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31.05.03 / Plötzliche Grenzen positiv sehen / Hildegard Rauschenbach berichtet über ihre vielfältigen Erfahrungen als Dialyse-Patientin

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 31. Mai 2003


Plötzliche Grenzen positiv sehen
Hildegard Rauschenbach berichtet über ihre vielfältigen Erfahrungen als Dialyse-Patientin

Ein leises, ständiges Gluckern füllt die Stille des Raumes, in dem ich liege. Dieses Geräusch erinnert mich an meine Ballupp, die ihr kristallklares Wasser, vom großen Hochmoor kommend, der nahen Scheschuppe zuführte. Acht Jahre lang hatte ich auf meinem Schulweg, morgens und mittags, diesen Bach, zu Fuß oder mit dem Fahrrad, über einen wackligen Holzsteg überquert. Oftmals hatte ich hier eine kleine Pause eingelegt und dem Spiel des Wassers, das gluck-send über die Steine hüpfte, zugeschaut. Jetzt aber schaue ich nicht sinnend auf das Wasser meiner Ballupp, mein Blick fällt auf ein einem schmalen Kühlschrank ähnelndes Gerät, von dem aus zwei dünne Schläuche zu meinem Unterarm führen. Die Enden stecken, mit Kanülen versehen, in meiner Vene ... Ich bin an das Dialyse-Gerät angeschlossen.

Die Dialyse. - Für viele Menschen ist sie lebensrettend, für andere eine Horror-Vision, nicht wissend was dabei geschieht. So will ich, als Betroffene, davon einmal erzählen. - Im Verlauf meines Lebens hatte ich mehrere Nieren- und Nierenbeckenentzündungen, die schließlich chronisch wurden und zu sogenannten Schrumpfnieren führten, vor denen in medizinischen Beiträgen immer wieder gewarnt wird. Monatlich erfolgte Blut- und Urin-Untersuchungen zeigten in den folgenden Jahren sich ständig verschlechternde Werte an, und mir war klar, daß mir die Dialyse nicht erspart bleiben würde.

Dreimal in der Woche, jeweils vier Stunden, muß ich nun in eine Praxis, um mein Blut reinigen zu lassen. Vor der ersten Dialyse wird durch Wiegen das Idealgewicht festgestellt, um bei allen folgende Dialysen wiederum durch Wiegen zu prüfen, wieviel Wasser dem Körper entzogen werden muß, und am Schluß dann erneutes Wiegen, um zu wissen, ob die überschüssige Flüssigkeit entfernt wurde. Alle erforderlichen Daten werden in das computergesteuerte Dialyse-Gerät eingegeben, wie etwa der notwendige Wasserentzug, die Dauer der Dialyse und der Blutfluß. Bei einem Störfall gibt das Gerät sofort Alarm und schaltet sich automatisch ab.

Auf einer mit Decke und Kissen versehenen Liege, die mit Knopfdruck in verschiedene Stellungen zu bringen, ist, nehme ich Platz. Eine Schwester mißt den Blutdruck, dann erfolgt die Punktion. Für diesen Vorgang ist bereits mehrere Wochen vor Beginn der Dialyse der Shunt (sprich Schant) gesetzt worden; bei einer Operation wird die Vene mit der Arterie, meistens am Unterarm, verbunden, um einen ausreichenden Blutfluß zu ermöglichen. Es bildet sich eine etwa 15 Zentimeter lang verdickte Vene heraus, eben der Shunt; in diesen werden nun die Nadeln mit den Schläuchen gesetzt, die zur Maschine führen. Aus einem Schlauch fließt das Blut zum Filter, der andere Schlauch führt in den Körper zurück. In den vier Stunden, in denen ich angeschlossen bin, fließen so 35 bis 55 Liter Blut. (Fünf bis sechs Liter hat der gesunde Mensch.) Angesammelte Giftstoffe wie Kalium, Kreatinin, Phosphat, Harnstoff und Harnsäure werden in dieser kurzen Zeit nur zum Teil entfernt; es ist praktisch nur eine lebenserhaltende Maßnahme. Immerhin arbeiten zwei gesunde Nieren 24 Stunden am Tag!

Leider sind die belastenden Stoffe Kalium und Phosphat in allen Lebensmitteln erhalten, mehr oder weniger. So muß man an Hand von Tabellen sich auf die Lebensmittel beschränken, die nur wenig davon enthalten. Leider fallen darunter auch Schokolade, Nüsse, mageres Fleisch und fast alles Gemüse; besonders Spargel, der ja ansonsten "so gesund sein soll". Es ist auch geboten, die Flüssigkeitszufuhr einzuschränken, denn mit fortschreitender Dialyse wird die Urin-Aus- scheidung immer weniger und bleibt schließlich ganz aus. Wichtig ist auch, während der Dialyse den Arm mit den darin steckenden Kanülen unbedingt still zu halten, denn sowie eine Nadel gegen die Innenwand der Ader stößt, entsteht eine Beule, das Gewebe wird blutunterlaufen und schmerzt ein paar Tage.

Ich weiß nicht, wie andere Dialyse-Patienten ihre Situation empfinden. Von mir kann ich sagen, daß ich mich körperlich viel besser fühle als zuvor; wenn ich mich auch einige Stunden hinterher ziemlich wacklig fühle, so ist mein Allgemeinbefinden doch deutlich besser. Ich habe wieder Appetit, habe an Kraft gewonnen, Lust und Freude am Backen und Kochen - und Schreiben!

Realistisch und optimistisch, wie ich vieles im Leben sehe, ist auch meine Einstellung zur Dialyse: Sie gehört zu meinem Leben wie Essen und Trinken, ohne diese drei wäre ich nicht lebensfähig. Gewiß sind mir Grenzen gesetzt in allem Tun. Am meisten schmerzt mich, daß ich nie mehr meine geliebte Scheschuppe und meine Kacksche Balis besuchen kann - in Königsberg gibt es noch keine Dialyse. So werde ich in Zukunft während der vier Stunden Dialyse außer zu lesen, Rätsel zu raten oder fernzusehen meine Gedanken wandern lassen. Und wenn ich meine, daß diese auch für Sie, liebe Landsleute, interessant sind - es gibt ja die Preußische Allgemeine Zeitung / Das Ostpreußenblatt

Dialyse: Für viele Patienten die Rettung in großer Not Foto: Archiv