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19.04.03 / Julia und die Zaubereier / Eine heitere Ostergeschichte

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. April 2003


Julia und die Zaubereier / Eine heitere Ostergeschichte
von Silke Osman

Julia Wunderlich strich über die kühle Seide ihres neuen Kleides. Wie zart der Stoff war und wie apart die Farbe! Lavendel, hatte der Verkäufer gesagt, passe ausgezeichnet zu ihrem brünetten Haar, das schon von feinen Silberfäden durchzogen war. Nun denn Lavendel, hatte Julia zugestimmt, schließlich mußte es etwas Besonderes sein, wenn sie nach so langer Zeit wieder einmal ins Theater ging. Sogar einen Hut hatte sie sich gegönnt! Einen leichten Strohhut mit einer breiten, vornehmen Krempe und einem kleinen Nest aus bunten Federn. Der lag jetzt in der Diele auf der Kommode, so daß er ja keinen Schaden erleiden würde.

Julia blickte versonnen in den Spiegel. Wie lange hatte sie sich nicht mehr "schön" gemacht? Für wen auch? Sie lebte allein, seit ihr Mann von ihr gegangen war. Allein und zurückgezogen, wollte nicht mehr allzu viel zu tun haben mit der Welt da draußen. Dann aber hatte sie in der Kreiszeitung gelesen, daß man in der Hauptstadt "Hoffmanns Erzählungen" von Offenbach geben würde. Hoffmann! E.T.A.! Wie liebte sie seine Geschichten, die skurrilen Figuren.

Schon ihr Vater, der noch in Königsberg geboren war, hatte ihr die Erzählungen des seltsamen Dichters vorgelesen. Als Kind war sie bereits dem Hund Berganza begegnet und dem Kater Murr, der Prinzessin Bambrilla, Klein Zaches und natürlich dem Kapellmeister Kreisler. Erst später allerdings konnte sie etwas damit anfangen, mit diesen Figuren, die nur auf den ersten Blick freundlich wirkten, die allesamt jedoch so unheimlich waren. Ihr Vater war ganz vernarrt in seinen Königsberger Landsmann gewesen. Nicht zuletzt seinetwegen hatten die Eltern sie auf den Namen Julia getauft, war doch eine Julia die große Liebe des Dichters gewesen.

Julia Wunderlich lächelte still. Morgen würde sie all den Gestalten in Offenbachs Operette wieder begegnen und ...

Jäh riß das laute Klingeln der Türglocke sie aus ihren Gedanken. Sie trennte sich nur ungern von ihrem neuen Kleid und ihren Träumen, dann jedoch ging sie zur Tür und blickte beim Öffnen in die strahlend blauen Augen des Nachbarsjungen Horst Lind. Die Frühlingssonne hatte erste Sommersprossen auf seiner kecken Nase erblühen lassen. Und seine blonden Haare standen am Hinterkopf zu Berge, als hätte er sie voller Verzweiflung gerauft. Seine Wangen glühten rot vor Aufregung.

"Na, Horsti, du Lorbaß, was willst?"

"Tag, Tante Julia! Ich wollt dich nur schnell besuchen und dir ein paar von meinen Ostereiern rüberbringen. Die hab ich selbst angemalt. Schau, doch!"

Mit diesen Worten streckte ihr der Junge seine Hände entgegen, die er zuvor hinter dem Rücken verborgen gehalten hatte. Sie waren über und über mit satter Farbe besprenkelt. In allen Tönen des Regenbogens leuchteten sie auf den Jungenhänden, in denen bunte Ostereier lagen. Bemalt waren sie mit seltsamen Zeichen. "Schau, Tante Julia, hier diese Eier sind nicht nur Ostereier, sie sind Zau- bereier. Ich schenk sie dir ..."

"Danke, Junge, das ist ganz lieb von dir. Wart, ich hol, schnell eine Schale, dann können wir sie dort hineinlegen." Julia ging in die Küche, um ein Schälchen für die sonderbaren Ostereier zu holen.

"Ist nicht nötig, Tante Julia", hörte sie aus der Diele den Jungen rufen. "Ich hab schon was gefunden. Da passen sie prima rein. Wie gezaubert, sag ich dir. Ich muß dann auch gehen, Fritz und Marie warten auf mich. Ich glaub, die wollen mir ihr neues Kätzchen zeigen, weißt du. Ein Kater ist es ja eigentlich und der soll Murr heißen, komisch nicht? Tschüs, Tante Julia und frohe Ostern."

Und schon war der Junge verschwunden. Julia hörte nur noch die Tür klappen und stand zunächst ein wenig fassungslos in der Diele. Wie gebannt blickte sie auf die Kommode, wo ihr schöner neuer Strohhut lag. Sie wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Das edle Stück war hin! Zu einer bunten Pyramide getürmt lagen die Ostereier in dem Nest aus Federn. Richtig trocken waren diese Eier wohl noch nicht gewesen, als Horsti sie dort abgelegt hatte. Ihre Farbe hatte sich mit dem hellen Stroh vermengt und die Federn verklebt.

"Zaubereier!", murmelte Julia nur und mußte dann doch kichern. Der Hut war ohnehin ein wenig albern gewesen - aber das Kleid aus lavendelfarbiger Seide, das würde sie auf jeden Fall anziehen, morgen, wenn sie von "Hoffmanns Erzählungen" verzaubern lassen würde.

Brauchtum zum Osterfest:Buntbemalte Eier und ein frischer Frühlingsblumenstrauß gehören dazu Foto: BfH