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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. April 2003 |
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"Leipziger Glaubenskampf" / Der Wiederaufbau der Universitätskirche St. Pauli bleibt umstritten Die Stadt der "Friedlichen Revolution" von 1989, die "mitteldeutsche Hauptstadt" Leipzig, schwebt nach der Entscheidung zu Olympia im Freudentaumel. Visionäres Denken möchte man den Leipzigern auch in einer anderen Sache wünschen, die seit Wochen die Gemüter an der Pleiße teilweise heftig erregt. Es geht um den Wieder- bzw. Neuaufbau der Uni-Kirche St. Pauli, auch Paulinerkirche genannt. 1231 als Klosterkirche des Dominikanerordens auf dem heutigen Gelände der Universität gebaut, wird das Kloster und die Kirche am 28. Juni 1543 an die Universität übereignet. Die Kirche wird offizielle "Aula" der Universität. Zwei Jahre später wird die Kirche St. Pauli als erste deutsche Kirche durch Martin Luther (ein Jahr vor seinem Tod) geweiht. 1830 bis 1836 erfolgt der Abriß der Klosteranlagen und der Neubau der Universität "Augusteum". 1838 wird die klassizistische Chorfassade der Universitätskirche errichtet. 1943 bis 1945 werden die Gebäude am Augustusplatz durch den Krieg stark zerstört, aber die Paulinerkirche bleibt wie durch ein Wunder nahezu schadensfrei. Am 30. Mai 1968 wird die intakte Kirche auf ausdrücklicher Anordung von Walter Ulbricht gesprengt. 1970 erfolgt dann der Bau des Hauptgebäudes der Universität auf dem Areal der Kirche und des Augusteums. 1992 gründet sich die Bürgerinititative "Paulinerverein" zum Wiederaufbau der Uni-Kirche und des Augusteums. Im Mai 2002 wird Prof. Dr. Blobel Vorsitzender des Paulinervereins. Ende Januar 2003 beschließt das sächsische Kabinett, bei der Neugestaltung der Universität auch eine Uni-Kirche zu berücksichtigen. Darauf tritt das Leipziger Rektorat unter Leitung von Prof. Bigl zurück. Seitdem diskutiert die Öffentlichkeit über Sinn und Unsinn des Wiederaufbaus der Paulinerkirche der Universität. Hier sind die Stellungnahmen von drei Hauptakteuren in diesem "Leipziger Glaubenskampf": Prof. Günter Blobel, Prof. Franz Häuser und OBM Wolfgang Tiefensee. Fragen: 1. Wie bewerten Sie die Sprengung der Universitätskirche St. Pauli am 30. Mai 1968 in Leipzig? 2. Sind Sie grundsätzlich für oder gegen den, soweit wie möglich, originalgetreuen Neuaufbau der christlichen Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig an ihrem angestammten Ort am Augustusplatz, d. h. in der Form von 1968 vor der Sprengung? Warum? 3. Wie wäre Ihre Wunschvorstellung für den Neuaufbau der Uni-Kirche? 4. Wie erklären Sie sich die gegenwärtigen Anfeindungen und Verhärtungen zwischen den betroffenen Parteien Universität Leipzig, Stadt Leipzig, Freistaat Sachsen und Bürgerschaft Leipzig (Paulinerverein)? Welche Rolle spielt dabei die Leipziger Volkszeitung (LVZ)? 5. Wie erklären Sie sich die ablehnende Haltung der evangelischen Kirche bezüglich des Neuaufbaus der an sich protestantischen Uni-Kirche? 6. Wie sollte Ihrer Meinung nach der Neuaufbau der Uni-Kirche (mit integrierter Aula-Funktion) finanziert werden? 7. Wären Sie bereit, einer neuen Ausschreibung zuzustimmen, die die Neugestaltung des Universitätsgeländes mit einer neuaufgebauten Uni-Kirche zur Aufgabenstellung hat? Wären Sie auch bereit, in dieser Neuausschreibung die Neugestaltung des Augustusplatzes mit zu integrieren? 8. Wie stellen Sie sich idealerweise die Feierlichkeiten zum 600. Geburtstag der Universität Leipzig im Jahre 2009 vor? (Die Fragen stellte unser Mitarbeiter Hartwig Benzler) Univ.-Prof. Dr. Günter Blobel: 1. Die Universitätskirche wurde 1968 auf Ulbrichts Befehl nicht gesprengt, um ein Raumproblem zu lösen, sondern um ein Exempel zu statuieren. Die christlich-bürgerlichen Wurzeln der Universität und überhaupt des akademischen Lebens sollten in einem symbolischen Akt abgeschlagen werden. Von der DDR-Bevölkerung wurde die Sprengung auch als eine solche symbolische Machtdemonstration der DDR-Führung verstanden. Der Protest dagegen reichte sogar bis in die SED selbst. Zur Verwunderung der SED-Funktionäre kam der Hauptwiderstand gegen die Sprengung gar nicht von den Kirchen, sondern von vielen nicht religiös gebundenen Menschen, die die Sprengung der Kirche schlicht als Kulturbarbarei empfanden. 2. Der Paulinerverein ist für eine Wiedererrichtung einer Kirche am Augustusplatz, die sich möglichst nah an die Form und die Funktion der 1968 gesprengten Kirche anlehnt. 3. Die wiedererrichtete Universitätskirche soll den geschichtlichen Reichtum der Universität wieder sichtbar machen. Sie soll - wie es die Universitätskirche bis 1968 tat - als Kirche, Aula, Aufführungsstätte des Universitätschores und Raum für die Kunstwerke dienen, die zum Glück zu 80 Prozent vor der Sprengung geborgen werden konnten. Wie die Kirche im Detail aussehen soll, das muß ein neuer gestalterischer Wettbewerb ergeben. 4. So verhärtet sind die Fronten zum Glück nicht mehr. Es gibt vernünftige Gespräche unter allen Beteiligten. Natürlich spielt es eine Rolle, daß gerade die Universität Schwierigkeiten mit diesem Thema hat. Widerstand gegen die Sprengung gab es 1968 an der Universität nicht, im Gegenteil - es gab einen Senatsbeschluss für die Sprengung. Hinzu kommen - in einer stark säkularisierten Gesellschaft - antikirchliche Ressentiments, die aber glücklicherweise weitgehend aus der Debatte verschwunden sind. Manche Leipziger mögen sich auch aus Dresden fremdbestimmt gefühlt haben, als sie hörten, die Landesregierung hätte den Wiederaufbau der Universitätskirche beschlossen. In Wirklichkeit hatte die Regierung lediglich beschlossen, mit allen Beteiligten Gespräche zu führen und auch eine Campusvariante mit Universitätskirche zu unterstützen. Die Auseinandersetzung wäre vielleicht weniger hitzig verlaufen, wenn diese Kabinettsentscheidung auch von den Medien hinreichend differenziert dargestellt worden wäre. 5. Mittlerweile ist die Haltung der evangelischen Kirche gar nicht so ablehnend, die evangelische Studentengemeinde, ebenso wie die katholische, unterstützt ausdrück-lich den Wiederaufbau einer Universitätskirche. 6. Möglicherweise durch eine Stiftung, in die Hochschulbaumittel und Spenden fließen. 7. Natürlich, das ist unser Ziel. Daß es im Zuge der Neuausschreibung eine Neugestaltung des Augustusplatzes geben sollte, halte ich für unpraktikabel. Aber er verdient eine städtebauliche Verbesserung. 8. Ein Festakt von Universität und Bürgern in einer neu gewonnenen Universitätskirche. n
Univ.-Prof. Dr. Franz Häuser: 1. Die Sprengung der Universitätskirche St. Pauli war ein barbarischer Akt staatlicher Willkür, der die Empfindungen zahlreicher Bürgerinnen und Bürger in Leipzig und darüber hinaus zutiefst und nachhaltig verletzt hat. 2. Ich bin gegen eine Rekonstruktion der Universitätskirche am Augustusplatz. Das stattgefundene Unrecht läßt sich dadurch nicht wiedergutmachen. Wir sollten erinnernd und zugleich mahnend auf die Sprengung hinweisen und bei der neuen Gestaltung des zentralen Campus der Universität an die Funktionen der Universitätskirche als geistiger und geistlicher Mittelpunkt der Universität in einer Weise anknüpfen, die den Anforderungen an eine große Universität im 21. Jahrhundert gerecht wird. 3. Es kann keinen Neuaufbau einer Universitätskirche auf einem Grundstück der Universität geben. Die Nutzung von zentralen Universitätsbauten muß sich im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung halten. Insoweit stehen Forschung und Lehre im Vordergrund. 4. Es gibt keine Anfeindungen und Verhärtungen zwischen der Universität und der Bürgerschaft Leipzigs. Eine qualifizierte Mehrheit der Bürgerschaft teilt den Standpunkt der Universität. Die Irritationen zwischen der Landesregierung auf der einen Seite und der Stadt und Universität auf der anderen sind auf den Vertrauensverlust zurückzuführen, der dadurch eingetreten ist, daß die Landesregierung in neuer personeller Zusammensetzung sich nicht an die getroffenen Absprachen über die Campusgestaltung gehalten hat. Die LVZ hat über die Diskussion, so wie ich es wahrgenommen habe, mit journalistischer Sorgfalt berichtet. 5. Ich gehe davon aus, daß die Argumente, die gegen den Neubau sprechen, auch die evangelische Kirche überzeugt haben. Der Bedarf an gottesdienstlichem Raum, der von der theologischen Fakultät der Universität ausgeht, wird gedeckt werden. 6. Der Neubau des Paulinums, d.h. der Universitätsaula einschließlich des gottesdienstlichen Raumes, wird auf dem üblichen Weg, der für den Hochschulbau vorgesehen ist, also mit Landes- und Bundesmitteln, finanziert werden. Dies begrenzt im übrigen den Spielraum möglicher Nutzungen. (zu 7. Nein) 8. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Das Jahr 2009 spielt bei mir gegenwärtig nur insoweit eine Rolle, als bis dahin die Neubauten am Augustusplatz fertig gestellt sein sollten. Deshalb müssen die Rahmendaten jetzt zügig festgelegt werden, damit die bisherige Planung weiter qualifiziert werden kann.
OBM Wolfgang Tiefensee: 1. Die Sprengung der Universitätskirche 1968 war ein Akt der Barbarei, eine reine, von "ganz oben" angeordnete Willkürhandlung des SED-Regimes. Als solche ist sie von den meisten Leipzigern auch empfunden worden. 2.+3. Der Willkürakt der Sprengung vor 35 Jahren kann nicht dadurch ungeschehen gemacht werden, daß man die Universitätskirche 1:1 wieder aufbaut. Es gilt, im Rahmen der zeitgemäßen Neugestaltung des Campus bis zum 600jährigen Universitätsjubiläum 2009 eine Lösung zu finden, die an die Kirche erinnert und zugleich den Bruch sichtbar macht, den die Sprengung bedeutet, und die den Belangen der Universität Rechnung trägt. Von diesem Grundverständnis sind Freistaat, Universität und Stadt im Jahr 2001 bei der Auslobung des Architektenwettbewerbes für den neuen Campus ausgegangen. Mit der Universität Leipzig stehen wir als Stadt nach wie vor dafür ein. Vergessen wir nicht: die Universitätskirche diente universitären Zwecken mindestens ebenso stark wie gottesdienstlichen: Sie fungierte als auditorium maximum. Auch für diesen Verlust hat die Universität nie Ersatz bekommen. Sie braucht aber ein solches multifunktionales Gebäude dringendst. Nach den Verwerfungen und Irritationen der letzten Zeit, die man als Abrücken von der Verfahrenskultur beschreiben könnte, ist es höchste Zeit, zu einer Lösung zu kommen, um mit dem Bauen bis zum Jubiläum 2009 fertig zu werden. Der Konsensus, der im Gespräch vom 18. Februar bei Staatsminister Dr. Rößler erzielt wurde, ist eine gute Grundlage. Das neue Gebäude soll gleichermaßen Aula und Gottesdienstraum sein. Der Entwurf von Behet und Bondzio ist in diesem Sinne zu überarbeiten. Wir sind dafür, diese Lösung zügig umzusetzen. Die Feinjustierung der Gestaltungs- und Nutzungsbalance vollzieht sich im Überarbeitungsprozeß. Die Vorgaben, die die Architekten dazu brauchen und für deren Erarbeitung die Staatsregierung verantwortlich zeichnet, sollten sie möglichst bald bekommen. 4. Das zeitweise in Frage stellen des ursprünglich vereinbarten Verfahrens, war sicher nicht hilfreich: es hat zu den bekannten Friktionen und Reaktionen geführt. Umso wichtiger ist es, sich künftig strikt an gemeinsame Verabredungen zu halten 5. Zu dieser Frage hat sich die Landeskirche meines Wissens bereits geäußert. 6. Die finanzielle Verantwortung für die Universitäten liegt in Deutschland bei den jeweiligen Landesregierungen. 7. Nein, übrigens würde das wiederum den Kompromiß den wir erst schwierig gefunden haben in Frage stellen. 8. Ich bin sicher, daß die Universität ein überzeugendes Konzept für die Jubiläumsfeierlichkeiten erarbeiten wird. Es wird eine würdige und zugleich grandiose Feier werden. Die Stadt wird die Universität dabei mit allen Kräften unterstützen. Wir sind stolz auf unsere altehrwürdige und zugleich moderne Alma mater und werden das unsere dazu beitragen, daß sie im 21. Jahrhundert ihr Profil weiter schärfen und sich als gewichtige geistige Kraft in unserem Land behaupten kann.
Prof. Dr. Günter Blobel: ist Medizin-Nobelpreisträger und Vorsitzender des "Paulinervereins", der Bürgerinitiative zum Wiederaufbau der Universitäts-Kirche. Foto: privat Prof. Dr. Franz Häuser: lehrt Recht an der Uni Leipzig und ist designierter neuer Rektor der Universität Leipzig (nach Prag die älteste deutsche Universität) Foto: Uni Leipzig Wolfgang Tiefensee: Der Leipziger Oberbürgermeister bemüht sich um eine Kompromißlösung zwischen Freistaat Sachsen, Universität und Bürgerschaft Leipzig. Foto: Leipzig Sprengung der Paulinerkirche in Leipzig: Am 30. Mai 1968 wurde das traditionsreiche Gotteshaus der Universität in Leipzig auf persönliche Anordnung des Staats- und Parteichefs in der Deutschen Demokratischen Republik, Walter Ulbricht, in die Luft gesprengt, um die Erinnerung an die christliche Geschichte der Universität zu tilgen. Foto: Paulinerverein |