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12.04.03 / Missbrauchte Jugend

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. April 2003


Missbrauchte Jugend

Zeuge der NS-Zeit erinnert sichEs ist schwierig, wenn jemand versucht, die Zeit zwischen 1932 und 1936 in Deutschland und seine persönlichen Erlebnisse und die Geschehnisse von damals heute darzustellen, ohne daß Krieg und Vernichtung darauf abfärben. Dennoch ist es Carl Behrens in seinem autobiographischen Roman "Als das tausendjährige Reich begann" gelungen, die familiäre Situation und sein persönliches Tun in der Zeit des aufziehenden Nationalsozialismus zu erklären und anschaulich zu machen. Es wird klar, daß die Parteimitgliedschaft in der NSDAP im Jahr 1932 eben nicht gleichbedeutend war mit massivem Antisemitismus oder Kriegslüsternheit, sondern daß es ein Bewußtsein von Aufbruch und Erneuerung gewesen ist, das die Menschen bewegte, Anhänger dieser Partei und Adolf Hitlers zu werden. Zugleich wird die Kontinuität der gesellschaftlichen Struktur und des Treuebewußtseins zum Kaiser und zum Kaiserreich formuliert, die Ursprung für die Stabilität der familiären und sozialen Hierarchien auch 20 Jahre nach der Abdankung Wilhelms II. ist.

In leicht verständlichen Worten gibt der 1920 geborene Heimatforscher so Begründung für den Aufstieg des Nationalsozialismus und dessen Akzeptanz selbst in christlichen Kreisen, ohne Rechtfertigung oder gar Entschuldigung bieten zu wollen für das, was zwischen 1939 und 1945 geschah. Er zeigt auf, in welchem Spannungsverhältnis ein junger Mensch steht, der erkennt, daß sich ein politisches System etabliert, welches Gewalt und Brutalität als Mittel der Interessendurchsetzung duldet und nutzt, und wie ihm nur die Möglichkeit der inneren Emigration, der Abwendung von einem Chauvinismus blieb, der die ganze Welt erobern wollte und schließlich das eigene Land in Elend stürzte. Er schildert die Gefühle einer Jugend, die begeistert, benommen und befangen, schließlich gleichgeschaltet und mißbraucht wird. Die gesamte Geschichte des Romans integriert die Ereignisse von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, über den Brand des Reichstages, das Ermächtigungsgesetz bis zum Röhmputsch sowie dessen Wirkung auf die Familie des Erzählers und auf den Autor selbst. Dieser entfernt sich im Ereignisverlauf immer weiter von Staat und Idee des Nationalsozialismus und erkennt die christliche Basis des eigenen Selbst, das sich nach Frieden und Gerechtigkeit sehnt. Diese Friedenssehnsucht kommt in verschiedenen Aussagen und Personen zur Geltung, in Cord, dem NS-Parteimitglied, oder in Christorf, dem Hitlerjungen. Die Ereignisse der Zeit bilden in dem Roman die Struktur für die Kapitel. Sie sind wie Versatzstücke aneinandergereiht und durch Personen verbunden, die den roten Faden und den Zusammenhang im Geschriebenen bilden. Sie sind das Gerüst für die Aussage: Es möge Frieden bleiben, und es bleibe alles erhalten, so wie es gut und richtig ist. Daß schließlich Krieg kommt, muß Behrens erschüttert und verzweifelt haben. Denn die Strukturen, die aus dem Kaiserreich geblieben waren und die dem NS-Regime nützlich wurden, zerstörte der Krieg. Die Söhne blieben im Feld - und kein Kaiser konnte öffentlich werden, kein Friedensfürst in breite Erscheinung treten, wenn der Autor sich solch einen Zustand für die Gesellschaft und das Volk auch heute zu wünschen scheint. kpg

Carl Behrens: "Als das Tausendjährige Reich begann", Edition Fischer, Frankfurt 2003, 200 Seiten, 12,80 Euro