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26.04.03 / Vergangenheitsbewältigung auf litauisch / Uwe Jurgsties berichtet vom Umgang mit der Annexion des Memellandes anläßlich des 80. Jahrestages

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. April 2003


Vergangenheitsbewältigung auf litauisch
Uwe Jurgsties berichtet vom Umgang mit der Annexion des Memellandes anläßlich des 80. Jahrestages

Memels Verwaltung nahm den Jahrestag zum Anlaß, die Angliederung des Memellandes an Litauen zu feiern. Für mich persönlich war dies ein Grund - unabhängig von meiner Tätigkeit als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Memellandkreise -, rein privat nach Memel zu reisen, um zu sehen und zu hören, wie man mit dem Datum umgeht.

An diesem 15. Januar begann der Unterricht an den Schulen der Stadt und des Kreises um 8 Uhr mit Geschichte. Das Thema war, wie kann es auch anders sein, der 15. Januar vor 80 Jahren. Bürgermeister Taras-kevicius nahm in einer Klasse der Simon-Dach-Schule daran teil.

Um 12 Uhr versammelten sich die Bürger, darunter viele Schulklassen, am Theaterplatz zu einer Gedenkveranstaltung am Haus der ehemaligen französischen Präfektur. Der Aufmarsch einer Militärkapelle sowie von Soldaten der Marine und des Heeres hätten bei dieser Kulisse die älteren Memelländer sicherlich an das Jahr 1939 erinnert. Bemerkenswert war, daß plötzlich Bürgermeister Taraskevicius und sein Stellvertreter Pleckaitis, nachdem sie mich auf der anderen Straßenseite inmitten der Menschen stehen sahen, herüberkamen und mich begrüßten. Neben kurzen Ansprachen, dem Hissen der gelb-grün-roten litauischen und der uns Memelländern bekannten grün-weiß-roten Flagge wurde am Haus der ehemaligen Präfektur eine Gedenktafel enthüllt. Von den Marinesoldaten abgefeuerte Salutschüsse beendeten die Feier.

Danach begab man sich in das Museum für die Geschichte des Memellandes. Unser von dem Mannheimer Reiss-Museum abgegebenes Modell der Stadt Memel nach dem Stande von 1939, hergestellt von Georg Grenzt, der heutigen Stadtverwaltung von Memel 1992 zur 740-Jahr-Feier als Dauerleihgabe über- geben, ist dort sehr gut positioniert und von vielen Exponaten aus der Geschichte Memels umgeben. In diesem Haus wurde um 13 Uhr die Ausstellung "Kampf um Klaipeda" im Jahr 1923 eröffnet. Die Ausstellungsstücke belegen den wirklichen Hergang der Ereignisse am 15. Januar 1923 einschließlich der Vorbereitungen der Litauer. Museumsdirektor Gennies sagte ein paar einführende Worte zur Ausstellung, Bürgermeister Taraskevicius und ein Abgeordneter aus Wilna richteten Grußworte an die Anwesenden, und zwei ältere Bürger gaben ihre Erinnerungen an diesen Tag preis. Völlig überraschend kam dann vom Bürgermeister und Museumsdirektor die Aufforderung an mich, doch auch ein paar Worte zu sagen.

Ich gestehe, daß ich - da auch gar nicht darauf vorbereitet - am liebsten rücklings aus dem Fenster gesprungen wäre. Nachdem ich mich schnell gefaßt hatte, beglückwünschte ich den Museumsdirektor zu der gelungenen Ausstellung, bemerkte dann aber, daß wir, die Memelländer und Litauer, was den 15. Januar 1923 angeht, doch unterschiedlicher Auffassung seien und die Meinungen weit auseinandergingen. Wenn man von einer Angliederung sprechen kann, dann höchstens ab 1945, als die Rote Armee Memel besetzte und somit das gesamte Memelland eroberte. Ich vertrat mit dem Bürgermeister einhellig die Meinung, daß Litauen ohne Memel keine Zukunfts- perspektive habe.

Im Konferenzsaal des Hotels Klaipeda fand am Nachmittag ab 14 Uhr eine öffentliche Diskussion zum Thema "Klaipeda 1923-2003, Gewinne und Verluste" statt. Unter der Leitung der Historiker Ceslovas Laurinavicius, Alvydas Nikzentaitis und Vygantas Vareikis kam es zu sehr guten und sachlichen Redebeiträgen. Es war zu keiner Zeit zu befürchten, daß der von C. Laurinavicius zu Beginn geäußerte Wunsch, trotz der wohl unterschiedlichen Auffassungen nicht mit den Fäusten aufeinander loszugehen, nicht in Erfüllung gehen könne, obwohl alle drei Historiker wie auch rund 80 Prozent der Diskussionsteilnehmer von Anfang an die Position von uns Memelländern vertraten, die da lautet, daß es sich um eine Annexion und keinen Aufstand handelte.

Um 16 Uhr fand eine Ehrung der Gefallenen am Denkmal für die sogenannten Aufständischen des Jahres 1923 statt. Zum Abschluß des Tages fand man sich um 18 Uhr zu einem Festakt und Konzert im Musiktheater ein. Gestaltet wurde diese Veranstaltung vom Sinfonieorchester sowie dem Chor und den Solisten des Musiktheaters. Bürgermeister Taraskevicius betonte in seinem Grußwort die Bedeutung des Aufstandes von 1923 für das Memelland und Litauen. A. Z. Kaminskas von der litauischen Regierung verlas ein Grußwort des Ministerpräsidenten Algirdas Brazauskas.

Wenn denn der 15. Januar 1923 für die Litauer beziehungsweise die Bewohner unseres Memellandes von solch großer Bedeutung ist, frage ich mich, warum weder der Ministerpräsident, der Präsident oder ein anderer hochrangiger Staatsvertreter aus Wilna an dem Jubiläum teilgenommen hat? Ist man sich in Wilna etwa zwischenzeitlich bewußt geworden, daß man keine Angliederung feiern kann, schon gar keine 80 Jahre? Hat man sich im Hinblick auf den EU-Beitritt im Jahre 2004 nun doch auf die historische Wahrheit bezüglich der Geschichte des Memellandes besonnen? Selbst Memels Bürgermeister bemängelte während des Festaktes die mangelnde Aufmerksamkeit der Regierung.

In den folgenden Tagen startete man von den Medien eine Umfrage über Sinn und Zweck beziehungsweise das Für und Wider des riesigen Denkmals, das eigens zum Jubiläum an der Börsenbrücke ein- geweiht werden sollte. Außer dem riesigen Betonfundament und ei- ner noch größeren Betonumfas- sung am Dangeufer vor der Börsenbrücke war am Jubiläumstage allerdings noch nichts fertig. Angeb- lich gibt es Lieferschwierigkeiten mit dem aus China georderten Marmor. Nach einem Tag hatten sich 278 Personen für die Denkmalserrichtung ausgesprochen, und beachtliche 780 Menschen dagegen. Die nächsten Tage erbrachten eine immer größer werdende Gruppe von Bürgern, die sich gegen das Denkmal entschieden.

Die Zeitung "Vakaru ekspresas" schreibt in der Ausgabe vom 15. Januar 2003 unter der Überschrift "Werden wir uns unter dem Triumphbogen sicher fühlen?", daß die heftigen Diskussionen um das neue Denkmal kein Ende fänden, und druckt einen Kommentar von Dainius Elertas zu dem Thema ab. "Ein schöner Rückblick auf die Vergangenheit", so der Historiker in seinem Zeitungskommentar, "war die Wie-dererrichtung des Simon-Dach-Brunnens mit der Statue Ännchen von Tharaus. Seine Fortsetzung bildet die im vergangenen Jahr vor dem Bahnhof aufgestellte Komposition ,Der Abschied', die kein Deutschtum deklariert, sondern das historische Bewußtsein fördert. Wertvoll, authentisch ist das Denkmal für die Aufständischen von 1923. Als wahre ,Zeitzeugen' im historischen Sinne wertvoll, jedoch vergessen sind das Ehrenmal für die Soldaten des Ersten Weltkrieges sowie die Kreuze auf dem deutschen Soldatenfriedhof. Für die Stadt ist das Ludwig-Hagen-Denkmal wichtig. Den ,Triumphbogen' bewerte ich negativ. Meiner Meinung nach deutet die Errichtung solcher gigantischen Denkmäler darauf hin, daß die Bürger der Stadt sich immer noch unsicher fühlen und zu beweisen versuchen, daß das Memelland heute wirklich zu Litauen gehöre." Auf der Titelseite dieser Zeitungsausgabe ist unsere Statue "Abschied' abgebildet, mit der folgenden Bildunterschrift: "Die im vergangenen Sommer am Bahnhofsvorplatz enthüllte Komposition ,Abschied' gehört - den Historikern und Künstlern zufolge - zu den gelungensten neuen Denkmälern der Stadt und wurde von den Bürgern der Stadt sehr positiv aufgenom men." Ich meine, ein besseres Kompliment können wir nicht bekommen.

Seit 1923 ein Problem: Der Umgang Litauens mit der Deutschen Geschichte des Memellandes Foto: Archiv