18.04.2024

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31.05.03 / Saal frei!

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 31. Mai 2003


Saal frei!
von Eva Pultke-Sradnick

Manchmal kommt immer alles anders, als man denkt. Hannes schob seine Hände in die Hosentaschen und ballte sie zu Fäusten. Damlige Marjellens, dachte er mißgestimmt. Jetzt wartete er schon eine geschlagene Stunde. Er klappte den Joppenkragen hoch, ihm fing an schubbrig zu werden. Der leise Ärger setzte sich zuerst in seinem Kopf fest und begann sich dann über das Herz bis zu den Zehenspitzen auszubreiten. Natürlich entschuldigte er seine Bärbel gleichzeitig. Es mußte wohl was dazwischen gekommen sein, denn bis jetzt waren diese Treffen immer noch ihrer beider Geheimnis. Vielleicht hatte die Kuh gekalbt, vielleicht war jemand krank geworden, eventuell sie selber. Der Gedanke versetzte ihn in leichte Panik, und er begann, ihr tausend Liebesworte zu geben, und nahm alle vorher gehabten schlechten Gedanken zurück.

Sie wird doch nicht all wo wieder weg sein, dachte er erschreckt. Gewiß, auch er war fünf Minuten zu spät gekommen. Aber was sind schon fünf Minuten? Schließlich war er aus Pitzlauken, das waren immerhin sechs Kilometer, mit dem Rad hergekommen. Er wäre ja auch pünktlich gewesen, wenn Kalli, sein jüngster Bruder und Beestkrät in einem, ihm nicht die Luft aus den Reifen gelassen und die Luftpumpe versteckt hätte. Erst in der vergangenen Woche sah sein Vorderrad wie eine Acht aus, ein Chausseebaum hatte Kalli im Weg gestanden. Dafür hatte er wohl eine Abreibung verdient. Aber Kalli wußte von seinem geheimen Treffen mit Bärbel, und so waren sie zu einer stillen Übereinkunft gekommen: "Du schimpfst nicht und ich sag nuscht."

Wo Bärbel nur blieb? Es war doch Sonntag! Der Ostwind war kalt, und die Enttäuschung nagte an seinem Selbstbewußtsein. Was wäre, wenn sie ihn versetzt hätte, ihn vielleicht gar nicht mehr wollte? Petermanns Gerhard, der mit seinem Ganterhals, der machte ja schon seit Wochen Stielchenaugen, um ihr zu gefallen, aber dem würde er es zeigen ... Ehe er das zuließ, da würde eher der Spirdingsee austrocknen. Anschließend würde er aber dann auswandern müssen, weil ihn die Polizei suchte, weil er dem Petermann nämlich den Schwanenhals zugedrückt hätte. Er erschrak über seine Gedanken, Gewalttätigkeiten lagen ihm doch gar nicht. Aber keine Sorge, grinste er insgeheim, du Petermann wirst mal in deinem Bett sterben, so wie ich auch.

Wieder sah er sich nach allen Seiten um, hoffend, daß Bärbel endlich kommen würde. Und wirklich, da schimmerte doch etwas Rotes durch die Bäume. Das ist sie, das ist sie, jubelte er in seinem Inneren. Und sie hatte wieder den bunten Rock an, den er so an ihr liebte. Sein Herz klopfte wild, und am liebsten wäre er ihr entgegengelaufen, aber so einfach wollte er es ihr nicht machen. Er setzte eine ärgerliche Miene auf. Sie sollte wissen, daß man mit ihm so nicht umgehen konnte.

Bärbels blonde Haare, die zu einem Kranz um den Kopf gesteckt waren, ringelten sich feucht an Hals und Schläfen. Auch sie sah erhitzt aus, denn sie war gelaufen. Ein wenig schuldbewußt, aber doch keck wie ein kleiner Lorbaß sah sie ihn an, wollte ihm die Arme um den Hals legen ..., aber er war noch nicht so weit. So gab ein Wort das andere. Jeder hätte so gerne eingelenkt, aber wie es manchmal so geht. Bärbel war beleidigt, drehte sich auf dem Absatz um und rannte los.

"Um Himmels willen, Marjellchen, das war doch nicht so gemeint", rief Hannes bestürzt. Er holte sein Fahrrad aus dem Gebüsch und versuchte damit über den Sturzacker zu fahren, um ihr den Weg abzuschneiden. Aber statt dessen flog er im Bogen über den Lenker, weil er seine Augen auf dem Mädchen hatte und dabei den großen Grenzstein übersah. Die Kette war jetzt abgesprungen. Er war wütend und gab seinem Vorderrad einen gewaltigen Tritt, so daß eine Speiche brach. Dann eben nicht, dachte er zornig.

Er schob die Kette wieder rauf und beschloß, in den "Roten Adler" zum Tanzen zu gehen. Er war ja nicht auf Bärbel angewiesen. Was wußte die schon! Er konnte doch haben, wen er wollte! Zum Beispiel die Elsbeth aus Klein-Malschen, die war vor allem überhaupt nicht zimperlich. Sie verfolgte ihn schon lange mit ihren großen Glupsch- augen. Gewiß, da lag manches drin, aber sie erinnerte ihn immer an "Heckenrose", an die preisgekrönte Kuh vom Bauern Liebich.

Aber im Grunde genommen wollte er doch gar keine andere. Ihm war so richtig koddrig zumute, so richtig schietig damlich im Bauch. Jetzt kam er am "Listigen Hecht" vorbei. Auch da ging es schon lustig zu. Der Karl Luhnau war da, und Mellers Jüngster, der Alfi. Der war doch noch viel zu jung zum richtigen Biertrinken. Sie krahlten an der Theke wie zwei Alte und sahen schon ein bißchen beschwiemelt aus.

Im Saal war der Schwoof schon richtig im Gange. Während er noch an der Tür lehnte und die Musik der Kapelle "Flott weg" an seinen Ohren vorbeirauschen ließ, schob sich Ballnaths Elfriede an ihm vorbei. Die war doch aus Groß-Bergauen. Der Vater sollte da einen schönen Hof haben. Daß der sie so allein zum Tanzen gehen ließ? Das fand Hannes nicht richtig. Wie zufällig stieß ihm Elfriede ihren kräftigen Ellbogen in die Seite - und entschuldigte sich. Nun blieb ihm ja nichts weiter übrig, als sie zum Tanz aufzufordern. Sie war weich und warm und schmiegte sich bei der schnulzigen Musik gekonnt an ihn. Sein Körper geriet da ganz schnell ins Schwitzen. Ja, warum sollte er auch nicht, dachte er trotzig. Gerade aber, als beim nächsten Walzer zur Damenwahl aufgerufen wurde, stand plötzlich Bärbel vor ihm. "Darf ich bitten?" fragte sie mit dem treuesten Augenaufschlag in ihrer unnachahmlichen Art. Es war genau das, was er an ihr so liebte. Drei Damen waren schon im Anmarsch zu ihm. Aber für ihn gab es überhaupt keine Zweifel, da gab es nur dieses Mädchen.

Sich wie wiedergefunden an den Händen haltend, rannten sie zur Mitte des Saales und tanzten mit so viel Schwung und Bravour, daß der Kapellmeister einen Tusch angab, was bedeutete "Saal frei" für Bärbel und Hannes. Jetzt gab es kein Zurück mehr, jetzt wußten es alle, ohne daß sie es verkünden mußten: "Wir zwei gehören für immer und ewig zusammen."