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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 31. Mai 2003 |
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Eine Frage der Macht Interview mit Gesamtmetall-Chef Martin Kannegießer von Jürgen Liminski In der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie stehen die Zeichen auf Arbeitskampf. Die Urabstimmung ist angelaufen, mit Streik muß gerechnet werden, und das zu einem Zeitpunkt, da die deutsche Wirtschaft sich alles andere als kostspielige Streiks leisten kann. Das wissen eigentlich alle, auch die Tarifpartner, dennoch streben sie lemmingehaft den Arbeitskampf an. Eine Schlichtung scheint ausgeschlossen. Jedenfalls kann sich der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegießer, das "nicht vorstellen". Er begründet diese Einschätzung damit, daß "die IG Metall und wir bedauerlicherweise auf zwei völlig unterschiedlichen Ebenen denken und operieren". Die IG Metall wolle, so sagt der Arbeitgeber-Vertreter im Gespräch mit dieser Zeitung, "jetzt schon den Fahrplan und die Details für eine Angleichung der Arbeitszeiten, also aus ihrer Sicht eine Verkürzung um drei Wochenstunden, vereinbaren. Nach unserer Meinung kann man erst dann angleichen, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen gleich sind. Man kann nicht vorher durch Beschlußlage festlegen, wann denn wohl die wirtschaftlichen Bedingungen so weit sind." Das Bemühen um eine Einigung ist vorhanden. "Wir untersuchen alle objektivierbaren Kriterien, die auch verhandelbar sind." Aber die Gewerkschaften sind offensichtlich der Meinung, daß wirtschaftliche Prozesse von Anfang bis Ende lenkbar sind, während die Arbeitgeber dies nur sehr begrenzt für machbar halten. Hier offenbart sich ein grundsätzlich anderes Denken über Wirtschaft. Kannegießer: "Der eine will erst Voraussetzungen schaffen und darüber Vereinbarungen treffen, wie dieser Prozeß erfolgen soll, der andere will aber schon sofort einsteigen. Solange man also auf so unterschiedlichen Ebenen operiert und denkt, wüßte ich nicht, was wir mit einer Schlichtung anfangen sollen und wie man da zusammenkommen will." Diese grundsätzlich unterschiedliche Haltung erschwere jeden Kompromiß. Eine Kompromißlinie sieht Kannegießer deshalb auch nicht. "Schon heute sind in Ostdeutschland die Jahresarbeitszeiten und die Wochenarbeitszeiten deutlich nied-riger als in den wichtigsten Wettbewerbsländern. Die Frage nach der Gerechtigkeit darf sich also nicht auf die Frage innerhalb Deutschlands verkürzen. Sondern die Frage muß zwischen Volkswirtschaften sein, die miteinander im Wettbewerb stehen und die miteinander in ihrer Leistungsfähigkeit vergleichbar sind." Kannegießer glaubt nicht, daß der Arbeitskampf an sich für die IG Metall ein Ziel sei. Das könne kein vernünftiger Mensch in dieser schwierigen Phase in Deutschland der Wirtschaft, den Betrieben und den Arbeitnehmern speziell im Osten der Bundesrepublik Deutschland antun wollen. Die IG Metall sei "jetzt in diese Situation hineingeschlittert, weil für sie organisations- und machtpolitische Fragen im Vordergrund stehen". Es gebe deshalb auch einen Zusammenhang zwischen der Haltung der IG Metall in diesem konkreten Tarifkonflikt und der Haltung der Gewerkschaftsspitze gegenüber der Reformagenda 2010. "Wir beobachten seit einiger Zeit mit wirklich großer Besorgnis in den letzten Wochen, daß in den öffentlichen Auftritten der IG Metall diese ganze Problematik vermischt wird, weil man versucht, diesen Tarifkonflikt zu emotionalisieren. Wir meinen, daß das ein Spiel mit dem Feuer ist." Es gehe bei dem Tarifkonflikt um eine sachlich sehr schwierige Frage, "nämlich darum, ob der Aufbau Ost fortgesetzt werden soll oder ob wir riskieren, abzustürzen und ihn abzubrechen". Kannegießer schließt aus, daß die Instrumentalisierung dieser Frage für den Widerstand gegen die Reformagenda 2010 geplant gewesen sei. Dagegen spreche, daß die Diskussion um die Angleichung der Arbeitszeit schon einige Jahre zurückreiche. Die IG Metall habe darüber gesprochen und ihre Forderung gestellt, "als die Agenda 2010 noch keine Rolle gespielt hat. Es ist sicherlich nicht so, daß es bewußt so angelegt worden ist. Aber der eine oder andere Gewerkschaftsfunktionär scheint eben der Versuchung nicht zu widerstehen, Emotionalisierung zu erreichen, indem er die Themen miteinander vermischt." Dieser Machtkampf der Gewerkschaften fällt zusammen mit einem anderen Tarifereignis. Im öffentlichen Dienst ist die Tarifgemeinschaft aufgekündigt worden. Die Frage steht im Raum: Ist die Zeit der Konsensmethode, ein deutsches Vorzeigemodell und Element der sozialen Marktwirtschaft, vorbei? Der Präsident von Gesamtmetall denkt offenbar seit einiger Zeit über diese Entwicklung nach. Er ordnet sie zunächst ein in die heutigen Umstände "wirklich großer wirtschaftlicher Bedrohung und Gefährdung, in der unser Lebensstandard abzustürzen droht". Deutschland befinde sich "auf einer gefährlichen Gratwanderung. Dass bei einer solchen Gratwanderung natürlich in besonderer Weise Konflikte aufbrechen, wenn bestehende Systeme finanziell überfordert werden, sei es unsere Betriebe, sei es die öffentlichen Kassen, sollte niemanden wundern". Solche Gegensätze müssten ausgefochten werden. Hier könne man nicht "um des lieben Friedens willen Positionen einfach zukleistern". Gesellschaftlich gesehen gehe es aber "letztlich um den Zusammenhalt". Die einzelnen Parteien müssten "immer am Ende zusammenfinden". Die Frage heute sei, so Kannegiesser, ob es "noch die richtigen Parteien sind, wenn diese dazu nicht mehr in der Lage sind. Sie sehen das im Öffentlichen Dienst, wo Tarifgemeinschaften modifiziert, verändert und aufgekündigt werden. Dasselbe wird dann möglicherweise auch bei uns passieren. Dann suchen sich die Probleme andere Organe. Wenn die alten Organe nicht mehr in der Lage sind, die Probleme unserer Zeit hautnah zu lösen, dann müssen neue her. Das ist nun einmal in jeder gesellschaftlichen historischen Entwicklung so. Wenn eine bestehende Organisationsform nicht mehr die Probleme lösen kann, dann ändern sich dadurch nicht die Probleme, dann müssen sich die Organisationsformen verändern und damit auch die handelnden Personen". In diesem Zusammenhang sieht Kannegiesser auch die Zukunft des Flächentarifvertrags gefährdet. Das sei ein Instrument, das "sich über Jahrzehnte in Deutschland entwickelt hat, und das ohne Frage für den größten Teil der Betriebe Vorteile mit sich bringt". Es habe den "grundsätzlichen Vorteil, dass es Konflikte unmittelbar aus den Betrieben entfernt hält. Aber diese Vorteile dürfen nicht mit einer finanziellen und materiellen Überforderung der Betriebe bezahlt und erkauft werden. Ein Flächentarif ist kein Zweck an sich". Die Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer und die Betriebe sollten "vernünftig und fair" geregelt werden. Diese Aufgabe werde es immer geben und man werde es hier und da auch immer mit Interessengegensätzen zu tun haben. "Aber wenn es permanent nur um des Friedens willen zu einer finanziellen Überforderung der Betriebe führt, dann ist ein solches Instrument nicht mehr tauglich". |