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10.05.03 / Schuldig sind auch die Schwachen / Das Völkerrecht steht auf sehr labilem Fuße - Das Recht des Stärkeren greift durch

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 10. Mai 2003


Schuldig sind auch die Schwachen
Das Völkerrecht steht auf sehr labilem Fuße - Das Recht des Stärkeren greift durch
von Klaus Hornung

Das hier als Motto vorangesetzte Wort des griechischen Geschichtsschreibers Thukydides in seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg soll darauf aufmerksam machen, daß in Geschichte und Politik nicht nur "die Starken" Verantwortung tragen und gegebenenfalls "Schuld" auf sich laden, sondern auch "die Schwachen" wegen ihrer Schwäche. Wahrscheinlich wäre zum Beispiel der Zweite Weltkrieg verhindert worden, wenn die beiden Westmächte gegen Hitler zureichend gerüstet gewesen wären und nicht unter dem Druck ihrer pazifistischen Massen eine Politik der Beschwichtigung betrieben hätten. Auch heute kann der moralische Zeigefinger gegen die Militärintervention der Bush-Regierung im Irak als Alibi für eigene Schwäche erscheinen.

Da ist zunächst die mangelnde Bereitschaft vieler Europäer, sich wenigstens im Ansatz um das Verständnis der durch den 11. September 2001 tief gewandelten Bewußtseinslage der Amerikaner zu bemühen. Seit dem amerikanischen Bürgerkrieg vor 140 Jahren hatten sie keinen Krieg im eigenen Haus mehr erlebt und sich "hinter den Wällen des Ozeans" sicher gefühlt. Dieses Sicherheitsgefühl wurde durch den 11. September nachhaltig erschüttert und von einem neuen Bedrohungsbewußtsein abgelöst.

Damit verbindet sich eine wachsende Kritik an den Vereinten Nationen. Die Amerikaner erinnern sich an die schmähliche Geschichte des alten Genfer Völkerbundes, dessen kaum zwanzigjährige Geschichte zwischen 1920 und 1939 ein einziges Trauerspiel gewesen war, die Geschichte eines zahnlosen Tigers, der in dieser Zeit keine einzige Aggression zu verhindern vermocht hatte. Eben dieser Eindruck eines zahnlosen Tigers verstärkte sich nun in den USA im Blick auf die Vereinten Nationen, denen es offensichtlich nicht gelungen war, 17 Resolutionen gegen die totalitäre Diktatur im Irak Nachdruck zu verleihen und ihnen Taten folgen zu lassen. Aus amerikanischer Sicht (nicht nur der Regierung in Wa-shington, sondern auch der öffentlichen Meinung) wurde das Register eklatanten Versagens der "Weltgemeinschaft" gegenüber Saddam Hussein immer länger, auch wenn man den Vorwurf des Besitzes von "Massenvernichtungswaffen" nicht für bare Münze nimmt und das Interesse Israels in Rechnung stellt, einen gefährlichen militärischen Gegner in seinem Rücken auszuschalten.

Der US-Regierung wird vorgeworfen, sie habe mit ihrer Militär-Intervention einseitig das Völkerrecht gebrochen; völkerrechtlich legitime Gewaltanwendung könne nur vom Weltsicherheitsrat beschlossen werden. Wenn diese These stimmen sollte, müßte man folgern, daß solches Völkerrecht auf einem recht unsicheren, unzuverlässigen, labilen Fundament beruht - und dies in einer ständig gefährlicher werdenden globalen Situation. Es hatte sich nämlich ein grundlegendes strukturelles Problem der Vereinten Nationen als "Souverän" der internationalen Gewaltanwendung enthüllt: Die erforderliche Einstimmigkeit der fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats als dem Organ völkerrechtlich legitimierter Gewaltanwendung erweist sich bei näherem Hinsehen als schwankendes Rohr.

Der Mechanismus mag bei zweit- und drittrangigen Konflikten funktionieren, nicht jedoch in Konflikten, bei denen eine der fünf Vetomächte ernsthaft involviert ist und gegebenenfalls vitale Interessen beansprucht. Mit anderen Worten: Das Veto einer der fünf Mächte genügt, um die Handlungsfähigkeit der "Staatengemeinschaft" aufzuheben und die Konfliktlösung "herkömmlichen" Methoden und Vorgehensweisen zu überlassen. Das Recht der Staatengemeinschaft, mit dem genannten Abstimmungsmechanis-mus über Krieg und Frieden zu entscheiden, gleicht einem stumpfen, hölzernen Schwert. Es kann letztlich über die "Anarchie der Staatenwelt" nicht triumphieren. Es als absolut sicheren Anker in den Widrigkeiten dieser Welt zu verstehen, ist eine Fiktion.

Ihr liegen weitere, die Probleme verschleiernde Faktoren zugrunde. Da ist die prinzipielle Rechtsgleichheit aller Mitglieder der Staatengemeinschaft, der Großen und der Kleinen, der Schwachen und der Mächtigen im Spektrum zwischen San Marino oder Luxemburg einerseits und den USA oder Chinas andererseits.

Da ist ferner eine heuchlerische Praxis, die das Völkerrecht zum toten Buchstaben werden läßt, wenn sie den Besitz von Massenvernichtungswaffen den einen stillschweigend zubilligt (den Großen Fünf im Sicherheitsrat ohnedies, aber auch etwa Israel, Pakistan, Nordkorea), den anderen aber verwehrt, eine durchsichtige Hinnahme der "normativen Kraft des Faktischen", mehr eine Verschleierung künftiger Konflikte (Nordkorea!) als ein Ansatz zu rechtlicher Hegung der Proliferation.

Und schließlich ist auch noch die Fiktion zu bedenken, die darin besteht, daß die heutige Zusammensetzung der fünf Veto-Mächte im World Security Council auf die Festschreibung der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs im Sommer 1945 zurückgeht und der internationalen Mächtekonstellation von heute, 50 Jahre später, nicht mehr entspricht, die die Repräsentation ganz neuer großer Staaten - etwa Indiens, Indonesiens, Japans, Südafrikas, Nigerias, Pakistans oder Brasiliens - erfordern würde. Deren Auswahl könnte freilich geeignet sein, eher die Büchse der Pandora internationaler Konflikte zu öffnen als der friedlichen Repräsentation der Mächte und Weltregionen zu dienen.

Fazit: Es reicht nicht, alle "Schuld" am jetzigen Weltzustand allein dem Starken zuzuweisen, heute also den Vereinigten Staaten und ihrer öl- und machtversessenen derzeitigen Administration. Der anfangs zitierte Satz des Thukydides spricht auch von Verantwortung und Schuld der Schwachen. Mit anderen Worten: Was nützt alle moralische Anklage, aller Zorn über die "Arroganz der Macht" in der imperialen Republik jenseits des Großen Teiches, wenn man in Europa nicht bereit und in der Lage ist, die machtpolitische und damit auch militärische Kluft zwischen den USA und Europa, die in den zurückliegenden Jahrzehnten entstand, so weit als irgend möglich durch zielführende eigene Anstrengungen zu schließen? Die Alternative zu den Rufen nach "Frieden!" in Europa wäre es, einen Teil des individuellen Wohlstandes zu opfern, um ein besseres Gleichgewicht der Kräfte in der Welt (siehe Thukydides) wiederherzustellen.

Als konkretes Beispiel könnte ein Hinweis dienen, den Peter Scholl-Latour in seinem jüngsten Buch "Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?" (2. Auflage 2002) gibt. Der Autor, gewiß kein "Vasall" der Amerikaner, weist auf die rund 100 Milliarden DM hin, die vor einigen Jahren aus den UMTS-Lizenzen in den Bundeshaushalt flossen, letztlich also in das löchrige Faß unserer Wohlstandsgesellschaft. Niemand in der Berliner Regierung kam damals auf den Gedanken, wenigstens drei Milliarden davon in die Bundeswehr und damit in unsere Bündnis- und Konfliktfähigkeit zu stecken. Wie idiotisch heute in Deutschland Ressourcen verteilt und verschwendet werden, geht auch daraus hervor, daß wir uns allein unsere welteinmalige Asylpolitik noch immer weit über 30 Milliarden DM kosten lassen, im Verteidigungshaushalt jedoch um Beträge unter einer Million leidenschaftlich gefeilscht wird.

Und was die durch den "Friedenskurs" der Regierung Schröder/Fischer lädierten deutsch-amerikanischen Beziehungen anlangt: Man stelle sich ein wohlstandspazifistisches Europa vor, das dem militanten Islamismus allein und ohne Rückhalt der USA gegenüberstünde. Al Qaida könnte dabei mit einigen Anschlägen auf dem Frankfurter Flughafen, in Unterführungen und Parkhäusern nachhelfen: Die Hissung der weißen Tücher zwischen Berlin, Paris und London, wenn nicht gleich der Grünen Fahnen des Propheten, zuerst an evangelischen Kirchen, unter Hinweis auf die gemeinsamen abrahamitischen Wurzeln der beiden Religionen, wäre programmiert. Der christlich-islamische Dialog würde das Seine dazu beitragen. Auch solches Szenario kann vielleicht dazu verhelfen, die Realitäten des deutsch-amerikanischen und europäisch-amerikanischen Verhältnisses wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.

In den deutsch-amerikanischen Beziehungen neigen bei uns viele entweder zur Verhimmelung alles Amerikanischen als "Brave New World" oder zu seiner Verteufelung als eines schlimmen Profit- und Ölkapitalismus. Die notwendige Wiederanknüpfung des deutsch-amerikanischen Bündnisfadens sollte auf deutscher Seite im Zeichen einer gewissen Nüchternheit stehen, einer vernünftigen, von beiderseitigen Interessen geprägten "Mitte" zwischen säkularreligiöser Bewunderung des American Way of Life und einer Verteufelung der Hegemonialmacht!