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17.05.03 / Egal ob Heimat oder Neuland / Ein Bericht von Horst Glass über eine Reise ins nördliche Ostpreußen, die bleibende Eindrücke hinterlässt

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 17. Mai 2003


Egal ob Heimat oder Neuland
Ein Bericht von Horst Glass über eine Reise ins nördliche Ostpreußen, die bleibende Eindrücke hinterlässt

In Königsberg zum zweiten Mal ..." beginnt ein Gedicht von Joachim Ringelnatz, das mit den Zeilen "... So möchte' ich gern in Königsberg begraben sein und leben ..." endet.

Voller Erwartungen startete in Dortmund eine Reise nach Königsberg, zu der sich 40 Personen, zum Teil einander fremd, bis Berlin-Schönefeld zusammenfanden.

An dem ersten Tag dieser Reise ging es über die Grenzstelle Kolbasko zunächst nach Köslin, wo verschiedene Fahrtteilnehmer nicht zum ersten Mal nächtigten. Am nächsten Tag ging es zunächst nach Danzig, wo ein Stadtrundgang durch die nach Kriegsende wieder aufgebaute Innenstadt den Teilnehmern dieser Exkursion einen Eindruck der vielhundertjährigen Geschichte dieser Hanse- und Residenzstadt der ostpommerschen Herzöge vermittelte. Durch das Danziger Niederungsgebiet gelangte man danach weiter in Richtung Königsberg. Nach dem Pas- sieren von Elbing ging es weiter auf der landschaftlich schönen Haffstrecke über Cadienen und Tolkemit zum innerostpreußischen Grenzübergang bei Grunau. Da sich hier der Grenzwechsel als problematisch erwies, erfolgte die Einreise in das Königsberger Gebiet schließlich über den Übergang Bartenstein / Preußisch Eylau. Etwa um 23.30 Uhr russischer Zeit wurde die ostpreußische Hauptstadt erreicht, wo die Gruppe bereits erwartet wurde. Nach dem Bezug der Zimmer versöhnte das Abendessen die Gruppe, die nun für sieben Nächte hier wohnen sollte.

Am Vormittag des ersten Tages in der geschichtsträchtigen Pregelstadt stand zunächst eine Rundfahrt durch das einstige Stadtzentrum und einige Vororte auf dem Programm. Recht erfreulich war, feststellen zu können, daß die Restaurierung des im 14. Jahrhundert erbauten Königsberger Domes derart enorme Fortschritte gemacht hat, daß sie wahrscheinlich bis zur 750-Jahr-Feier in drei Jahren wieder Symbol und Zeugnis des Fleißes seiner Bürger sein wird. Abgeschlossen wurde die Stadtrundfahrt mit dem Besuch des Bernsteinmuseums im Dohnaturm, ehe im Hotel Moskau, dem einstigen Nordstern-Versicherungsgebäude, das vorbereitete Mittagessen eingenommen wurde. Der Rest des Tages stand dann zur freien Verfügung.

Für den nächsten Tag stand eine Rundfahrt von über 300 Kilometern Länge auf dem Programm, welche die Gruppe bis zur Memel führte. Von Königsberg ging es über Labiau Richtung Tilsit. Bei der Fahrt durchfuhr der Bus Landstriche, die vor über 50 Jahren geprägt waren von bäuerlichem Fleiß, nun jedoch weitflächig ungenutzt sind und sich wieder in jenen natürlichen Urzustand zurückzuverwandeln scheinen, der vor der Erschließung durch holländische Siedler hier geherrscht hat.

In Tilsit wurde bei einem Stadtrundgang manche Erinnerung an die deutsche Geschichte lebendig. Vor rund 200 Jahren wurde diese Stadt nicht nur bekannt durch den Tilsiter Frieden, sondern auch durch die Begegnung von Preußens Königin Luise mit dem Franzosenkaiser Napoleon Bonaparte. Vorbei am Geburts- haus von Max von Schenkendorf ging es zur Kö- nigin-Luisen-Brücke, die dem Vernehmen nach von Litauern und Russen wieder in der alten Bauweise hergestellt werden soll.

Nach einem Picknick im Frei- en an der Memel wurde durch das breite Instetal als nächstes Ziel Insterburg angefahren. In der während der Kämpfe um Ostpreußen 1945 stark zerstörten Stadt durchfuhr die Gruppe zum Teil erhaltene Wohngebiete. Auf dem Gelände des ehemaligen Friedhofes besuchte die Gruppe den Gedenkstein für das Ännchen von Tharau, wo der Tamara-Königsberg-Chor dann die erste Strophe des Liedes von Simon Dach und Heinrich Albert vortrug.

Zurück nach Königsberg ging es über Tapiau, wo die Reisenden dar-über aufgeklärt wurden, daß sich hier eine Nervenheilanstalt befunden hat, die heute, welche Merkwürdigkeit, dem russischen Militär als Unterkunft dient.

Der nachfolgende Tag stand den Reiseteilnehmern für eigene Erkundungen in ihren alten Wohngebieten in der und um die Pregelstadt zur Verfügung.

Ein besonderes Erlebnis sollte am nächsten Tag die Fahrt nach Pillau und die Rückfahrt über Palmnicken und Rauschen werden. Nachdem der Besuch des ersten preußischen Marinehafens beantragt, bezahlt und genehmigt worden war, wurde rasch die Straßensperre passiert. Zunächst ging es zum Parkplatz nahe dem nach Schinkel-Plänen erbauten Leuchtturm. Hier erinnerte sich mancher Reisende der eigenen Flucht aus Ostpreußen 1945. An der Stelle, da einst das Denkmal des Großen Kurfürsten nach Westen blickend seinen Platz hatte, steht heute ebenfalls westwärts blickend ein Standbild Peters des Großen, der vor Jahrhunderten Rußlands Fenster nach Europa öffnete.

Einer kurzen Seefahrt durchs Pillauer Tief nach Neutief und zurück ohne Aussteigen folgte dann ein kurzer Gang vorbei an erhalten gebliebener Bausubstanz zur Kirche und Zitadelle, bevor es zu einem weiteren Stopp im Bereich des Seetiefs ging. Hier standen etwa eineinhalb Stunden Zeit für eigene Vorhaben zur Verfügung. Der im vorletzten Jahr angelegte und hervorragend gestaltete Ehrenfriedhof für während der Flucht und der Zeit danach Umgekommene wurde dabei ebenso besucht wie der Strand bei der Nordmole, wo auch Bernstein in Ministücken gefunden wurde.

Nach dem Erlebnis Pillau ging es weiter zum Ehrenfriedhof für die im Samland gefallenen deutschen Soldaten. Hier lauschten die Versammelten am Ehrenkreuz dem Gesang eines russischen Frauenchores. Auch das dem deutschen Friedhof gegenüberliegende russische Ehrenmal wurde besucht, das auch an nutzloses Sterben erinnert, wie überhaupt europa- und weltweit an solchen Orten hingewiesen wird auf menschliche Dummheit entgegen dem Gebrauch der eigenen Vernunft.

In Palmnicken wurde die sogenannte große Grube für die Bern-steingewinnung angefahren, in deren blauer Erde das Gold der Ostsee Jahrmillionen schlummerte, ehe Menschen daraus Schmuckstücke zu gestalten begannen.

Ein besonderes und wahrscheinlich auch unvergeßliches Erlebnis war am nachfolgenden Tag die Fahrt auf die Kurische Nehrung, die ein Kleinod ganz besonderer Art war und ist. Ungeachtet aller staatlichen Zugehörigkeiten hat hier die Landschaft allen widrigen Geschehnissen zum Trotz ihr Antlitz sich bewahrt, und jeder Besucher dieses schmalen Landrückens zwischen Kurischem Haff und Ostsee begreift schnell und gern die Schönheit dieser Landschaft.

Daß auch die russische Administration diese Schönheit als erhaltenswert begriffen hat, wird erkennbar an der Sperre am Nehrungs-

beginn, wo nur Fahrzeugen und Personen mit amtlicher Genehmigung der Zutritt zu diesem Naturwunder gestattet wird.

Erstes Nehrungsziel war das Museum für dieses Gebiet, das mehr als eine rasche Information bot, denn die Museumsangestellte verstand es, Jahrhunderte lebendig werden zu lassen. Ein Gedenkstein in deutscher und russischer Sprache erinnerte nahe dem Museum an den ostpreußischen Segelflugpionier Ferdinand Schulz, der hier in den frühen zwanziger Jahren seine Weltrekorde über der Kurischen Nehrung geflogen hat. Später stürzte er mit einem Motorflugzeug über Stuhm ab.

Von hier ging es weiter zur Vogel-

fangstation der 1901 von Johannes Thienemann gegründeten Vogelwarte Rossitten, die heute von Ornithologen der Universität Petersburg geführt wird. In Rossitten selbst wurde anschließend das Gotteshaus der Gemeinde besucht, in dem ein Minichor die Gruppe mit ihrem Gesang positiv überraschte. Danach fuhr die Reisegruppe ein Restaurant an der Nehrungsstraße an, wo hervorragend zubereiteter Fisch, aber auch ein Wodka zur Begrüßung den Gästen gut mundete.

Auf der Weiterfahrt zum Endziel Hohe Düne bei Pillkoppen wurden dann drei russische Grenzsoldaten an Bord genommen. Ihre Glatzköpfigkeit erklärten diese jungen Burschen mit dem nahen Ende ihrer zweijährigen Dienstzeit, denn 100 Tage vor der Entlassung aus dem Heeresdienst gehört die Totalschur zum Ritual noch soldatischen Lebens.

Während nun der eine Teil der Gruppe sich für den Aufstieg zur Hohen Düne entschied und der andere Teil für den Gang zur Ostsee, brachte der Busfahrer die jungen Leute noch schnell bis zur nahen Grenzstation. Dort schenkte ihn einer der geschorenen jungen Männer ganz spontan sein Grenzsolda-tenabzeichen, das er sich hierzu von der Uniform riß.

Etwas wehmütig gestaltete sich der Abschied von der Kurischen Nehrung, denn so langsam ging ja auch die Zeit des Aufenthalts in Königsberg und dem nördlichen Ostpreußen ihrem Ende entgegen. Einem Teil der Reisegruppe bot allerdings der Abend dieses Tages noch ein besonderes Erlebnis, ein Kammerkonzert in der Philharmonie, der ehemaligen katholischen Kirche zur Heiligen Familie auf dem Oberherberg. Es war ein erlebnisreiches Mozart-Konzert, geleitet von einer englischen Dirigentin, das mit stürmischem Beifall belohnt wurde.

Für den letzten Tag stand für die Zeit von 9 bis 15 Uhr noch eine Fahrt nach Rauschen auf dem Programm. Sie bot den Teilnehmern "Ostsee pur". Viel zu schnell vergingen auch hier die Stunden vor der Rückfahrt nach Königsberg. Noch einmal eine Fahrt durch die grünenden Alleen des Samlandes zum Hotel am Pregel, wo an diesem Abend die Koffer gepackt wurden. Es war für manchen Reiseteilnehmer auch das Abschiednehmen von alten oder neuen Freunden in der Stadt, denn was den sogenannten Politikern allenthalben in Europa und der übrigen Welt bis heute nie gelungen ist, gelang den Menschen dieser Reisegruppe hervorragend, nämlich menschliche Kontakte zu knüpfen.

Nach insgesamt acht Tagen hieß es nolens volens zumindest vorläufig Abschied nehmen. Durch die Vorstädtische Langgasse, vorbei an Dom und Börse ging es durch das Brandenburger Tor in Richtung alte Reichsstraße 1. Diesmal glückte der Grenzübertritt an der Grenzstelle Grunau. Über Elbing, wo sich zwei Reisende nach Masuren verabschiedeten, ging es flott weiter nach Marienburg, wo eineinhalb Stunden zur Verfügung standen, im äußeren gut restaurierten Burgbereich das eine oder andere zu unternehmen. Nach diesem Halt ging es in rascher Fahrt weiter nach Schneidemühl, wo die letzte Nacht auf dieser Reise verbracht wurde.

Obwohl dann am zehnten Tag der Aufbruch nach Küstrin sehr zeitig erfolgte, sollten bei diesem Grenzübertritt, ähnlich wie bei jenem vom zweiten Reisetag, die Nerven noch einmal auf eine harte Probe gestellt werden. Diesmal waren es allerdings weniger die polnischen Grenzbeamten, auf deren Konto eine Wartestunde ging, als vielmehr die deutschen Grenzschützer, die volle zwei Stunden für die Abfertigung von zwei Bussen brauchten, die dann auch noch auf einem Parkplatz unerledigt abgestellt wurden.

Noch bei Tageslicht endete dann in Dortmund eine Reise, die erwartungsvoll begonnen hatte und sicher den Beteiligten manche Wünsche erfüllt hat, ohne Unterschied, ob sie in ihre Heimat gefahren waren oder aber Neuland entdeckt hatten.

Fahrt auf der Kurischen Nehrung: Ein besonderes und wahrscheinlich auch unvergeßliches Erlebnis Foto: Glaß