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12.04.03 / Bewußtseinsbildung im Breisgau: Gegen das Vergessen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. April 2003


Bewußtseinsbildung im Breisgau: Gegen das Vergessen
50 Jahre Ostdeutscher Akademischer Arbeitskreis
von Michael Ihringer

Freiburg liegt im sonnigen Südwesten der Republik. Von dort ist es näher zur Riviera als zur Nord- und Ostsee. Gefühlsmäßig pflegen die in Baden beheimateten Alemannen eher das gemeinsame Regionalbewußtsein mit den stammverwandten Nachbarn in der Schweiz und im Elsaß als die Verbindungen mit den weit entfernten neuen Bundesländern oder gar mit deutschen Landsleuten jenseits der Ostgrenze.

Doch allen diesen Prägungen zum Trotz, zu denen nicht zuletzt ein vergleichsweise niedriger Vertriebenenanteil gehört, beschäftigen sich auch in der Schwarzwaldmetropole bestimmte Kreise mit dem Osten.

Zum einen gibt es natürlich die Angebote der traditionsreichen Universität oder des Johannes-Künzig-Instituts für ostdeutsche Volkskunde (s. OB 50/00), zum anderen aber auch die Aktivitäten privater Vereinigungen wie des "Ostdeutschen Akademischen Arbeitskreises - Kopernikuskreis". Der feiert 2003 sein 50jähriges Jubiläum, was Anlaß genug ist, um auf die Geschichte und Gegenwart dieses Zirkels einzugehen.

Der als gemeinnützig anerkannte Verein wurde 1953 auf Anregung in Freiburg ansässig gewordener ost- und auslandsdeutscher Professoren und Akademiker gegründet. Dabei wirkten bekannte Wissenschaftler wie Hermann Aubin oder Johannes Künzig mit.

Als zentrales Ziel schreibt die Satzung fest, daß man dazu beitragen will, "daß der deutsche Osten sowie das Deutschtum in östlichen und südöstlichen Staaten nicht vergessen werden".

Zu diesem Zweck veranstaltet der Kopernikuskreis in jedem Semester mehrere hochschulöffentliche Vorträge. Hierzu werden alle Mitglieder und Freunde schriftlich eingeladen und Ankündigungen an die örtliche Presse verschickt. Darüber hinaus bemüht man sich um neue jüngere Gäste, indem in einzelnen Seminaren der Universität gezielt plakatiert wird.

Die thematische Bandbreite ist außerordentlich groß, wobei es sich zumeist um historische Inhalte (häufig mit Gegenwartsbezug) handelt, öfter auch um literarische. Gleich in den ersten Jahren referierten beim Kopernikuskreis Persönlichkeiten wie Dr. Klaus Mehnert oder Koryphäen der Geschichtswissenschaften wie Prof. Georg von Rauch, Prof. Werner Conze, Prof. Hans Rothfels oder Prof. Hans-Joachim Schoeps.

Seit Mitte der 90er Jahre führt die promovierte Volkskundlerin und Studienrätin Annette Hailer-Schmidt (Jahrgang 1963) anstelle der noch der Erlebnisgeneration angehörenden Schlesierin Gisela v. Preradovic den Vorsitz. Das Programm wurde seither noch vielfältiger, und man kann ein Verschwinden hochspezieller Fragestellungen etwa zur schlesischen oder böhmischen Geschichte feststellen.

Bis in die 80er Jahre waren solche Themen durchaus häufig; der Kreis konnte stets auf eine stattliche akademische ostdeutsche Hörerschaft zählen sowie auf manch Alteingesessene mit entsprechender Vorbildung. Beides ist heute - leider - nicht mehr gegeben. Folgerichtig mußte sich die Vereinigung anpassen, um ihre Ziele auf neuen Pfaden weiter zu verfolgen.

In den letzten Semestern hatten die Vorträge beispielsweise folgende Themen: "Die Deutschen im polnischen Staat 1945-50" (Ingo Eser), "Goethes Reise nach Schlesien" (Gabriele v. Altrock), "Brandenburg-Preußen und der Deutsche Orden" (Prof. Udo Arnold), "Verlorenes Leben, verdrängte Geschichte. Ostdeutsche Autoren in Mitteldeutschland 1945-95" (Dr. Jörg Bernhard Bilke), "Auf den Spuren deutscher Kunst in der Slowakei" (Ernst Hochberger), "Zur Lage der Deutschen in Oberschlesien" (Dr. Joachim Piecuch) oder "Deutsche in russischen Städten" (PD Dr. Dittmar Dahlmann).

Es gab aber auch Programmpunkte wie eine Lesung der Schriftstellerin Ulla Lachauer ("Paradiesstraße") oder eine Führung durch das Deutsche Tagebucharchiv im nahen Emmendingen.

Als letzter Referent des Kopernikuskreises kam am 29. März Prof. Wladimir Gilmanov nach Freiburg. Der an der Universität in Königsberg lehrende russische Germanist und Philosoph sprach über "Das Königsberger Gebiet/die Kaliningradskaja Oblast - Geschichte, Gegenwart und Zukunft".

Mit seinen weitgehend frei gehaltenen Ausführungen zog der 1955 am Pregel geborene Gilmanov wohl alle knapp 40 Zuhörer in seinen Bann. Dabei brachte der um philosophische Gedanken angereicherte Vortrag auch für besser Informierte viel Neues. Etwa die statistischen Daten zur "gnadenlose Härte" und "Hoffnungslosigkeit" des heutigen russischen Lebens in Königsberg. 40 Prozent der rund 880 000 Bewohner leben demnach unter dem Existenzminimum (offiziell sind das Einkünfte von weniger als 2280 Rubel monatlich, also ca. 70,- Euro).

"Wuchernde" kriminelle Strukturen kontrollieren nach Angaben des Referenten 60 Prozent (!) aller staatlichen Institutionen.

Doch mehr noch als von diesen erschütternden Zahlen waren die Zuhörer vom persönlichen Heimatverständnis Gilmanovs beeindruckt. Er redete über das "versiegelte Buch", das Königsberg bislang für seine Generation gewesen sei, und über den "Mythos" der einstigen deutschen Stadtgeschichte. Bedauerlicherweise sei das alte Königsberg heute jedoch "praktisch tot". Ausnahmen wie das "durch den Geist gerettete" Schiller-Denkmal (ein russischer Soldat hatte am Ende des Krieges auf dem Sockel die Inschrift Nicht erschießen, er ist ein Dichter! angebracht) bestätigten nur die Regel.

Die "euphorische Zeit" der 90er Jahre, als die heimattreuen vertriebenen Ostpreußen "wie die Störche" in großer Zahl nach Ostpreußen gekommen seien, habe nur kurz gewährt. Die politischen Führungskräfte hätten diese kaputtgemacht, klagte der Vortragende. Doch Wladimir Gilmanov hat trotzdem nicht alle Hoffnungen für die Zukunft des nördlichen Ostpreußens verloren. Inmitten einer materialistischen Zeit appelliert er an das "Gefühlsvermögen" der Russen, also an das, was man früher die russische Seele nannte.

Diese müsse auch durch historische Einsichten - etwa zu den "Kriegsgreueln" an Königsberger Zivilisten - gereinigt werden. Maßnahmen wie ein "eingeschränktes Rückkehrrecht für Vertriebene und deren Nachkommen" könnten viel zu einer "moralischen Sanierung" der heute in Königsberg lebenden Menschen beitragen.

 

Ein Land in der Krise: Verfallene Kirchen zeugen von der historischen Schuld und dem Identitätsproblem der Russen in Nord-Ostpreußen Foto: Hailer-Schmidt