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07.06.03 / Verlobung unter Birkengrün

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 07. Juni 2003


Verlobung unter Birkengrün
Von Hannelore Patzelt-Hennig

Die Stube duftete wie eine Laub-allee nach einem kräftigen Frühlingsregen. Unter jedem Dek-kenbalken lugte frisches Birkengrün hervor, wie es üblich war zu Pfingsten. Dafür hatte Anna Burgschat gesorgt, obwohl sie diesmal an den bevorstehenden Feiertagen allein zu Hause sein würde. Sie war schon jetzt allein. Und zwar so allein wie vielleicht niemand im Dorf. Alle waren sie weggefahren, Vater, Mutter, Schwester und Bruder. Sogar die liebe, wenn auch recht energische Tante Trude hatte sich mit aufgemacht, die sonst nicht vom Hof zu kriegen war. Diesmal aber mußte es sein, so fand sie; denn Bruno, Annas Bruder, ihr auserkorener Liebling, verlobte sich. Dabei durfte Tante Trude nicht fehlen! Die Verlobungsfeier wurde bei der Braut ausgerichtet, und die Braut wohnte weit entfernt. Schon Sonnabend morgen waren sie alle gefahren und erst Letztfeiertag, am Dienstag, wollten sie wiederkommen. Das war eine entsetzlich lange Zeit des Alleinseins, fand Anna. Nur Mohrchen, der Hofhund, war ihr als Gefährte geblieben. Er durfte jetzt ständig bei Anna sein. Und getreulich trottete er Schritt für Schritt mit ihr mit.

Anna war schon siebzehn, aber sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nicht so einsam gefühlt. Ach, und wie langweilig ein Erstfeiertagsfrühstück sein konnte, wenn man allein davor saß! Nicht einmal der schöne, dickbestreuselte Fladen schmeckte ihr. Und das ganze Unbehagen verdankte sie nur einer verspäteten Kinderkrankheit, dem Ziegenpeter. Nicht nur die verpatzten Pfingsten und den Verzicht auf die Verlobungsfeier, auch noch viel Gespött hatte sie wegen der auf Grund dieser Krankheit so veränderten Gesichtsform über sich ergehen lassen müssen. Selbst das neue bunte Pfingstkleid mit dem engfallenden Bahnenrock konnte sie nicht aufheitern, denn der ganze Schick des Kleides unterlag doch dem absonderlichen Eindruck, den das Wolltuch machte, das sie vom Kinn herauf gebunden über die Mumpsgeschwulst tragen mußte.

Anna ließ ihre Kaffeetasse halb ausgetrunken stehen. Mißgelaunt erhob sie sich und räumte den Frühstückstisch ab. Dann ging sie hinaus in den Garten. Dort ließ sie sich unter dem blühenden Kirschbaum nieder. Mohrchen kam dazu. Er legte den Kopf in ihren Schoß und sah sie treuherzig an. Ihre Hand glitt über das glänzende, rabenschwarze Fell des Tieres. "Hier sitzen wir nun, und die anderen feiern Verlobung!" klagte Anna wehleidig. Und nach einer Weile: "Ich mag Verlobungen, weil sie so etwas Besonderes an sich haben, gewissermaßen der Anfang von einem neuen Zustand sind. Verstehst du? Nein, das verstehst du nicht! Aber ich bin traurig, daß ich nicht dabeisein kann. Daß ich traurig bin, verstehst du!"

Der Hund leckte ihr wie zum Trost die Hände. "Nicht zur Verlobung und nicht zur Kirche kann man mit einem solchen Gesicht, wie ich es jetzt habe," murmelte Anna weiter. Dann streckte sie sich in dem hier schon recht hohen Gras lang hin. Und der Anblick des blauen Himmels über der weißen Blütenpracht des Kirschbaumes stimmte sie bald etwas froher.

Anna schloß die Augen und gab sich Mühe, an nichts zu denken. Bald darauf befand sie sich in jenem Zustand, der zwischen Wachen und Schlafen liegt. Da verspürte sie ein lästiges Kribbeln im Gesicht. Ohne die Augen zu öffnen, versuchte sie es abzuwehren. Als es sich wiederholte, richtete sie sich aber verärgert auf. Da stellte sie fest, daß das wiederholte Kribbeln nicht durch ein Insekt verursacht worden war, wie sie gemeint hatte, sondern daß der Nachbarssohn der Störenfried war, der lachend neben ihr kniete.

"Du?" - "Mhm!" Anna lief puterrot an. Sie schämte sich unbeschreiblich, dem Willi Schalnat mit diesem Gesicht gegenüberzusitzen. "Ich wollte mal nach dir sehen und dir schöne Feiertage wünschen!" sagte der Willi freundlich. "Das ist nett von dir! Wirst auch wohl der einzige sein, der das tut. Ich fühl mich ganz schön verlassen. Und nirgends kann man hingehen mit dem Gesicht." - "Das geht vorüber!" tröstete Willi sie. "Fahrt ihr heute nicht zur Kirche?" wollte Anna wissen. "Doch, unsere sind schon alle weg!" - "Und du? Warum fuhrst du nicht mit?" - "Ich dachte, es ist christlicher, mich um dich zu kümmern und dir Gesellschaft zu leisten." - "Einen Kranken zu besuchen zeugt von Nächstenliebe, das stimmt." - "Na, so krank bist du ja nun auch wieder nicht!" erwiderte Willi ihre Worte belächelnd. "Trotzdem bist du gekommen." - "Freut es dich?"

Anna blinzelte verlegen. "Mhm!"

Es folgte eine Gesprächspause, während der Willi immer noch mit dem Grashalm spielte, mit dem er sie wachgekitzelt hatte. Auf den deutete sie eine Weile später und fragte: "Hast du damit noch weitere Angriffe vor? - Vielleicht heute nachmittag?"

"Wenn du wieder schläfst, könnte es so sein!" erklärte Willi freimütig. "Willst du denn nicht zum Festplatz?" - "Kann ich ja nicht!" - "Und weshalb nicht?" - "Wer soll dir denn Gesellschaft leisten, wenn ich da hingeh?" - "Mohrchen!" sagte Anna verlegen.

Willi und sie waren als Nachbarskinder immer viel zusammen gewesen. Die vier Jahre, die Willi älter war, hatten da nur zeitweilig eine Rolle gespielt. Das hatte immer etwas Selbstverständliches gehabt. Jetzt hingegen lag eine gewisse Spannung in ihrer Beziehung, die es bisher nicht gegeben hatte. Wenn sie sich berührten, war es immer, als löse ein solcher Kontakt einen kleinen elektrischen Schlag aus. Und heute, während sie plauderten und sich neckten, schwang in Annas jungem Herzen die Befürchtung mit, daß Willi jeden Augenblick aufbrechen könnte, um nach Hause zu gehen. Aber sie bangte unnötig, Willi blieb bis Mittag bei ihr. Und um die Kaffeezeit war er wieder da.

Mit Willi zusammen schmeckte ihr der Streuselfladen. Und das neue Pfingstkleid hatte sie auch angezogen und ihm damit ein bewunderndes "Donnerwetter" entlockt, trotz Mumpsgesicht und Osterhasentuch. Das freute Anna sehr. Und daß der Willi auch noch einen großen Teil des zweiten Pfingsttages bei ihr verbrachte, machte sie so glück-lich, daß sie ihre Ziegenpetergeschwulst in seiner Gegenwart zeitweilig völlig vergaß.

Auch Letztfeiertag kam Willi am Vormittag wieder herüber. Sie war gerade dabei, die welk gewordenen Birkenzweige unter den Decken zu entfernen, und in fröhlicher Stimmung. Auch das Osterhasentuch trug sie nicht mehr. Beides registrierte Willi erfreut. "Soll ich dir helfen?" fragte er dann. "Wenn du willst!" sagte sie, obwohl sie schon dabei war, die letzten Zweige herunterzuwerfen. Doch sie mußten ja noch aus der Stube gebracht werden. Und während sie beide danach griffen, fanden sich ihre Hände, und plötzlich hielt Willi die Anna fest im Arm. Es folgte ein erster inniger Kuß.

"Könntest du dir vorstellen, mit mir verheiratet zu sein?" fragte Willi danach hastig. "Ja - das könnte ich!" antwortete Anna ganz gelassen.

Willi indes schien plötzlich die Kehle verschnürt zu sein. Aber das war nur vorübergehend. Dann sah er sie fest an und fragte: "Willst du meine Frau werden, Anna?" - "Ja, Willi!" antwortete Anna entschlossen. Erfüllt von unsagbarem Glücksgefühl hob Willi sie daraufhin hoch und wirbelte sie ein paarmal herum. Dann küßte er sie wieder. Und dieser Kuß ließ sie beide alles um sich herum vergessen. Sie hörten weder den Wagen auf den Hof kommen, noch nahmen sie wahr, daß die Heimgekehrten plötzlich alle in der Stube standen.

Als Anna sich dann irgendwann umdrehte, sah sie vier verschmitzte Gesichter an der Tür. Nur das von Tante Trude wirkte leicht entrüstet. "Kann man vielleicht erfahren, was das zu bedeuten hat?" fragte sie schroff.

"Das kann man!" antwortete Anna ganz selbstzufrieden, "der Willi und ich haben uns eben verlobt!"

"Scheint e augenblickliche Epidemie zu sein!" meinte darauf die Tante. Dann entfernte sie sich diskret und dachte darüber nach, wie ihr Sparbuch aussehen würde, nachdem auch diese Verlobung ihren offiziellen Rahmen gefunden hatte. Diese Pfingsten hatten es in sich gehabt!

Schöne Heimat Ostpreußen: Weit dehnen sich die Kornfelder, in denen roter Mohn aufleuchtet. Foto: Bosk

 

Pfingstlied
von Karl Seemann

Licht aus weißer Wolke,

Schaumkraut und Ginster blühn.

Wer möchte nicht mit der Sonne

über die Berge ziehn!

 

Es singen in den Wäldern

die Vögel allzumal,

der Ruf des Kuckucks verhält,

hebt ab aus entlegenem Tal.

 

Im Echo und Widerecho,

im Blühen und Widerblühn,

wer möchte nicht mit der Sonne

über die Berge ziehn!

 

Es bleibt ein wunschlos Wandern.

O Herz, vergiß die Qual!

Der Ruf des Kuckucks verhält,

hebt an aus entlegenem Tal.