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26.04.03 / Der verflixte Reichtum und die Folgen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. April 2003


Der verflixte Reichtum und die Folgen
von Christa Schulz-Jedamski

Wir hatten Besuch! Aus Berlin. Was für Großstadtwunder erzählte man sich, es war einfach alles knorke: das damalige Modewort für schier Unfaßbares. Ehrfürchtig schaute ich mir diesen Onkel aus dieser Knorkestadt Berlin an. Mitbringsel verteilte er, und ich bekam Bücher und, o Wunder, fünf Dittchen. Damit sollte ich mir einen besonderen Wunsch erfüllen.

Hurra, ich war reich, so richtig reich!

Aber jetzt ging es mit dem Überlegen los, denn was wollte ich eigentlich haben? Bücher - hatte ich genug. Was für die Schule? Vielleicht den tollen Bleistift, der ringsherum mit dem kleinen Einmaleins beklebt war, oder Himbeerbonbons von Ehrlichmanns oder vielleicht doch lieber Marzipankugeln von Bäcker Schwedland?

Nein, zum Nachmittagstanztee mit Mutti im Café Tannenberg, da würde ich mir selbst ein großes Eis kaufen, das wär ne Wucht! Und dabei zugucken, wie die Erwachsenen bei Foxtrottmusik über die Tanzfläche schwebten, und davon träumen, wie es wäre, wenn ich erst mal groß bin!

Aber erst müßte ich mich mal mit Ernstche unterhalten. Der kam ja auch aus Berlin, ja, der hatte Grips, wie er immer wieder von sich behauptete. Den müßte ich fragen, wie man das Geld unter die Leute bringen kann. Ernstche war mit seiner Mutter im Nachbarhaus gegenüber einquartiert worden, war aber mehr bei uns als in der Schule oder zu Hause. Was mich an ihm so faszinierte, war, daß er so unheimlich viel an Essen verdrücken konnte. "Dat schmeckt aber", sagte er, mit vollem Mund kauend, "kein Wunder, wenn man so gut kochen kann wie Sie, einfach knorke!"

Mutter lachte dann und meinte: "Na, du bist ja ganz schön ausgebufft", und schöpfte ihm den Teller noch mal ordentlich voll.

"Ja", sagte Ernstche dann, "ik bin helle, ik komm ja aus Berlin." Dann mußten wir alle lachen, alle, die wir mit am Tisch saßen, und er fühlte sich als der Größte.

Also, wenn Ernstche ausgebufft und helle war, konnte er mir bestimmt einen guten Rat geben.

"Wat willste denn mit Eisschlabbern in dem schnieken Schwofpalast? Dich holt doch heute keener zum Schwof, dazu biste noch vill zu kleene. Gehn wir beede uff'n Rummel, Karussellfahrn, und holn uns ne quietschrosa Waffel", meinte er auf meine Frage.

"Nö", sagte ich, denn ich kannte ihn, er war zu verfressen, und ich sah meine Dittchen wie Butter in der Sonne zwischen meinen Fingern zerrinnen. Meine Hand umklammerte ganz fest die Dittchen in der Schürzentasche, mein ganzer Reichtum war das doch!

"Na, wenn de nich willst, dann hau ik jetzt ab", sprach's, steckte lässig seine Hände in die Fupp und war mit den anderen Jungens verschwunden.

Nun stand ich ziemlich belemmert da. Was sollte ich nur tun? Erstmal darüber schlafen, wenn es verquer kommt, so sagte Opa immer, am anderen Tag sieht schon alles ganz anders aus. Da geht einem nämlich ein Licht auf; bestimmt hatte Opa recht! Also, für heute war Schluß mit dem Nachdenken, ins Bett gehen, schlafen und auf morgen warten - bis einem das Licht aufgeht.

Am anderen Tag erst mal der Weg zur Schule. Die fünf Dittchen klapperten im Griffelkasten und erinnerten mich an das Licht, welches doch aufgehen sollte. Aber nichts ging auf! Rein meschugge konnte man mit diesem Reichtum werden, dieser Onkel Bruno! Er hat bestimmt nicht gewußt, was er da in meinem Kinderkopf angerichtet hatte. Ich seufzte tief auf.

Da klingelte die Schulglocke zur großen Pause, und ich suchte nach meinem Pausenbrot - vergessen! Auch das noch! Das Geld hatte mich richtig schusselig gemacht. Was nun. Ich hatte Hunger, und der Magen knurrte. Ich schielte nach den anderen Pausenbroten, ob mir jemand was abgab?

Aber da sah ich noch drei andere Mädchen stehen, die hatten auch keine Stullen dabei. Sie standen schüchtern, ängstlich und bedrückt in einer Ecke des Schulhofes. Keiner beachtete sie oder sprach mit ihnen; sie waren Fremde in unserer Gemeinschaft. Sie waren die ersten Flüchtlinge aus der Lycker Gegend, die in Mohrungen gestrandet waren; leid konnten sie einem tun, wie sie so verloren und ausgeschlossen dastanden.

Schnell holte ich die fünf Dittchen, umklammerte sie fest in meiner Hand und schlich heimlich vom Schulhof. So schnell wie ich konnte, peste ich auf den Marktplatz. Zum Bäcker Geisler, nein, der würde Oma erzählen, wie ich mein Geld verpraßte. Nein, ich mußte zum Bäcker Apfelbaum laufen, der sein Geschäft am Wasserturm hatte. Der hatte so prima Vanillepuddingschnecken, jawoll, die sollten es sein! Los ein bißchen schneller, Marjellchen, sonst wird's zu spät.

Endlich geschafft, die Puste ging mir schon fast aus. Rein in den Laden, die vier Schnecken verlangt, ein kleines Tütchen Himbeerbonbons, und dazu bekam ich noch eine große Tüte Kuchenkrümel. Nun aber schnell zurück, sonst ist die Pause gleich um.

Vorsichtig schlich ich mich auf den Schulhof. Prima, keiner hatte mich vermißt. Eilig verteilte ich die Puddingschnecken an die Flüchtlingsmädchen, die mich erstaunt ansahen, aber dann doch lächelnd und genießerisch die Schnecken mit mir verputzten. Kuchenkrümel und die roten Himbeerbonbons gab es noch als Nachschlag obendrauf. Strahlend sahen mich die drei Mädchen an, und für mich war dies das schönste Pausenbrot. Ich war die Sorge um meinen Reichtum los, die hungrigen Mädchen hatten was zu essen, ich wußte, was es bedeutete, Hunger zu haben, zu teilen und vor allem, wie das ist, wenn einem ein Licht aufgeht.

Jedesmal, wenn ich heutzutage in einer Bäckerei stehe, wandern meine Augen immer wieder zu den Puddingschnecken, und dann denke ich an zu Hause, an die Bäckerei Apfelbaum mit den schmackhaften Vanillepuddingschnecken, und bin in Versuchung, mir eine zu kaufen. Aber ich weiß, sie wird niemals mehr so schmecken wie die vom Bäcker Apfelbaum.