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07.06.03 / "Hansetag" in Frankfurt: Norweger an der Oder

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. Juni 2003


"Hansetag" in Frankfurt: Norweger an der Oder
Festlicher Glanz für eine Stadt mit trüben Aussichten
von Friedrich Nolopp

Ein Jahr vor der Osterweiterung der Europäischen Union trafen sich vom 22.-25. Mai im brandenburgischen Frankfurt Vertreter von 92 Hansestädten aus elf Ländern zum 23. internationalen "Hansetag" der Neuzeit. Nord-, West- und Mitteleuropäer diskutierten in der Oderstadt, die bis Mitte des 15. Jahrhunderts Mitglied des Handelsbundes war und im Juli den 750. Jahrestag der Stadtrechtsverleihung feiert, über die geistigen Grundlagen der Union.

Der diesjährige Hansetag war eine bisher einmalige Konstruktion, fand er doch grenzüberschreitend in zwei Staaten statt: Frankfurt/Oder wie auch seine östliche Dammvorstadt (polnisch: Slubice) waren zur gleichen Zeit Gastgeber.

Die erwartete Zahl von 60 000 Bersuchern wurde weit übertroffen. Größter Anziehungspunkt war der "Hansemarkt", wo die beteiligten Städte mit Touristik-Informationen und kulinarischen Spezialitäten aufwarteten.

Das prächtige Feuerwerk auf der deutsch-polnischen Stadtbrücke, mit dem das Großereignis eröffnet wurde, erleuchtete zwei Städte bzw. eigentlich zwei Teile einer Stadt, die ansonsten nicht mit brillanten Nachrichten auffällt. Die Wirtschaft im Oderland liegt brach, und die jungen Frankfurter suchen sich Arbeitsplätze und Lehrstellen im Westen. Der Geburtsort des Dichters Heinrich von Kleist hatte vor der Wende rund 83 000 Einwohner, deren Zahl bald auf 70 000 absank und inzwischen nur noch bei knapp 67 000 liegt. Tendenz weiter fallend.

Die Hoffnung, mit einer neuen Chipfabrik die Lage vor Ort zu stabilisieren, konnte trotz erheblicher finanzieller Unterstützung durch das Land Brandenburg nicht verwirklicht werden; die Bauarbeiten ruhen seit fast anderthalb Jahren. Im östlichen polnischen Teil mit seinen 17 000 Einwohnern ist die Lage zwar nicht besser und die Leute verdienen weniger, trotzdem ist die Stimmung heiterer.

Von seiten der deutschen Politik setzt man unverdrossen weiter auf EU-Europa, auch Bundesbauminister Manfred Stolpe. Im üblichen Floskelstil erklärte er zum Hansetag: "Das Motto Miteinander nach Europa kann wohl nirgends symbolträchtiger und zukunftsweisender umgesetzt werden als in Frankfurt/Oder und seiner polnischen Nachbarstadt Slubice." Das europäische Städtenetzwerk "Neue Hanse", so fügte er hinzu, leiste einen wichtigen Beitrag zur europäischen Integration.

In dieses zu erwartende Lob stimmte auch Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ein. Die neue Hanse stehe für den "Neubeginn Europas im Zeichen der Wiedervereinigung unseres Kontinents", sagte er.

In der 1980 in der mittelalterlichen Hanse-Tradition gegründeten Vereinigung sind 86 deutsche und über 50 ausländische Kommunen vereinigt. Vor allem geht es ihnen darum, bessere wirtschaftliche und kulturelle Kontakte untereinander aufzubauen.

Wie unbürokratisch, kraftvoll und unterhaltsam europäisches Miteinander sein kann, zeigte auf dem Hansemarkt eine etwa 20 Mann starke Blaskapelle aus der schönen norwegischen Hansestadt Bergen. Fröhlich spielend zog sie von Stand zu Stand und durchquerte, sinnbildlich gesprochen, halb Europa: von Finnland bis Holland. Zuerst spielten sie vor den Holzbuden auf dem bundesdeutschen Ufer und lernten die Vertreter aus Herford kennen, die mit kühlen Pils warben, zogen weiter am Stand von Stade vorbei, wo sie mit den dortigen "Hafensängern" wetteiferten, und marschierten schließlich über die Oder-Grenze ans östliche Ufer.

Dort hatte der Hansemarkt ein anderes Gesicht; es roch nach gegrilltem Schaschlik, und die Städte warben weniger mit ihren Urlaubsangeboten, sondern machten auf die jeweiligen Gewerbegebiete aufmerksam.

So informierte Anna Wojciechowska von der Stolper Verwaltung Besucher über die geplante "Sonderwirtschaftszone" dieser hinterpommerschen Stadt. Der Komplex liege "etwa drei Kilometer außerhalb von Stolp in unmittelbarer Nähe zur europäischen Fernstraße von Berlin nach Danzig", warb sie und versuchte, das Vorhaben für mögliche Investoren schmackhaft zu machen.

Auch die einst reiche Ostseehandelsstadt Danzig war vertreten. Ihre polnischen Repräsentanten hatten sich in mittelalterliche Gewänder gehüllt und servierten den norwegischen Gästen Schnaps: "Danziger Goldwasser". Und zwar für jedes Musikstück eine Runde, so daß die mutmaßlich alkoholentwöhnten Männer aus Bergen nicht nur eine, sondern gleich zwei Zugaben spielten.

Als der Kapellmeister während des Beifalls der mittlerweile zahlreich versammelten Passanten den Taktstock zu einem vierten Stück erhob, gab es für die vermeintlich kühlen Norweger kein Halten: Zwei Musiker schnappten sich die mittelalterlichen polnischen Fräuleins, und - beschwingt von der Musik und dem Danziger "Goldwasser" - wurde mitten auf der Straße ausgelassen getanzt.

Doch auf dem Hansetag wurde nicht nur gefeiert, sondern auch ganz ernsthaft diskutiert. Es gab eine Konferenz unter dem Leitsatz "Grenzen überwinden - Vielfalt bewahren", auf der in Vorträgen Themen wie "Die Hanse: ein zeitgemäßes Netzwerk?" oder "Die Oder als europäischer (Grenz-)Fluß" behandelt wurden.

Natürlich durfte im inhaltlichen Teil auch die Wirtschaft nicht fehlen. Die Industrie- und Handelskammer Frankfurt veranstaltete ein Forum über den "Deutsch-polnischen Wirtschaftsraum", während die Handwerkskammer am 23. Mai zum "Baltischen Tag" einlud, an dem Vertreter aus Litauen und Lettland ihre kleinen Republiken und die Rahmenbedingungen für Investoren darstellten.

Doch all solche Aktivitäten und schön klingende Worthülsen wie die vom "deutsch-polnischen Verflechtungsraum für Wirtschaftsaktivitäten" können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in Wirklichkeit bezogen auf klein- und mittelständische Betriebe keine nennenswerten bundesdeutschen Unternehmungen gen Osten gibt.

Das belegt auch eine Studie der IHK Frankfurt/Oder, die Anfang Mai 2003 vorgestellt wurde. Demnach haben von etwa 34 000 IHK-Firmen trotz jahrelanger Informations- und Werbekampagnen nur 150 (!) Geschäftsbeziehungen im Osten.

Die staatlich finanzierten Wirtschaftsförderer werben zwar überaus eifrig für ein Engagement in den dortigen Reformländern, doch letztlich interessiert das den Mittelstand nicht. Gleiches trifft auch auf die Handwerkskammer und deren Mitgliedsbetriebe zu.

Auf die Nachfrage, wie viele brandenburgische Handwerksfirmen regelmäßig Beziehungen ins Baltikum unterhalten, mußte die Kammer bezeichnenderweise passen: Darüber habe man keine Angaben, hieß es bloß.

Wenigstens vorübergehend schienen in Frankfurt während der Hansetage alle depressiven Stimmungen vergessen. Die Oderstadt hatte sich dank der insgesamt über 80 Millionen Euro von EU, Bund, Land sowie aus Eigenmitteln für ihre Gäste schick gemacht. Das im Krieg schwer zerstörte und dann mit unansehnlichen Häuserblöcken bebaute Zentrum erhielt einen schmucken Marktplatz, außerdem wurden der Bahnhofsvorplatz und die Oderpromenade neu gestaltet.

Wenn deutsche wie polnische Poliker auf diesem 23. Hansetag wieder einmal vollmundig von "Toleranz" redeten und sich für grenzüberschreitende Begegnungen begeisterten, sollte dies nicht unbedingt für bare Münze genommen werden. Daß damit häufig eine Einbahnstraße des Wohlverhaltens gemeint ist, zeigte sich auch in der geteilten brandenburgischen Stadt. Zwar warb der Frankfurter CDU-Bürgermeister Martin Patzelt ausdrücklich dafür, tolerant mit dem Zuzug von Polen in die Bundesrepublik Deutschland umzugehen, umgekehrt hieß das aber für ihn nicht, daß die deutschen Vertriebenen quasi im hanseatischen Geist der Begegnung in ihre Geburtsorte heimkehren können.

Patzelt gab in diesem Zusammenhang sogar eine eigene Pressemitteilung zum Thema "Recht auf die Heimat" heraus, in der er sich gegen die Forderung der Landsmannschaften auf ein Rückkehrrecht ausspricht und das Recht auf die Heimat ganz anders definiert: Die Vertriebenen hätten nun ein Heimatrecht auf ihre Wohnung in Kiel, Wuppertal oder Stralsund erworben, die sie nach dem Jahr 1945 bezogen. Demgegenüber hätten inzwischen die heute in den ostdeutschen Gebieten lebenden Polen dort ein Heimatrecht erworben.

Jenseits aller Politik interessierten sich die meisten Besucher des Treffens der "Neuen Hanse" (das nächste findet übrigens im finnischen Turku statt) für die touristischen Angebote der anwesenden Städte.

Entsprechend vielbeachtet waren die Stände von Elbing und Köslin oder die von Anklam, Demmin, Greifswald, Korbach oder Osnabrück. Nicht zuletzt betrieb Frankfurt Werbung in eigener Sache - speziell für die bevorstehenden Feiertage, wenn vom 11. bis 14. Juli das Stadtjubiläum begangen wird. Hauptereignis ist dann ein historischer Festumzug am 13. Juli mit über tausend Mitwirkenden und verschiedensten Requisiten zu 750 Jahren Orts- und Regionalgeschichte.

Weitere Auskünfte erteilt die Stadtverwaltung Frankfurt, Postfach 1363, 15203 Frankfurt/Oder, Tel.: 0335-5521365, Fax: 0035-5521369, Internet: www. frankfurt-oder.de

Großer Andrang: Stand von Elbing (poln.: Elblag) und Umzug über die Oderbrückein die Frankfurter Dammvorstadt (Slubice)
Fotos: Nolopp