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31.05.03 / Gottfried Loeck über Wilhelm von Boddien und seinen Kampf um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 31. Mai 2003


Ein Engagement, das Berge versetzt
Gottfried Loeck über Wilhelm von Boddien und seinen Kampf um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses

Zu den Persönlichkeiten, deren "panzerbrechender" Charme uns seit Jahren imponiert, zählt Wilhelm von Boddien. Von seinen ihm kulturell und ideell weit unterlegenen Gegnern jahrelang nur als "das Schloßgespenst" geschmäht, ließ sich der Repräsentant eines zivilisierten Großbürgertums nicht von der kühnen Idee abbringen, das 1952 gesprengte beziehungsweise abgetragene Berliner Stadtschloß wieder aufzubauen.

Daß er mit einem derart wahnwitzigen Plan keineswegs nur auf Begeisterung traf, die ideologiebewußten Erbsenzähler im Lande sofort auf die damit verbundenen Kosten verwiesen, die Kommunisten gar das alte Preußen wieder auferstehen sahen, Meinungsmacher wie die Wochenzeitung Die Zeit die Befürworter verhöhnten, das Vorhaben als "reaktionärste Schnapsidee der Gegenwart" abkanzelten, verstärkten nur noch mehr seine Zielstrebigkeit und Begeisterungsfähigkeit. In der Argumentation schnörkellos und überzeugend, vermied er es geschickt, zusätzliche Gegnerschaft zu erzeugen. Dank seiner Hartnäckigkeit und Leidenschaft ist es dem 1942 mehr "zufällig" in Stargard in Pommern geborenen, heute in Bargteheide lebendem Unternehmer gelungen, zunächst nahezu alleine mit wenigen ganz kleinen Schritten, seit dem 4. Juli letzten Jahres sogar mit einem Bundestagsbeschluß, den Wiederaufbau zu betreiben. Damit die kühne Idee eines derartigen Projektes auch in den Köpfen der Berliner, der Deutschen gegenwärtig vorstellbar wird, zauberten Boddien und seine Freunde 1992 aus dem Nichts eine anschauliche Schloßattrappe aus Plastik im Maßstab eins zu eins. Daß Boddien dafür nicht auf öffentliche Gelder von Bund oder Land hoffen konnte, war ihm vorher durchaus klar. Aber daß viele Mitbürger, die den riesigen Kubus im Stadtbild erlebten, sich fortan der Initiative anschlossen, überzeugte ihn nur noch mehr von der Richtigkeit seines Vorhabens. So etwas in heutiger Zeit ausschließlich durch Spendengelder zu finanzieren stimmt zumindestens ein paar der vielen Lauen, Entscheidungslosen im Lande nachdenklich und erzielt mitunter sogar bei den Gegnern Eindruck. Im unmittelbaren Kontrast zum benachbarten häßlichen Nachlaß der "ruhmreichen DDR" sollte der Bürger darüber entscheiden, wie die offene Wunde im Stadtbild optisch am besten zu schließen sei.

Berlin, nur Parvenü unter den bedeutenden Hauptstädten Europas, weist keine Ruinen einer frühen Zivilisation auf, kennt keine romanischen Kirchen oder gotischen Kathedralen. Bis Berlin sind die Römer nicht gekommen. Seine Stadtarchitektur hatte bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts allenfalls regionale Bedeutung. Erst der vermutlich 1659 in Danzig geborene Andreas Schlüter verlieh der verschlafenen Residenzstadt ein interessanteres Gesicht, eine Mitte. Vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., dem späteren König Friedrich I., als Bildhauer nach Berlin berufen, ist er bis heute durch zahlreiche Denkmäler, wie beispielsweise das bronzene Reiterstandbild des Großen Kurfürsten und die Mas-ken der sterbenden Krieger im Lichthof des Berliner Zeughauses, präsent. 1698 wurde ihm die ehrenvolle Aufgabe übertragen, das kurfürstliche Renaissanceschloß auf der Spreeinsel, das aus mehreren uneinheitlichen Bauteilen bestand, zu einem Palast umzubauen, der die neu erlangte Königswürde gebührend zum Ausdruck bringt. Obwohl Schlüter beim Bau des Schlosses 1707 in Ungnade fiel, weil der von ihm entworfene Münzturm an der nordwestlichen Ecke des Schloßkomplexes auf Grund des überaus komplizierten Baugrundes zusammenbrach, wurde das Berliner Stadtschloß Schlüters architektonisches Hauptwerk. Daß er seinem König nur als "Schluter, der schelm, der den turm so verdorben gebauet" in Erinnerung geblieben ist, hat den bedeutenden Baumeister und Künstler zeitlebens tief gekränkt.

Über die Standfestigkeit des übrigen Bauwerks herrscht trotz des moorigen Untergrundes kein Zweifel. Erst zweieinhalb Jahrhunderte später erlitt das Hohenzollernschloß infolge des Zweiten Weltkrieges erhebliche Beschädigungen. Obwohl auch das Schloß nach 1945, ähnlich dem Charlottenburger Schloß, hätte wieder aufgebaut werden können, sorgten Ideologieblindheit im Ostteil der Stadt und Niveaulosigkeit bei den politisch Verantwortlichen für seine Sprengung beziehungsweise Abtragung. Die Rückbesinnung auf Preußen und seine Ideale respektive der Abglanz von einst sollten "verschwinden". Genosse Ulbricht ließ spren- gen, um auf dem freiwerdenden Areal "den Aufbauwillen des Sozialismus demonstrieren zu können".

Die so entstandene häßliche Brache gegenüber dem Lustgarten, die bis heute mitunter als Park- oder Rummelplatz genutzt wird, gilt es seither sowohl optisch als auch geistig zu erschließen. Boddiens zähes, mehr als fünfzehnjähriges Bemühen, mit der Rekonstruktion des Stadtschlosses endlich den einzig sinnvollen Abschluß der Traditionsachse "Unter den Linden" zu schaffen und das historische Hohenzollern-Ensemble städtebaulich zu vollenden, das trotz Bundestagsbeschluß weiterhin bekämpft und verzögert wird, erscheint in dieser Republik keineswegs ungewöhnlich. Kritische Beobachter behaupten sogar, daß nur, weil zwischen 1933 und 1945 keine einzige politische Veranstaltung im Schloß stattgefunden, keine NS-Größe das Schloß betreten hat, die schärfste Waffe der gutdeutschen Gewissenspfleger gegen einen Wiederaufbau des Ensembles stumpf blieb. Derzeit einflußreiche Berliner Politiker, wie beispielsweise die Genossen Wowereit oder Fierl, die im Gegensatz zu vielen Berlinern ideologisch bei 1952 stehengeblieben sind, werden von den Fakten hoffentlich schon bald genauso überholt wie die sperrigen Sprüche: "Ein Schloß sollte man nicht klonen" oder "Deutsche Vergangenheit - gemeint sind natürlich nur die Jahre von 1933 bis 1945 - wird nur akzeptiert, wenn man die Lücke akzeptiere". Wenig überzeugend erscheint auch das gebetsmühlenartig vorgetragene Gegenargument, nach dem eine Rekonstruktion des Schlosses sowohl unhistorisch als auch unauthentisch sei, als einzig richtige Lösung deshalb nur eine Bebauung ganz im Gewand der zeitgenös- sischen Architektur in Frage kom-me.

Daß Wilhelm von Boddiens Noblesse und Überzeugungskraft die Umkehr der öffentlichen Meinung nicht allein bewirkt hat, er viele angesehene Mitstreiter, wie zum Beispiel Wolf Jobst Siedler, Joachim Fest, Goerd Peschken, begeistern konnte, gehört zu seinen stillen Verdiensten. Weil sein freiwilliges und selbstloses Engagement von keinem politischen oder wirtschaftlichen Hintergedanken zwanghaft unterlegt ist, er an "keinem Stuhl sägt" beziehungsweise kein politisches Amt anstrebt, er für die Landmaschinen seines Betriebes in Berlin keinen lukrativen Markt sieht, erfährt er zusätzliche Anerkennung. Andererseits weiß auch der Idealist, daß ein so gewaltiges Vorhaben nur gelingen kann, wenn es von der Politik und einer erspürbaren Bevölkerungsmehrheit als nationale Aufgabe verstanden wird. Weil in Berlin sporadisch selbst bei einem derartigen Symbol der nationalen Selbstfindung Stimmen laut werden, die es vergleichbar in Warschau, Wien oder München nicht gäbe, bedarf es immer wieder unserer Unterstützung und zustimmenden Begleitung. Was beim Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden an zustimmender Begeisterung spürbar wurde, gilt es nun auch auf das Berliner Stadtschloß zu übertragen. Die Auflehnung gegen das weitverbreitete Vergessen war selten umsonst, wenn viele Köpfe und breite Schultern bereit waren, sich mit Wissen und Herz einzubringen, Eine lebendige Minderheit kann scheintote Mehrheiten mobilisieren. Wer für eine gute Sache kämpft, kann verlieren, wer aber nur mit dicken Backen zuschaut, hat schon verloren. Von Antoine de Saint-Exupéry stammt der Satz: "Der Mensch ohne mittuende Verantwortung zählt nicht."

Wer in heutiger Zeit gemeinsam mit seiner Frau fünf Kinder verantwortlich großzieht, einen mittelständischen Wirtschaftsbetrieb erfolgreich leitet, es aus selbstauferlegter Verantwortlichkeit wagt, "gegen den Strich des Zeitgeistes zu bürsten", und sich einer solchen Mammut-Aufgabe innerlich verpflichtet sieht, vor dem kann man nur anerkennend den Hut ziehen. Seine norddeutsche Heimat und eine über Jahrhunderte reichende Familiengeschichte gaben ihm jene verbindliche Hartnäckigkeit mit, mehr zu tun als nur die Pflicht.

Imposante Fassade: Blick über die Lange Brücke auf das Berliner Stadtschloß. Links ist das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten zu sehen. Nach einer zeitgenössischen Darstellung von 1848.
Foto: Ullstein

Wilhelm von Boddien Foto: Archiv