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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. Mai 2003 |
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Minderheitenpolitik: Chancen und Grenzen Zur Situation der Deutschen in Serbien und Ungarn von Egon Jüttner MdB In Serbien herrscht nach der Ermordung von Ministerpräsident Zoran Djindjic Ausnahmezustand, der für den Besucher vor allem durch die zahlreichen Polizeisperren sichtbar wird. Diese erwiesen sich aber für den Verfasser während seiner Reise Mitte April in bezug auf die Kontaktaufnahme zu Politikern und Vertretern der deutschen Minderheit nicht als hinderlich. Von den einst 540 000 Deutschen in Serbien, die vornehmlich in der Wojwodina lebten, gibt es heute noch etwa 5000. Die deutsche Minderheit hat sich in mehreren Vereinen organisiert; die größten sind der "Deutsche Verein Donau" in Neusatz (Novi Sad), der "Deutsche Volksverband" in Maria-Theresiopel (Subotica) und der "Deutsche Volksverband in Sombor". Alle drei werden durch das deutsche Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium des Innern (BMI) unterstützt. Der Verein in Neusatz erhält in diesem Jahr über das AA 5000 Euro zur Anschaffung von Geräten für sein Mitteilungsorgan Die Nachrichten, und der Verein in Sombor bekommt eine Fernseh-, Video-, Satelliten-Grundausstattung für die örtliche Begegnungsstätte. In Subotica finanziert das BMI mit 172 000 Euro den Kauf und die Renovierung eines Gebäudes, in dem eine Begegnungsstätte eingerichtet werden soll. Im Unterschied zur deutschen Volksgruppe in Ungarn, wo es auch nach 1945 geschlossene Siedlungsgebiete gab, leben die Deutschen in Serbien seit Kriegsende verstreut. Dies erschwert den Erhalt ihrer kulturellen Identität, zumal viele der Jüngeren in ethnisch gemischten Familien aufwuchsen, in denen die Sprache und Kultur des nichtdeutschen Partners dominierten. Umso wichtiger ist die Arbeit der deutschen Vereine. Vor gut einem Jahr wurde für Serbien und Montenegro ein Gesetz zum Schutz der Rechte und Freiheiten der nationalen Minderheiten verabschiedet. Es sieht größere Einflußmöglichkeiten im Bildungs- und Kulturbereich vor und ermöglicht die Gründung eines Nationalen Minderheitenrates mit konsultativen Funktionen. Allerdings fehlen bisher weitgehend die Durchführungsverordnungen zu dem Gesetz. Außerdem haben noch nicht alle Minderheiten ihre vorgesehenen Nationalräte gewählt. Bei den Deutschen stellt sich das Problem, daß nur 3901 Personen offiziell erfaßt sind, jedoch für die Organisation eines Nationalrats mindestens 3000 Unterschriften aus der sich zur deutschen Minderheit bekennenden Bevölkerung vorliegen müssen. Ein wichtiges Thema ist auch die Forderung nach Aufhebung der AVNOJ-Beschlüsse vom 21. November 1944. Auf diesen Beschlüssen des "Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens" (AVNOJ) bauten gesetzliche Regelungen des Jahres 1945 auf, die die kollektive Enteignung der Deutschen Jugoslawiens und den Verlust ihrer staatsbürgerlichen Rechte verfügten und Grundlage waren für Vertreibung, Internierung, zwangsweise ethnische Umerziehung und Massentötungen. Eine Vorreiterrolle bei der Aufhebung dieser diskriminierenden Dekrete hat das Parlament der Autonomen Provinz Wojwodina. Es verabschiedete am 28. Februar dieses Jahres mit großer Mehrheit eine Resolution, in der die Organe der Wojwodina, der Republik Serbien und der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro aufgefordert werden, die AVNOJ-Beschlüsse außer Kraft zu setzen. Das Verfassungsgericht Serbiens lehnte am 20. März einen entsprechenden Antrag des Deutschen Vereins "Donau" mit der Begründung ab, daß es hierfür nicht zuständig sei. Die Bundesrepublik sollte deshalb ihren Einfluß geltend machen, damit eine Aufhebung der Beschlüsse erfolgt. Ein weiteres Anliegen der Minderheit sind Erleichterungen bei der Visabeantragung zum Besuch von Verwandten in Deutschland. Zwar hat die Deutsche Botschaft in Belgrad den Vereinen die Möglichkeit eingeräumt, Sammelanträge für Visa einzureichen, so daß den Antragstellern das Warten in der Schlange erspart bleibt. Darüber hinaus sollte aber die Möglichkeit für günstige Jahresvisa sowie eine Visaerteilung für Erntehelfer geschaffen werden. Bedeutsam ist außerdem der Wunsch nach Errichtung von Gedenkstätten an Orten, an denen Donauschwaben unter furchtbaren Umständen starben. Ein Beispiel ist Gakowa (Gakowo) in der westlichen Batschka. Dort gab es ein Konzentrationslager, in dem mindestens 8500 der insgesamt 17 000 Lagerinsassen durch Hunger, Krankheit, Erschießungen und Folter ums Leben kamen. Die Toten liegen neben dem Friedhof unter einer Wiese, die zwischenzeitlich eingezäunt wurde. Die "Donauschwäbische Gemeinschaft" sammelt Spenden, um zunächst ein Großkreuz zu errichten und mit Votivtafeln und Inschriften die Nachwelt an die schrecklichen Ereignisse in diesem Vernichtungslager zu erinnern. Später soll dort eine Gedenkstätte errichtet werden, in der man über die Donauschwaben der gesamten Wojwodina von der Ansiedlung bis zur Vertreibung in deutscher wie in serbischer Sprache informieren will. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland an diesem Projekt finanziell beteiligen würde. In Ungarn haben sich nach der Volkszählung vom Februar 2001 62 233 Menschen zu ihrer deutschen Nationalität bekannt, während insgesamt 88 416 Personen angaben, sich der ungarndeutschen Tradition und Kultur verbunden zu fühlen. Damit sind die Ungarndeutschen nach den Roma die zahlenmäßig zweitstärkste Minderheit. Deutschland unterstützt sie durch die Ausstattung gemeinschaftsfördernder Projekte wie beispielsweise über 200 Begegnungs- und Altentagesstätten. Herausragende Projekte sind das Schülerwohnheim an der deutsch-ungarischen Schule in Fünfkirchen (Pecs) und das "Haus der Ungarndeutschen" in Budapest. Die jährliche Unterstützung durch das BMI beträgt etwa 800 000 Euro. Eindrucksvoll ist ferner das "Ungarndeutsche Bildungszentrum" in Frankenstadt (Baja) mit seiner deutsch-ungarischen Abteilung, die über einen bilingualen Zweig mit integriertem Unterrichtsprogramm und bikulturellem Schulziel verfügt. Die Absolventen erhalten nach einer kombinierten Abiturprüfung zwei Abiturzeugnisse: das Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife der Bundesrepublik Deutschland und das Abiturzeugnis des Nationalitätengymnasiums der Republik Ungarn. Der zweisprachige Fachunterricht wird durch deutsche und ungarische Lehrkräfte erteilt. Eine weitere wichtige Einrichtung ist das "Nikolaus-Lenau-Haus" in Fünfkirchen. Es ist Sitz des Kulturvereins Nikolaus Lenau e.V., der 1985 als erster unabhängiger ungarndeutscher Verein der Nachkriegszeit gegründet wurde, und der regelmäßig Literaturabende und Lesungen, Ausstellungen, Sprachkurse und Fortbildungen organisiert. Der gelegentlich in den Reihen des Bundesinnenministeriums geäußerten Auffassung, man müsse die Förderung nach dem EU-Beitritt Ungarns der Höhe und der Dauer nach reduzieren, muß energisch widersprochen werden. Obwohl die ungarndeutsche Minderheit insgesamt gut in die ungarische Gesellschaft integriert ist, bedarf es weiterhin der finanziellen Unterstützung gemeinschaftsfördernder Projekte, da die Hilfe durch die Republik Ungarn sehr bescheiden ist. Der Staat engagiert sich stark für madjarische Volksgruppen im Ausland, während er den inländischen Minderheiten nicht in gleichem Maße finanzielle Förderung bereitstellt. Die deutsche Minderheit ist eine von 13 in Ungarn auf der Grundlage des 1993 verabschiedeten "Gesetzes über die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten" anerkannten Minderheiten. Danach können auf Kommunal- und Provinzebene gewählte Selbstverwaltungen geschaffen werden. Bei Entscheidungen, die die Minderheiten betreffen, genießen diese konsultative Rechte. Sie können Informationen anfordern, Einwände gegen Einzelentscheidungen erheben und sich vor allem in der Traditionspflege und im Bildungswesen engagieren. Mit dem Gesetz von 1993 bekennt sich der ungarische Staat zu seinen ethnischen Minderheiten und ermöglicht ihnen das Recht auf freie Entfaltung ihrer Identität. Die deutsche Volksgruppe nimmt die Möglichkeiten wahr, arbeitet vorbildlich und präsentiert sich - anders als in Serbien - geschlossen. Trotzdem muß darauf hingewiesen werden, daß es in dem vom Ausland oft gelobten Gesetz gravierende Lücken gibt, zum Beispiel im Hinblick auf die parlamentarische Vertretung der Minderheiten, aber auch hinsichtlich von Mißbräuchen. So ist es möglich, daß Personen, die einer bestimmten Minderheit nicht angehören, dennoch für diese kandidieren, um ein Mandat und die damit verbundenen Fördermittel zu erhalten. Ein weiteres Problem für die Minderheiten ist es, daß Leitungspositionen von Ungarn besetzt sind, die nicht immer ein offenes Ohr für ihre Interessen haben. Das zeigt sich u. a. daran, daß im Grunde nichts getan wird, den Zugang der Minderheiten zu den Medien (zum Beispiel tägliche Rundfunksendungen) entscheidend zu verbessern. Es ist von daher ratsam, daß deutsche Politiker in Gesprächen mit ungarischen Kollegen anstatt undifferenziert von einer vorbildlichen Minderheitengesetzgebung zu sprechen, auch auf die Schwachstellen hinweisen und die Ungarndeutschen bei ihrem Streben nach mehr Kulturautonomie unterstützen. Der Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Egon Jüttner (CDU) bereiste vom 13.-17. April Serbien und Ungarn, um dort Gespräche mit Politikern und Vertretern deutscher Minderheiten zu führen. Donauschwäbische Geschichte und Gegenwart: Grab aus der Ansiedlungszeit in Nadasch (Mecseknádasd) und Ungarndeutsche in Altglashütte (Obánya) Fotos: Hailer-Schmidt |