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03.05.03 / Ein kleiner Vorsprung / Frankreich hat bessere ökonomische Daten als Deutschland

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. Mai 2003


Ein kleiner Vorsprung
Frankreich hat bessere ökonomische Daten als Deutschland / Jahrelang hat der deutsche Michel seiner französischen Schwester Marianne auf ökonomischem Gebiet gezeigt, was eine Harke ist. Das Blatt hat sich inzwischen gewendet.

Heute ist Deutschland Wachstums-Schlußlicht in Europa; Ein Musterknabe in Sachen Wirtschaftspolitik ist die Grande Nation dennoch nicht. Seit Mitte der neunziger Jahre läßt Frankreich Deutschland in Sachen Wirtschaftswachstum Jahr für Jahr alt aussehen. Von 1995 bis 2002 legte die französische Wirtschaft real um knapp 18 Prozent zu. Hierzulande betrug das Wachstum in dieser Zeit gerade zehn Prozent. Dabei profitierte die französische Wirtschaft insbesondere von der Kauflust der Bürger und der Investitionsbereitschaft heimischer Unternehmen.

Im Jahr 2002 gaben die Franzosen preisbereinigt fast 17 Prozent mehr aus als sieben Jahre zuvor. Die Deutschen zeigten sich genügsamer mit einem Konsum-Plus von nicht einmal zehn Prozent im selben Zeit-raum. Besonders weit klaffte die Investitionsfreude auseinander. Die französischen Firmen stockten ihre Ausrüstungsinvestitionen seit 1995 um 46 Prozent auf, das war mehr als doppelt so viel, wie die deutschen Unternehmen draufsattelten. Die Bauinvestitionen waren hierzulande sogar rückläufig, während in Paris, Marseille, Lyon und Co. zuletzt gut zwölf Prozent mehr gebaut und modernisiert wurden als 1995. Deutschland stützte sich in den vergangenen Jahren fast ausschließlich auf seine traditionelle Exportstärke.

Seit 1995 haben die realen Ausfuhren um gut 62 Prozent zugenommen - ein Vorsprung gegenüber Frankreich, und zwar der einzige, von fast zwölf Prozentpunkten. Seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts stieg die Beschäftigung in Frankreich um 7,9 Prozent, hierzulande entstanden gerade einmal 3,4 Prozent zusätzliche Arbeitsplätze. Entsprechend kräftig verminderte sich im Nachbarland die Arbeitslosigkeit. Die für die internationale Vergleichbarkeit standardisierte Arbeitslosenquote ging in Frankreich von ihrem Höchststand 1996 um ein Viertel auf 8,8 Prozent im Jahr 2002 zurück. In Deutschland lag sie mit 8,1 Prozent zwar etwas niedriger, hat sich gegenüber ihrem 97er Rekordniveau von 9,7 Prozent aber längst nicht so stark reduziert. Daß sich die Wirtschaft an Seine und Rhône in den zurückliegenden Jahren besser entwickelte, beruht in erster Linie darauf, daß Deutschland die Wiedervereinigung noch immer nicht verdaut hat: Sanierungsbedürftige Häuser und kaputte Straßen in Ostdeutschland hatten den Bauunternehmen gut gefüllte Auftragsbücher beschert, Steueranreize den Bauboom zusätzlich befeuert. In den alten Bundesländern kurbelten Zuwanderer aus Osteuropa die Bautätigkeit an. Die Branche hatte folglich gut zu tun und setzte Speck an, gerade im Osten. Der Abbau der Überkapazitäten sorgt aber seit Jahren für einen Schrumpfkurs. Anders in Frankreich: Dort standen die Bagger und Kräne besonders zwischen 1998 und 2000 kaum still. Die Bauinvestitionen entwickelten sich sogar weitaus dynamischer als im übrigen Europa - besonders im Vergleich zu Deutschland:

Klammert man die Bauinvestitionen aus, wäre Frankreich in den Jahren von 1995 bis 2002 nur um 3,6 statt 7,6 Prozentpunkte stärker gewachsen als Deutschland - ein jahresdurchschnittlicher Vorsprung von nicht einmal einem halben Prozentpunkt. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre flossen noch immer netto etwa 4 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung als Transfers - von Arbeitslosengeld bis Wirtschaftsförderung - nach Mitteldeutschland. Niedergeschlagen hat sich das vor allem in höheren Sozialversicherungsbeiträgen. Seit 1990 kletterten die Beitragssätze zur Sozialversicherung von insgesamt 35,6 Prozent über 39,3 Prozent 1995 auf 41,3 Prozent im vergangenen Jahr - und das trotz Ökosteuer. Eine solche Abgabenlast engt den Spielraum der Unternehmen für Investitionen ein, und die Menschen haben weniger Geld zum Ausgeben im Portemonnaie. Den Franzosen ist es da deutlich besser ergangen: Die Sozialversicherungsbeiträge konnten sogar heruntergeschraubt werden. Für Geringverdiener etwa führen die Arbeitgeber schon seit Anfang der neunziger Jahre weniger an die Sozialsysteme ab. Die Ökonomen der Europäischen Kommission haben ausgerechnet, daß die deutsche Wirtschaft ohne die zusätzliche Abgabenlast seit Mitte der neunziger Jahre im Schnitt um 0,3 Prozent jährlich stärker hätte expandieren können. Seit 1995 kosteten die verei- nigungsbedingten Transfers also über zwei Prozentpunkte Wachs-tum. Beide Sonderfaktoren zusammen, zum einen die gesundschrumpfende Bauwirtschaft und zum anderen die höhere Abgabenbelastung, liefern schon fast die komplette Erklärung für das schwache hiesige BIP. Ansonsten hätte Deutschlands Rückstand auf das französische Wirtschaftswachstum in den zurückliegenden sieben Jahren durchschnittlich nur bei 0,2 Prozentpunkten gelegen. Lediglich 1998 und 1999 hätte Frankreich auch dann einen stolzen Vorsprung gehabt, wenn es die Wiedervereinigung mit ihren Folgen nicht gegeben hätte. In den darauf folgenden Jahren geriet der Wirtschaftsmotor jedoch auf beiden Seiten des Rheins ins Stottern. Reformen stehen also hier wie dort aus. Selbst im Krisenjahr 2002 mußten französische Unternehmen weniger Jobs abbauen als hiesige. Der Grundstein dafür wurde einige Zeit zuvor gelegt: Die Lohnstück- kosten entwickelten sich im vergangenen Jahrzehnt - mit Ausnahme der Jahre 1996, 1997 und 2001 - zwischen Pyrenäen und Ärmelkanal - wesentlich moderater als hierzulande. Vor allem zu Beginn der neunziger Jahre, als die Arbeitskosten der Produktivität in Deutschland auf einen Schlag um sechs Prozentpunkte davoneilten, konnte Frankreich sich einen Vorteil erarbeiten. Kein ganz so glückliches Händchen bewiesen die französischen Wirtschaftspolitiker in puncto Arbeitsmarktflexibilisierung. Negativ zu Buche schlägt auch, daß Entlassungen erschwert wurden und 1998 die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eingeführt wurde. Unterm Strich war das Ergebnis jedoch positiv: Im Jahr 2002 standen mehr Menschen in Lohn und Brot als 1995. Die steigende Kauflust der Pariser Bevölkerung und ihrer Landsleute basiert auf der steigenden Beschäftigung.

Für Deutschland ist es trotzdem nicht empfehlenswert, den Nachbarn einfach nachzuahmen. Dieser ist zwar in mancher Hinsicht auf einem guten Weg, ringt aber noch immer mit starken Fesseln des Arbeitsmarkts. So setzt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die strukturelle Arbeitslosigkeit in Deutschland mit 7,3 Prozent wesentlich niedriger an als in Frankreich mit 9,3 Prozent. Dort hat sie sich zuletzt dank der zaghaften Reformen reduziert, hierzulande hingegen erhöht. Iwd