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19.04.03 / Die geplatzte Illusion

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. April 2003


Die geplatzte Illusion
von Hannelore Patzelt-Hennig

In meinen frühen Kinderjahren erfreute ich mich immer an der Geschäftigkeit auf dem Bauernhof meiner Großeltern, die der Ostersonnabend mit sich brachte. Sie war für mich wie eine Erlösung nach dem streng und still verbrachten, von Frömmigkeit geprägten Karfreitag. Im Stall wurde einiges für das Füttern an den Feiertagen vorbereitet. Der Hof wurde gefegt, der Kutschwagen gewienert und das Pferdegeschirr geputzt. Decken wurden geklopft. Im Haus wurde geschrubbt und gescheuert. Und in dem riesigen Backofen unterhalb des gigantischen Küchenherdes loderte rote Glut, während sich auf einem großen Backblech langsam der dickbestreuselte Hefekuchen hob. Überall war ich dabei. Hier und da zeigte ich mich behilflich, meistens erwies sich meine Anwesenheit aber nur als störend.

Gegen Abend, als die Arbeiten soweit verrichtet waren und sich schon eine Art Feierlichkeit auszubreiten begann, nahm mich Onkel Karl mit in den benachbarten Wald, wo er sich ein paar Wacholderzweige für seine Schmeckosterrute holen wollte. Sie sollten so zwischen vorgetriebene Birkenzweige gebunden werden, daß sie nicht zu sehen, aber allemal zu spüren waren von den Langschläfern oder Langschläferinnen, die er damit aus den Betten schmackostern wollte.

Onkel Karl war mein Vertrauter. Wenn ich mit den anderen Erwachsenen nicht zurechtkam, wandte ich mich an ihn. Auch an diesem Tag gab es etwas, das ich von ihm geklärt haben wollte. Mein Cousin aus der Stadt, der am Palmsonntag dagewesen war, hatte nämlich meinen Osterhasenglauben zum Wanken gebracht. Er behauptete, im Jahr zuvor zu Ostern seine Mutter, Tante Käte, hinter der verriegelten Küchentür durchs Schlüsselloch beobachtet und gesehen zu haben, daß sie die Ostereier angemalt habe und nicht der Osterhase, wie ihm gesagt wurde. Das war eine Aussage, die auch auf Onkel Karl eine ziemliche Wirkung hatte. Er schien plötzlich auffällig stark mit seinem Taschenmesser beschäftigt. Erst nach einer geraumen Weile sagte er: "Glaub' den Quatsch nich! Komm, ich werd dir beweisen, daß es Osterhasen gibt! Du kannst dir die Stelle ansehen, wo sie jetzt immer ihre Versammlungen abhalten und sich beraten. Es ist nich weit von hier!"

Er nahm mich an die Hand, und wir gingen ein Stück. Dann standen wir an einer Wegmündung, die einem kleinen Platz glich. "Hier ist es!" sagte Onkel Karl. Ich staunte. Unzählige kleine Kugeln lagen dort. "Stammen die etwa von den Osterhasen?" forschte ich nahezu fassungslos. Was da an "Beweis" lag, hatte ich schon hier und da im Wald gesehen, aber doch nicht in solcher Menge! "Alles ‚Hinterlassenschaften' von den Osterhasen!" versicherte Onkel Karl mir. "Ein ganzes Regiment scheint sich in letzter Zeit hier versammelt zu haben. Aber das ist ja auch kein Wunder, jetzt, vor Ostern! - Jedenfalls weißt du nu Bescheid!"

Mir verschlug es die Sprache. Was Onkel Karl alles kannte! Sogar den Versammlungsplatz der Osterhasen! Vielleicht hatte Wolfgang, mein Cousin, sich wieder einmal was ausgedacht. Schon oft hatte er erzählt, was nicht stimmte. Onkel Karl, nur Onkel Karl hatte recht! Schließlich hatte er die Existenz der Osterhasen bewiesen!

Ja, und dann kam der zweite Ostertag, an dem der Osterhase die Eier zu bringen hatte. Und nie freute ich mich mehr, daß die Höfe meiner Großeltern nur knapp einen Kilometer von einander entfernt lagen, als an diesem Morgen, denn es hatte sich gezeigt, daß der Osterhase sowohl auf dem Hof, von dem meine Mutter stammte, wie auch auf dem Anwesen der Eltern meines Vaters Eier für mich hinterließ. Das vom Großvater geflochtene Körbchen zum Einsammeln der Oster-eier stand schon bereit. Er war es auch, der dem Zeremoniell vorstand und meine Schritte und Überlegungen so geschickt lenkte, daß ich die schwierigsten Verstecke fand.

Nur in einem Fall war etwas von ihm übersehen worden. Aus den Hühnernestern, in denen der Osterhase für mich zwei Eier versteckt hatte, holte ich drei heraus. Für diese Zugabe mußte ein fleißiges Huhn zwischen dem Osterhaseneinsatz und meiner Suchaktion gesorgt haben. Als ich mit diesem Ei zur Familie kam, gab es allerlei Gelächter. Ich jedoch fand keine Zeit, mich damit auseinanderzusetzen. Eilig leerte ich mein Körbchen und stürmte dann wieder hinaus, um zu den anderen Großeltern zu laufen. Doch als ich von dort zurückkam, war ich weniger froh.

Mir war da nämlich etwas untergekommen, das ich nicht verstand: denn ich hatte auf jenem Hof nicht nur übliche Ostereier gefunden, sondern auch ballartige Baiserkugeln in Rosé, Grün, Braun und Weiß, mit Kokosflocken überstreut. Mit wahrer Karfreitagsmiene packte ich sie auf den Tisch und sagte nun nichts mehr. Mir schien plötzlich, daß man sich auch auf Onkel Karl nicht mehr verlassen konnte; denn Fabriken, in denen solche Baiserkugeln hergestellt wurden, hatten Osterhasen ganz sicher nicht.

Lieselotte Plangger-Popp: Die im vergangenen Jahr verstorbene Künstlerin nannte dieses Motiv "Ostern 1945"; sie hat es in Innsbruck geschaffen, als sie noch keine Nachrichten von Zuhause, aus Ostpreußen hatte. Im Vordergund ist ein Bäumchen zu sehen, das vor der Kälte von einem Mantel aus Maisstroh geschützt wird, eine Zuversicht verheißende Sonne strahlt über allem Linolschnitt, 1945