28.03.2024

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03.05.03 / Der Musikverleger Bernd Widmer über Volkslieder und ihre Zukunft

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 03. Mai 2003


Interview: Mit Liedern durchs Leben
Der Musikverleger Bernd Widmer über Volkslieder und ihre Zukunft

Herr Widmer, Sie sind u. a. als Musikverleger tätig. Einen Schwerpunkt im Angebot Ihrer Firma "Schallquelle" machen CDs mit Volksliedern aus. Da finden sich Winter- und Weihnachtslieder, Lieder der 1848er Revolution, Soldatenlieder oder Lieder aus der Jugendbewegung. - Haben deutsche Volkslieder noch Zukunft?

Widmer: Zunächst muß man erklären, was unter ‚Volkslied' zu verstehen ist. Jede Zeit hat ihre eigenen Lieder. Zum Volkslied werden Lieder erst mit einigem Abstand, nämlich dann, wenn sie von zahlreichen Sängern aufgegriffen wurden und durch vielfachen Gesang über Jahre und Jahrzehnte hinweg ihren "Schliff" bekommen haben. Natürlich ist in Zeiten, in denen es noch keine "Musikkonserven" gab, also Tonträger aller Art, viel mehr gesungen und musiziert worden. Dennoch wird immer gesungen werden, solange es Geschichte und Geschichten gibt, Menschen und Schicksale.

Somit können auch heutige Schlager oder Popsongs Volkslieder werden?

Widmer: Das will ich grundsätzlich gar nicht ausschließen. Der Übergang ist fließend. Früher war das übrigens nicht anders, denn vieles von dem, was uns als uralte Volkslieder erscheint, sind tatsächlich relativ junge Schöpfungen. Sie wurden vor etwa hundert Jahren durch den Wandervogel oder bis zur Zäsur von 1968 durch die Jugendmusikbewegung geschaffen bzw. wiederentdeckt. Entscheidend für ein Volkslied ist doch, da? es vom Volk gesungen wird - im Chor, in der Kneipe, bei der Arbeit oder bei Festen und Feiern jeder Art. In seiner Vielgestaltigkeit kennt es keine Grenzen.

Also müssen beim Volkslied alle klaren Definitionsversuche scheitern?

Widmer: So einfach ist das auch wieder nicht. Es gibt durchaus Kriterien, die einen beispielsweise zwischen echten Volkliedern und Stücken der "volkstümlichen Musik" unterscheiden lassen. Während erstere von alleine wachsen, liegt der Maßstab für die volkstümliche Musik im materiellen Bereich. Es handelt sich um Titel, die in kurzer Zeit möglichst viel Geld erwirtschaften sollen.

Mich interessiert alles, was nicht eigens für ein Unterhaltungspublikum geschaffen wurde. Das können historische Lieder sein, aber auch solche jüngeren Datums.

Meine Vision ist es, daß Volkslieder in Deutschland auch in einem professionellen Umfeld bearbeitet werden und sich Komponisten und Künstler unserer Tage seiner annehmen. Man kann solches beispielsweise in Rußland sehen oder in Irland, wo es einen ständigen Übergang von Elementen der traditionellen Volkslieder in die aktuell existierende, erlebbare Musikszene gibt.

Man muß das Volkslied unbedingt vom Image des Verstaubten freimachen. Bei den Produktionen für die "Schallquelle" versuche ich, traditionelle Liedinhalte mit einer modernen Instrumentierung und Satzgestaltung zu verbinden.

Wo sind deutsche Volkslieder heute besonders lebendig, das heißt wo sind sie noch ein selbstverständlicher Teil des Familien- und Alltagslebens?

Widmer: Am lebendigsten sind sie wohl in der Alpenregion. In Bayern oder Österreich ist die ganze Palette der Volksmusik vertreten.

Das beinhaltet die traditionelle Volksmusik unzähliger Familienmusiken, Blasmusik im Bierzelt, aber auch die volkstümliche Musik und reicht bis zu neuen Kreationen, wie denen von "Biermösel Blosn" oder anderen auch überregional bekannten Gruppen, deren Werke sich sozusagen organisch aus dem traditionellen Liedschaffen heraus entwickelt haben.

Volkslieder leben dort, wo sie gesungen werden, angefangen bei den Familien bis hin zu verschiedensten Gemeinschaften, die es zusammenzuhalten hilft.

... zum Beispiel den ostdeutschen Vertriebenengruppen - Schlesiern, Pommern, Ostpreußen usw.

Widmer: Genau. Gerade bei deren Heimatgebieten handelt es sich um reichhaltige Musiklandschaften. In besonderem Maße gilt das für Ostpreußen, was für mich Anlaß war, im letzten Jahr gemeinsam mit dem in Hamburg ansässigen "Arbeitskreis Nordostdeutsche Musik" die CD Zogen einst fünf wilde Schwäne... mit 24 Liedern aus Ostpreußen zu produzieren.

Hier sind Stücke zusammengetragen, die von der Eigenart dieses Grenzlandes erzählen und teils sogar - wie das vor der Vertreibung entstandene Titellied - als Schicksalslieder eines ganzes Volksstammes gedeutet werden können.

Haben Sie selbst Wurzeln im Osten?

Widmer: Ich bin '69 in Schwaben geboren und dort aufgewachsen. Auch meine Eltern sind Schwaben, jedoch aus weit entfernten Siedlungen in Palästina und Bessarabien.

Was kann man tun, damit das Volkslied nicht bald nur noch ein Kapitel unserer kulturellen Vergangenheit ist?

Widmer: In den Archiven wird das Volkslied-Erbe mit Sicherheit für kommende Generationen überleben können. Mir ist allerdings viel wichtiger, daß überhaupt gesungen wird und Volkslieder wieder eine größere Verbreitung finden. Dabei sind traditionelle Lieder bedeutsam, weil sie unsere Geschichte widerspiegeln und dazu beitragen, diese im Bewußtsein zu halten und unsere Vorfahren besser zu verstehen.

Doch neben den älteren Liedern, deren gemeinschaftliches Singen auch den Nährboden für Neuschöpfungen bereitet, haben selbstverständlich Stücke neueren Datums Platz, geschaffen mit den Ausdrucksformen unserer Zeit.

Beispiele?

Widmer: Man denke an einige Kinderlieder von Rolf Zuckowski oder einzelne Dichtungen der Umweltschutzbewegung. Es stimmt sehr traurig, daß heutzutage immer weniger gesungen wird. Einer Studie zufolge haben Ärzte festgestellt, daß die Stimmen von Kindern im Vergleich zu früher mittlerweile oft schon eine andere Tonlage angenommen haben, weil in ihrem jungen Leben der Gesang fehlte.

In den Schulen muß das gemeinsame Singen wieder mehr gepflegt werden. Auch auf Veranstaltungen aller Art sollte man ganz selbstverständlich gemeinsam singen, das heißt zum Beispiel mit einem Lied beginnen und schließen. Im Handel gibt es alle erdenklichen Liederbücher in immer neuen Auflagen und natürlich die verschiedensten Tonträger. Auf dieser Grundlage kann so gut wie jeder mit dem Singen von Volksliedern beginnen. Zuerst daheim, indem man beispielsweise seinen Kindern jeden Abend etwas zum Schlafen vorsingt oder die Enkel mit lustigen Liedern erfreut.

Auch das bewußte Anstimmen jahreszeitlicher Lieder bietet sich an: jetzt im Frühjahr natürlich die vielen schönen Frühlingslieder. In fast jeder Familie findet sich außerdem jemand, der in der Lage ist, diese mit der Flöte oder Gitarre oder auf dem Klavier zu begleiten.

Selbst kann ich es mir gar nicht vorstellen, ohne Lieder durch den Tag zu kommen. Vor allem in bezug auf unsere Kinder, die sich durch kaum etwas anderes leichter trösten oder begeistern lassen. Es wäre eine nicht auszudenkende Verarmung menschlichen Lebens, wenn die Welt keine Lieder mehr hätte.

Danke für das Gespräch! 

(MS)

Kontakt: Die Schallquelle. Musik - Buch - Video, Bodmanstr. 6, 87435 Kempten, Tel.: 0831-5125417, Fax: 5125418