

Markus Meckel (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege, ich denke, wir alle in diesem Hohen Hause sind uns einig, daß Vertreibungen Unrecht sind. Dies ist hier von Vertretern aller Fraktionen mehrfach gesagt worden.

Ich glaube, es gibt aber ein Mißverständnis. Deshalb möchte ich Sie dazu etwas fragen. Wollen Sie damit sagen, daß Sie dieses Thema jetzt, nachdem die Verhandlungen mit diesen Ländern über den Beitritt zur Europäischen Union zu einem Ende geführt worden sind - die Verträge sind zwar noch nicht unterschrieben, aber die Verhandlungen sind beendet -, erneut aufgreifen und einbringen wollen? Wollen Sie damit sagen, daß dies für Sie ein neues Feld ist und daß diese Frage in den Verträgen noch in irgendeiner Weise berück-sichtigt werden muß? Hier wäre Klarheit wichtig.

Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Herr Meckel, ich will eines sagen: Vertreibung und ethnische Säuberung dürfen nirgendwo Bestandteil einer bestehenden Rechtsordnung sein. Es kann nicht sein, daß diese Dinge zum Beispiel in der Tschechischen Republik noch in den Gesetzesblättern stehen: Das muß durch eine Erklärung des Parlaments oder Ähnliches beendet werden können: Denn für uns ist es doch eindeutig - dies will ich mit meinen Ausführungen sagen -: Dies alles steht im klaren Widerspruch zu dem Geist und den Werten der Europäischen Union und des Völkerrechts. Das ist unsere Intention.

(Beifall bei der CDU/CSU - Abgeordneter Markus Meckel [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

- Ich möchte in den verbleibenden Minuten gern zu Ende ausführen, verehrter Herr Kollege.

Um eines noch zu sagen: Wir Deutsche wissen natürlich um das schwere Unrecht, das die Nazis auch vielen Völkern Osteuropas zugefügt haben. Das, was Helmut Kohl ausgedrückt hat, ist aber auch richtig:

Weder wird die deutsche Schuld durch das Unrecht der Vertreibung auch nur um ein Jota gemindert, noch hebt deutsche Schuld das Unrecht der Vertreibung auf.

Deswegen - das ist meine weitere Antwort - müssen diese Themen auch im Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn offener und intensiver ausgesprochen werden; sonst könnten sie den Weg in eine gemeinsame Zukunft erschweren, Herr Kollege Meckel.

Es ist die Verpflichtung der Bundesregierung, genau dies zu tun. Wir beide kennen doch Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union. In ihm sind die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit festgeschrieben, die die Mitgliedstaaten akzeptieren müssen. Was aber in diesen Dekreten steht, ist eben nicht rechtstaatlich. Sie stehen in eklatantem Widerspruch zu Art. 6 des EU-Vertrages. Die Vertreibungsdekrete sind Unrecht und müssen aufgehoben werden. Dafür steht die Union ein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit dieser Haltung stehen wir nicht allein. Sie wissen, daß sich der Uno-Menschenrechtsausschuß in Genf in mindestens sechs Entscheidungen entsprechend geäußert hat. Sie wissen, daß auch das Europäische Parlament die Aufhebung verlangt hat. Wenn Sie gar nichts überzeugt: Der Bayerische Landtag hat mit den Stimmen von CSU und SPD einen Beschluß in diesem Sinne gefaßt. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich sage dazu nur: Tut es ihnen gleich!

Sie wissen doch genauso gut wie wir: Nur wenn wir auch das ansprechen, wenn wir darüber dis- kutieren und wenn wir zu anderen Ergebnissen kommen, können wir als Nachbarn in eine gemeinsame und bessere europäische Zukunft gehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich dem Kollegen Meckel das Wort zu einer Kurzintervention erteile, möchte ich - ganz freundlich - darauf hinweisen, daß der zwischen den Fraktionen vereinbarte Zeitplan unserer heutigen Plenardebatte schon kräftig aus dem berühmten Ruder gelaufen ist. Ich wäre dankbar, wenn alle dies bei ihren Zusatzfragen, Interventionen und der Ausnutzung ihrer Redezeit berücksichtigten.

Bitte schön, Herr Meckel.

Markus Meckel (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. Ich werde mich kurz fassen.

Herr Marschewski, wir sind uns völlig einig, daß wir die Fragen von vergangenem Unrecht und von Vertreibung, daß wir unsere europäische Geschichte überhaupt noch intensiv zum Thema machen müssen. Das gilt nicht nur für unsere östlichen Nachbarn, sondern das betrifft unsere Situation in Europa insgesamt. Wir brauchen über die Ländergrenzen hinweg den gemeinsamen Willen zur Behandlung von Geschichte und sollten versuchen, gemeinsam Geschichte zu schreiben. Ich stimme Ihnen auch ausdrücklich darin zu, daß sich alle Staaten der Europäischen Union an die europäische Rechtsordnung halten müssen.

Eine Frage ist mir aber wichtig und deshalb habe ich mich doch noch zu einer Kurzintervention gemeldet - das ist in Ihrer Rede offen geblieben -: Wollen Sie sagen, daß Sie Gesprächsbedarf sehen, oder wollen Sie sagen, daß Sie bis zum Abschluß der Verträge und ihrer Ratifizierung entweder von der Europäischen Kommission eine entsprechende Initiative erwarten, um das Thema Vertreibung zur Sprache zu bringen, oder sich von den Nachbarländern eine entsprechende Entscheidung als Voraussetzung für die Zustimmung Ihrer Fraktion zur Aufnahme in die Europäische Union erhoffen. Diese Frage möchte ich sehr gerne von Ihnen beantwortet haben.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Marschewski, möchten Sie antworten? - Gut, dann erteile ich Ihnen das Wort.

Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Herr Kollege Meckel, ich spreche nicht für alle Außenpolitiker der Union; das ist wahr. Aber ich kenne die Meinung unserer Außenpolitiker. Sie alle vertreten eindeutig die Auffassung: Wir müssen noch einmal miteinander reden. Der Deutsche Bundestag hat in seinen Sitzungen nach dem Krieg zum Volksgerichtshof und zu vielen anderen scheußlichen Dingen Nein gesagt und sie als Unrecht verurteilt. So etwas erwarte ich zum Beispiel auch von unseren tschechischen Freunden. Was hindert sie daran, es uns gleichzutun und die Dekrete, die Vertreibung, die Aberkennung der Staatsbürgerschaft, die Verurteilungen zum Tode, Totschlag und vieles andere als Unrecht zu verurteilen? Das erwarten wir. Wir erwarten, daß die Bundesregierung - der Außenminister ist nicht mehr anwesend - dies intensiv und kraftvoll vorträgt.

(Beifall bei der CDU/CSU)