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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. Mai 2003 |
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Gedanken zur Zeit: Die Wanze an der Jacke von Wilfried Böhm Beim überwiegend sozialistischen Establishment in der Europäischen Union (EU) hat der liberale dänische Regierungschef Anders Fogh Rasmussen für künstliche Aufregung gesorgt und einen diplomatischen "GAU" ausgelöst, wie ebenso aufgeregte Journalisten kolportieren. Hat er doch auf angeblich unfeine Art und Weise ein kleines an seinem Revers angebrachtes Mikrofon benutzt, um publik zu machen, was europäische Großkopfeten unter vier Augen von sich geben. Wie die Tageszeitung Die Welt unter der Überschrift "Die Wanze des Herrn Rasmussen" in einem wahrscheinlich für die Bild-Zeitung bestimmten Beitrag schreiben ließ, wurden die "geheimen Mitschnitte" im Rahmen einer dreiviertelstündigen Sendung im dänischen Fernsehen zum besten gegeben. Obwohl Fernsehaufnahmen, wie jedermann weiß, im allgemeinen mit Bild und Ton aufgenommen werden, spekulierte Die Welt, Rasmussen und ganz Dänemark könnten nun in Europa ins Abseits geraten und "zum Paria werden". Endlich, so scheint es, hat "Europa" einen Skandal, über den man sich so richtig aufregen kann. Aber welche aufregenden Enthüllungen sind es denn, die über das Mikrofon Rasmussens publik geworden sind? Da fragte zum Beispiel der dänische Außenminister Moeller seinen Chef im Zusammenhang mit dem möglichen Beitritt der Türkei zur EU: "Hab ich Dir schon gesagt, daß Joschka Fischer innerhalb von zwölf Stunden dazu drei verschiedene Meinungen hat? Er hat mir gesagt, daß unbedingt die eine oder andere Form der Angliederung gefunden werden müsse, aber daß die Türkei niemals Mitglied der EU sein wird." Rußlands Staatspräsident Putin sagte auf Fragen zum Krieg in Tschetschenien unwirsch: "Banditen", und Frankreichs Chirac bekannte Angst vor den französischen Bauern, und deswegen dürfe an den Agrarsubventionen nicht gerüttelt werden. Rasmussen, der vor Jahren mit seinem Buch "Vom Sozialstaat zum Minimalstaat" Furore machte, hat mit seinem Mikrofon viel Brüsseler Staub aufgewirbelt und sich Ärger eingehandelt, aber er hat auch, sicher ungewollt, die Kluft zwischen nichtssagend staatsmännischem Gehabe in der Öffentlichkeit und der Realität des politischen Geschäfts öffentlich und auf diese Weise menschlich gemacht. Wenn darüber solche Aufregungen entstehen, ist es kein Wunder, daß sich die "politische Klasse" und die Bevölkerung nicht nur in der Form, sondern mehr noch im Inhalt des gesellschaftlichen Lebens auseinanderent-wickelt haben. Das Auseinanderklaffen der politischen Vorstellungen der Bürger und deren Aufnahme und Umsetzung durch die Politik ist so groß geworden, daß zu Recht von einer Vertrauenskrise gesprochen werden kann. In doppelter Hinsicht lieferten unlängst die Ergebnisse der repräsentativen Online-Umfrage "Perspektive Deutschland" eindrucksvolle Beweise für diese These. Unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten a. D. von Weizsäcker hatten McKinsey & Company, Stern, T-Online und ZDF diese Initiative gestartet, bei der über 356.000 Teilnehmer ihre Meinung über Zustand und Reformbedarf von 22 deutschen Institutionen abgaben. Für die Parteien und den Bundestag war das Ergebnis schlimm, erreicht doch das Vertrauen in sie einen Tiefpunkt. Sie schneiden im Vergleich zu allen anderen Institutionen des öffentlichen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Lebens (wie zum Beispiel ADAC, Diakonie, Caritas, Greenpeace bis hin zu Arbeitgebern und Gewerkschaften) mit Abstand am schlechtesten ab. Lediglich drei Prozent der Bürger haben "hohes Vertrauen" in ihn und nur sieben Prozent bewerten seine Aufgaben- erfüllung mit "gut". Diese Befragung betraf naturgemäß nur Personen, die über einen Internet-Anschluß verfügen und von sich aus mitgewirkt haben. Sie hat aber dennoch aufgezeigt, wie schlecht sich die Bürger von der Politik verstanden fühlen. In zweiter Hinsicht liefert die Befragung mit ihrem politischen Fragekatalog zugleich den Beweis für die mangelnde Bereitschaft der Fragesteller selbst, über das in den Augen der Bürger festgefahrene gegenwärtige Parteiensystem hinaus zu denken. Wer die auf Parteien gestützte parlamentarische Demokratie erhalten und ausbauen will, muß die Innovation des Wahlrechts, also der Spielregeln des Zugangs zum Parlament und damit zur politischen Wirksamkeit, ebenso betreiben wie die Einführung plebiszitärer Elemente in die Verfassung. Die mit fünf Prozent viel zu hoch angesetzte Sperrklausel verhindert jede Innovation und fördert die scheinbare "Stabilität" eines stiftungsgestützten Kartells privilegierter "Bundestagsparteien" mit staatlicher Parteienfinanzierung, wie es in der Welt ohnegleichen ist. Hinzu kommt die alles entscheidende Medienwirksamkeit, die praktisch nur den Bundestagsparteien zugestanden wird. Die in der Befragung "Perspektive Deutschland" zum Ausdruck kommende Distanz der Bürger zu den Parteien ist darauf zurückzuführen, daß die Bürger seit Jahrzehnten gezwungen sind, entweder Wahlenthaltung zu üben oder immer wieder dieselben Parteien als "kleineres Übel" zu wählen, weil ihre Stimmen sonst "in den Papierkorb fallen". So konnte gegen den Willen der Bürger, von denen heute noch 73 Prozent in DM rechnen, diese Währung auf dem Altar Europas geopfert werden, so konnten jahrzehntelang Milliarden an Netto- zahlungen nach Brüssel fließen. So wurde jede Reform des föderalistischen Systems blockiert und so entstand das, was als "Reformstau" zu Recht beklagt wird. Unter den posttotalitären Bedingungen unserer Zeit und in der erwiesenen Unempfindlichkeit unserer stabilen Demokratie gegenüber extremistischen Versuchungen haben die Absenkung der Sperrklausel und fest umrissene und begrenzte plebiszitäre Elemente als Mittel zur Sicherung und Reform der auf Parteien gestützten parlamentarischen Demokratie ihre große Bedeutung. Sie fördern den Begründungszwang und die Offenheit der Politik gegenüber den Bürgern. Sie entsprechen im übrigen nach Form und Inhalt dem europäischen Standard, der nicht nur über die Mikrofone des Herrn Rasmussen zu den Bürgern gelangen sollte. Die Befragung "Perspektive Deutschland" hat zwar den Mund gespitzt, aber nicht gepfiffen. |