Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. April 2003 |
||||
Nun kann Ostern kommen von Kurt Baltinowitz Die letzte groß angelegte Treibjagd war für die Jägerschaft ein totaler Reinfall gewesen: Lediglich ein knappes Dutzend Hasen hatte man mit Müh und Not zur Strecke bringen können. Vor allem war ihr Plan, die vorher zufällig ausgekundschaftete Osterhasenschule schlagartig zu überfallen, dort einmalig reiche Beute zu machen, nicht aufgegangen, denn die gesamte Schule konnte, dank eines aufmerksamen Spähers, in letzter Sekunde das Weite suchen, wenngleich die Jäger wütend und blindlings hinterherschossen. Nur zwei Hasen mußten sich später einige Schrotkugeln aus dem Balg kratzen lassen. In einem völlig neuen Gelände, aus Sicherheitsgründen weitläufig versteckt hinter Hecken, Büschen und in Mulden, warteten die Hasen den Abend ab und schliefen schließlich von der anstrengenden Flucht völlig übermüdet ein, bis sie morgens, von lautem Hundegebell erschrocken, hochfuhren und in die Richtung spähten, aus der Gefahr zu drohen schien. Zum Glück handelte es sich um einen Fehlalarm, denn zwei ältere Damen, je zwei kläffende Hunde an der Leine, ließen ihre Lieblinge kühle Morgenluft schnuppern. Erleichtertes Aufatmen. Plötzlich erinnerte sich der Direktor der Osterhasenschule an einen Artikel in der Osterhasenzeitung, daß es irgendwo einen geheimen Zufluchtsort für gefährdete Hasen gab. Seiner Meinung nach mußte die Stelle ganz in der Nähe sein. Und so ließ er seine Zöglinge sammeln, hoppelte mit ihnen einem Wäldchen entgegen, das auf einer Anhöhe lag, von Jägern - wie in der Zeitung erwähnt - nie heimgesucht wurde, denn dort hielt sich kein jagdbares Wild auf, höchstens mal ein alter klapperiger Fuchs, der seinen Lebensabend verbrachte, oder einige Wildkaninchen. Das war den Jägern alles bekannt. Doch was sie nicht wußten und ahnen konnten: Im oberen Drittel des Wäldchens betrieb ein alter Hase, ein geschäfts-tüchtiges Schlitzohr, eine sogenannte Sassen-Pension mit über 200 Sassen, die meistens mit durchrei- senden Hasen belegt waren. Auch versprengte und kränkliche Hasen fanden hier eine Bleibe, durften sich absolut sicher fühlen. "Willkommen im Hasenparadies!" begrüßte der Sassenwirt seine Artgenossen. "Wie viele seid ihr?" - "Über 600", sagte Direktor Lampincos und rümpfte die Schnute. "Keine Bange. Wir bringen euch alle unter. Zwar wird es eng werden, aber für ein paar Nächte geht es schon. Und für euer leibliches Wohl ist auch gesorgt." Der Direktor schmunzelte und meinte: "Danke für die Gastfreundschaft, aber ich werde mit meinen Schülern so lange hierbleiben, bis alle ausgebildet sind. Dagegen hast du doch wohl nichts?" - "Nein, nein, aber ob ihr euch hier für längere Zeit versteckt halten könnt, dürfte mit einem Risiko verbunden sein, denn die Jäger ..." - "Laß das meine Sorge sein", gab Lampincos zu verstehen. "Unter allen Umständen muß ich den Osterhasennachwuchs ausbilden, damit er zu Ostern in Einsatz kommt. Alle sind fest eingeplant; alle Kinder werden vor gefüllten Nestern stehen können." Bereits am nächsten Tag wurde der Ausbildungsbetrieb wieder aufgenommen: Weitsprung, Hakenschlagen, jede Deckung ausnutzen und natürlich das Einbuddeln bei Gefahr. Auch das Eierfärben wurde geübt. Natürlich war man ständig auf der Hut. Eine Gruppe von Wildkaninchen, vom Pensionswirt engagiert, beobachtete unentwegt die Umgebung des Wäldchens, so daß die dringende Osterhasenausbildung ungestört vonstatten gehen konnte. Und dennoch blieb eine gewisse Angst, doch noch von den unberechenbaren Jägern entdeckt zu werden. "Warum buddelt denn da unten am Abhang ständig eine größere Gruppe von Wildkaninchen?" wollte der Direktor eines Tages nur aus Neugier wissen. Der alte Hase grinste und sagte: "Das hat schon einen Grund. Ich habe die Anordnung gegeben, denn man weiß ja nie ..." Und damit hatte er recht! Im Dorf unterhalb des Wäldchens auf dem Hügel gab es einen Jäger, der einfach nicht glauben wollte, daß sich in dem Gebiet kein jagdbares Wild aufhalten sollte. Seine Freunde lachten ihn aus, da sie schon selbst des öfteren heimlich nachgeschaut hatten. Aber dieser besagte Jäger ließ sich nicht überzeugen und stieg eines Tages zum Wäldchen hoch. Ohne Gewehr. Sein Jägerherz quoll über, als ihm eine schier unübersehbare Anzahl von Hasen ins Auge fiel, Osterhasen, die ausgelassen tanzten und Freudensprünge machten, ihren bestandenen Lehrgang feierten, bis zum späten Abend. Dann mußten sie in die Sasse und ausschlafen, da für den kommenden Morgen die Abreise zu den einzelnen Bezirken vorgesehen war. Ein herrlicher Morgen. Die Sonne schien. Während die Jungosterhasen noch schliefen, saßen der Direktor und der Sassenwirt bereits auf der Lichtung und diskutierten über die verflossenen Wochen. "Du kannst jederzeit wiederkommen", sagte der alte Hase. "Ich habe stets Futter im Vorrat, nur für die Sassenbenutzung müßtest du mir eine angemessene Summe bezahlen." - "An wieviel hättest du denn gedacht?" wollte Lampincos wissen. "Nun, ich will ja nicht unverschämt sein, aber ..." Weiter kam er nicht, denn mehrere Kaninchen, die Späher, kamen aufgeregt angerast und berichteten übereinstimmend, eine große Anzahl von Jägern und Treibern mit Hunden, von zwei Seiten kommend, gesehen zu haben. Es stimmte tatsächlich. Lampincos war der Ohnmacht nahe und stöhnte: "Soll alles umsonst gewesen sein? Unzählige Kinder werden vor einem leeren Nest stehen. Junges Osterhasenblut wird diesen Boden tränken. Ich halte es nicht mehr aus ..." - "Nur keine Panik", sprach der alte Hase, obwohl er selbst geschockt war. "Wecke erst einmal deine Osterhasen. Dann folgt ihr mir alle in einer Reihe." Nichtsahnend von der Gefahr, die wie ein Damoklesschwert über ihnen hing, formierte sich der Osterhasennachwuchs und folgte dem Pensionswirt, bis dieser vor einem Tunneleingang haltmachte und befahl, die Röhre so schnell wie möglich zu passieren, die unmittelbar vor einer langgestreckten Hecke endete. Von fern war bereits Hundegebell zu vernehmen. Die Osterhasen rannten um ihr Leben, ihren zugeteilten Bezirken entgegen. Lampincos und der alte Hase, das Schlitzohr, fielen sich in die Pfoten. "Ich werde dir ewig dankbar sein", sagte der Direktor. "Wie hast du das alles nur bewerkstelligen können?" - "Ich nicht", wehrte der alte Hase ab. "Das waren unsere weitläufigen Verwandten, die wahrscheinlich ahnten, daß sich eventuell eine Ka-tastrophe anbahnen könnte ... So, und jetzt müssen wir uns aber auch in Sicherheit bringen. Und dann kann Ostern kommen ..." |