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31.05.03 / Jan Heitmann über die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 31. Mai 2003


Strucks zahnloser Tiger
Jan Heitmann über die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien

Nun ist die Katze aus dem Sack: Die Bundeswehr wird eine Interventionsarmee. Das ist die Kernaussage der neuen verteidigungspolitischen Richtlinien, die Bundesverteidigungsminister Peter Struck jetzt vorgestellt hat. Danach wird die Hauptaufgabe der Bundeswehr zukünftig die internationale Konfliktverhütung und -bewältigung sowie der Kampf gegen den Terrorismus im In- und Ausland sein.

Das bedeutet die endgültige Abkehr von der Landesverteidigung. Struck begründet diesen einschneidenden Schritt damit, daß die Gefährdung des deutschen Territoriums durch einen Angriff mit konventionellen Mitteln auf absehbare Zeit nicht mehr gegeben sei. Deshalb sei es ausreichend, die Wiederherstellung der Befähigung zur Landesverteidigung „innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes“ sicherzustellen. Auch wenn eine militärische Bedrohung in der Mitte Europas in der Tat derzeit nicht in Sicht ist, gibt es unter den Militärs durchaus Stimmen, die eine so konsequente Aufgabe der Landesverteidigung für einen Fehler halten.

Mit den neuen Richtlinien wird indes nur das manifestiert, was schon lange geübte Praxis ist. Schon jetzt ist die Bundeswehr in 13 Ländern mit fast 9.000 Soldaten im Einsatz. Das ist zwar nur ein geringer Teil ihrer Gesamtstärke, doch binden diese Einsätze weitere Zehntausende Soldaten in der Einsatzführung und der Logistik sowie in der Einsatzvor- und der Einsatznachbereitung. Die Verbände in der Heimat werden ausgekämmt, damit die finanziell ausgeblutete Bundeswehr ihre personelle und materielle Einsatzbereitschaft im Ausland sicherstellen kann. Für die Landesverteidigung bleibt da schon lange nicht mehr viel, die Kräfte in der Heimat führen nur noch ein Schattendasein. Deshalb waren diese neuen verteidigungspolitischen Richtlinien schon lange überfällig, und deshalb erscheint auch der Schritt hin zur Interventionsarmee konsequent.

Mehr als zehn Jahre lang hat die Politik eine klare Aussage hinsichtlich der zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr in einem veränderten sicherheitspolitischen Umfeld vermieden. Über die ersten Auslandseinsätze stritten die Parteien gar vor Gericht. Jetzt endlich hat die Bundeswehr wieder einen klaren Auftrag. Nach Strucks Worten läßt sich Verteidigung geographisch nicht mehr eingrenzen. Sie trage „zur Wahrung unserer Sicherheit bei, wo immer diese gefährdet ist“. Der politische Zweck bestimme Ort, Dauer und Art eines Einsatzes. Deutschland, so der Minister weiter, werde auch am Hindukusch verteidigt. Fortan werden die deutschen Sicherheitsinteressen also weltweit durch den Einsatz der Streitkräfte wahrgenommen. Dieser dramatische Paradigmenwechsel macht die verteidigungspolitischen Richtlinien zum bedeutendsten Dokument in der Geschichte der Bundeswehr.

Wer so große Sprünge machen will, muß der Truppe aber auch die personelle und materielle Basis dafür bereitstellen. Doch dazu ist die Bundesregierung noch nicht bereit. Das bisher vorhandene Wehrmaterial ist zum großen Teil veraltet und für einen weltumspannenden Einsatz der Streitkräfte ungeeignet. Eine von ihrem Auftrag und ihrer Struktur her neue Bundeswehr muß auch neues, „maßgeschneidertes“ Gerät und Material haben. Mit Umverteilungen und Improvisation ließen sich die bisherigen Einsätze noch bewältigen, ihrem neuen Auftrag aber wird die Bundeswehr damit nicht mehr gerecht werden können. Nachdem der Verteidigungsminister jetzt einen so entscheidenden Schritt für die Zukunft der Streitkräfte getan hat, wird er sich der alten Erkenntnis nicht länger verschließen können, daß der Auftrag die Mittel bestimmt und nicht umgekehrt. Struck wird sehen müssen, wo er das Geld herbekommt. Sonst bleiben seine Pläne Vision.

Ungemach bereitet dem Minister nach wie vor die Diskussion um die Wehrpflicht. Sie ist durch die verteidigungspolitischen Richtlinien auch für die Zukunft festgeschrieben. Das stößt beim grünen Koalitionspartner, der die Wehrpflicht abschaffen möchte, auf Verärgerung. Schützenhilfe erhalten die einstigen Berufspazifisten von der oppositionellen FDP, die einen Antrag auf Aussetzung der Wehrpflicht im Bundestag einbringen will. Struck hält dagegen. Er bezeichnet die allgemeine Wehrpflicht in den Richtlinien als „in angepaßter Form für die Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr unabdingbar“. Unter Militärexperten gilt es dagegen als unstreitig, daß der Bedarf einer auf internationale Interventionseinsätze ausgerichteten Bundeswehr an Wehrpflichtigen deutlich sinken wird. Schon jetzt wird der militärische Sinn des nur noch neun Monate dauernden Wehrdienstes von vielen angezweifelt. Würde die Wehrpflicht tatsächlich noch weiter auf sechs oder gar nur vier Monate reduziert, hätten die Streitkräfte keinen Nutzen mehr von den jungen Männern. Damit wäre die Wehrpflicht, dieses nach Theodor Heuß „legitime Kind der Demokratie“, endgültig zu einem gesellschaftspolitischen Feigenblatt degradiert.

Die Neuausrichtung der Bundeswehr wird auch bei allen drei Teilstreitkräften zur weiteren Auflösung von Truppenteilen führen. Nach den ersten Plänen sind davon vor allem strukturschwache Regionen in Norddeutschland betroffen, die von den bisherigen Standortschließungen verschont geblieben sind. Weitere Auflösungen in den Folgejahren seien, so Struck, „unumgänglich“.

Der Bundesverteidigungsminister hat die neue Marschrichtung für die Streitkräfte vorgegeben. Am Ende des Weges wird eine vollkommen neue Bundeswehr stehen.

Einpacken: Die Soldaten der Flugabwehrraketengruppe 21 können sich schon auf den Abmarsch vorbereiten; ihr Standort, die Prinz-Eugen-Kaserne in Bad Arolsen, wird Mitte 2004 geschlossen. Foto: dpa