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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 31. Mai 2003 |
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"Der 'lockere Preusse' ist gefordert" Exklusiv-Interview mit Hansjörg Müller von der Unternehmensberatungsgesellschaft Müller & Baraulja Herr Müller, Sie sind seit bald 15 Jahren im Ostgeschäft tätig. Was genau ist Ihre Tätigkeit? Müller: Wir beraten und betreuen mittelständische Unternehmer, die die Märkte in den GUS-Staaten brauchen und die aus Kostengründen die dortige Lohnfertigung nutzen wollen. Dazu ist eine Menge an Spezialwissen unter anderem über die politökonomischen Geflechte, die ortsüblichen Arten der Marktforschung und Personalsuche nötig. Wir sind sozusagen die ausgegliederte Rußland-, Königsberg- oder auch Ukraine-Abteilung für den Unternehmer. Welche Möglichkeiten bietet der russische Markt mittelständischen Rußland-Investoren? Müller: Wir haben in Rußland eine prosperierende Volkswirtschaft in ihren Anfängen. Die Märkte wachsen. Im Lebensmittel- und Baubereich erleben wir zum Beispiel momentan einen wahren Boom. Die Möglichkeiten hängen aber von vielen Fragestellungen ab. Wie sind die Kontakte? Wo ist die Administration wirtschaftsfreundlich gesonnen? In welchen Regionen haben sich bisher wenig westliche Investoren blicken lassen? - Aber dennoch, man kann heute in allen 89 Subjekten der Russischen Förderation hervorragende Geschäfte machen. Und in Königsberg ...? Königsberg selbst hat eine große Chance. Die Chance liegt in der Lohnfertigung. Anfang der 90er Jahre stiegen deutsche Unternehmen mit der Produktion in Form von verlängerten Werkbänken in Tschechien, Polen und Ungarn ein. Heute ist das Lohnkostengefälle zwischen Königsberg und den genannten Beitrittsländern ein fünf- bis sechsfaches. Nach dem EU-Beitritt der Nachbarn Polen und Litauen wird der komparative Lohnkostenvorteil in Königsberg steigen. Wenn beispielsweise heute in Königsberg jemand 130 Euro verdient, so liegen die Lohnkosten für eine analoge Tätigkeit in Polen bei 650 Euro. Die Beitrittsstaaten haben aber noch bestimmte Standards zu erfüllen, was die Lohnkosten dort schneller als in Königsberg steigen lassen wird. Diese Tendenz wirkt sich erneut zugunsten des Produktionsstandortes Königsberg aus. Zu den langfristigen Aussichten: Die Tschechen haben über die verlängerten Werkbänke soviel Know-how gesammelt, daß sie der deutschen Wirtschaft in vielen Bereichen jetzt ernsthaft Konkurrenz machen können. Lohnaufträge, so heißt die Perspektive für Königsberg. Das ist eine harte Schule. Aber durch diese Lehrjahre muß der Standort gehen. Stichwort "Sonderwirtschaftszone". Wie sieht der Vorteil für den Standort Königsberg in der Praxis aus? Müller: Der Unternehmer führt je nach Produktgruppe Vorprodukte ein. Durch die Be- oder Verarbeitung erfahren diese eine Wertschöpfung von mindestens 15 bis 30 Prozent, womit die Einfuhrzölle entfallen. BMW macht dies beispielsweise wie folgt: Die Autos kommen als vollständige Bausätze in Kisten verpackt nach Königsberg. Dort werden die Teile nur noch zusammengeschraubt. Allein dieser Prozeß erhöht den Wert des Endproduktes um die genannten 15 bis 30 Prozent, weshalb für BMW die Einfuhrzölle entfallen. Den größten Fehler, den die Königsberger machen könnten, wäre der Versuch einer Anpassung an die Lohn- und Kostensteigerungen in den Nachbarstaaten Polen und Litauen. Die Chance von Königsberg liegt gerade in den Lohnaufträgen im Sinne der verlängerten Werkbank. In Ihrem Unternehmen ist das Interkulturelle Management ein gängiger Begriff. Wie wichtig ist die Kenntnis der russischen Mentalität für deutsche Investoren in den GUS-Staaten? Müller: Jedes Volk "tickt" auf seine Weise. Die Kenntnis der russischen Mentalität ist eine Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg. Dieser Part wird von deutschen Firmen oft völlig unterschätzt. Da werden bisweilen Millionenbeträge ausgegeben für die neuesten Maschinen im russischen Tochterunternehmen, ohne daß der Faktor Mensch berücksichtigt wird. Das ist schon vielen Unternehmen teuer zu stehen gekommen. Können Sie aus eigener Erfahrung jeweils ein Beispiel für eine positive und negative Erfahrung mit der russischen Mentalität geben? Müller: Ja. In Rußland lebt mein bester und zuverlässigster Freund. Dort lebt aber auch die Person, die mich in schlimmster Form im Stich gelassen hat. Zuverlässigkeit und Unzuverlässigkeit liegen dort nah beieinander. Aber wenn man in Rußland erst einmal einen wahren Freund gefunden hat, ist der durch keine deutsche Freundschaft mehr zu übertreffen. Die Mentalität in Rußland zeichnet sich ge-genüber Deutschland eben dadurch aus, daß der Mensch und nicht etwa eine Sachfrage im Vordergrund steht. Das russische Rechtssystem wirkt undurchsichtig. Wieviel Sicherheit gewährt dem Investor die russische Rechtsordnung? Müller: In meinen Augen herrscht in dieser Hinsicht inzwischen Rechtssicherheit. Die Verhältnisse sind mit Deutschland zwar nicht vergleichbar, die bestehende Rechtsordnung ist aber für den Unternehmer grundsätzlich ausreichend, wenn er sich gleichzeitig an die Spielregeln hält. Wir empfehlen unseren Kunden, sich an zwei Bedingungen zu halten, um nicht mit dem Rechtssystem in Konflikt zu geraten: Erstens möchte sich der westliche Investor bitte an Recht und Gesetz halten. Zweitens bedarf es neben der formaljuristischen Seite einer Einbettung in das politökonomische Geflecht, das heißt einer intensiven Kontaktpflege zur kommunalen und regionalen Administration. Welchen Stellenwert hat die Solvenz eines Investors unter Berücksichtigung vorhandener Risiken? Müller: Die Risiken sind überschaubar, vorausgesetzt, man hält sich an die genannten Bedingungen. Ich möchte lieber auf die Chancen des Marktes eingehen. Der russische Markt verspricht in seiner Vielfältigkeit mehr Gewinne als die Westmärkte, wo es in allen Bereichen eine große und etablierte Konkurrenz gibt. Man muß allerdings ein paar 10.000 Euro Mindesteinsatz investieren. Ökonomisch gesprochen sind dies die Markteintrittskosten. Die Unternehmensgründung, eine Marktanalyse und die Einrichtung der Produktionsstätte kosten nun einmal Geld. Dieses Geld muß man zudem als Spielgeld betrachten. Ein Verlust darf also nicht existenzgefährdend werden. Bitte verstehen Sie dies als wohlgemeinten Rat an jene Ostpreußen, die sich aus emotionalen Gründen in Königsberg engagieren wollen. In Rußland, also auch in Königsberg, herrscht Manchesterkapitalismus. Der Investor muß daher die knallharten Regeln der Wirtschaft kennen! Gibt es so etwas wie eine Gebots- und Verbotsliste "Was der Unternehmer tun und was er lassen sollte, wenn er in Rußland investiert"? Müller: Wir geben unseren Kunden folgende philosophischen Grundsätze unseres Unternehmens mit auf den Weg: 1. Verhandeln Sie dem Lande entsprechend auf russische Art und Weise und vergessen Sie deutsche Erfahrungen gerade dann, wenn Sie deutsche Erfahrungen zur Lösung von Fragen vor Ort heranziehen möchten. 2. Seien Sie einfach Mensch. Das Rußlandgeschäft ist nicht sach-, sondern personenbezogen. 3. Gehen Sie immer pragmatisch vor. Vergessen Sie übermoralisierte Vorstellungen. Seien Sie flexibel und kreativ in der Wahl Ihrer Mittel. Wichtig ist nur, daß man das Ziel erreicht. 4. Zeigen Sie sich als Deutscher im positiven Sinne. Demonstrieren Sie die vergessenen preußischen Tugenden, ohne pedantisch zu wirken. Der "lockere Preuße" ist gefordert und gefragt. Der Deutsche alter Schule ist in Rußland der mit Abstand am höchsten angesehene Ausländer. n Die Fragen stellte Bernhard Knapstein. Mit
Hansjörg Müller sprach Bernhard Knapstein. Wichtige Internetverweise für Osteuropa-Investoren: Ost- und Mitteleuropaverein e.V.: www.omv.de ; Bundesstelle für Außenhandelsinformationen: www.bfai.de ; Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: www.bmwi.de ; Handelskammer Hamburg: www.hkhamb-ahk-kaliningrad.com Predstawitelstwo nemezkoi ekonomiki w Rossiskoi Federazii otdelenie Kaliningrad Ul. Kutusowa 39 236010 Kaliningrad BMW-Montagewerk in Königsberg: Die bekannteste Investition eines bundesdeutschen Unternehmens im nördlichen Ostpreußen Foto: BMW |