Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 14. Juni 2003 |
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Gegen 600 Panzer der Sowjets Der Aufstand vom 17. Juni war Vorläufer für die "friedliche Revolution" von 1989 von H.-J. von Leesen War der Aufstand in Mitteldeutschland am 17. Juni vor 50 Jahren ein Volksaufstand oder nur ein Aufruhr unzufriedener Arbeiter? Hatte er allein wirtschaftliche Gründe, oder ging es den Aufständischen um nationale politische Ziele? Brach der Aufstand spontan aus, oder hatten ihn Drahtzieher von langer Hand vorbereitet? Standen gar "Faschisten" oder amerikanische Geheimdienst hinter dem Aufstand? Wie umfassend war der Aufbruch im Juni 1953, und von welchen Schichten wurde er getragen? Rechtzeitig zum 50. Jahrestag des Aufstandes in der DDR legt Hubertus Knabe, einst einer der wichtigsten Mitarbeiter in der Gauck-Behörde, die die Stasi-Unterlagen aufarbeitet, Verfasser so tabufreier und daher wichtiger Werke wie "Die unterwanderte Republik - Stasi im Westen" und "Der diskrete Charme der DDR - Stasi und West-Medien", ein Buch über die damaligen Ereignisse vor, das man mit Fug und Recht als die gültige Darstellung sowohl der Vorgänge als auch ihrer Hintergründe bezeichnen kann. Er nennt es "17. Juni 1953 - Ein deutscher Aufstand" und wertet dabei die Stasi-Unterlagen über die Ereignisse um den 17. Juni aus. Dazu gehört auch, daß er untersucht, wie die verschiedenen Gruppen - SED, sowjetische Besatzungsmacht, westliche Besatzungsmächte, Regierung der Bundesrepublik Deutschland - auf die Vorgänge in der DDR reagierten. Weil der Aufstand, der fast das ganze Gebiet der DDR erfaßt hatte, die erste Massenerhebung gegen ein totalitäres Regime in der Geschichte und damit ein Ereignis war, auf das die Deutschen stolz sein können und das Wesentliches zu ihrer Identitätsfindung beitragen könnte, hat es im Bewußtsein der Öffentlichkeit nicht die Bedeutung erlangt, die ihm zukommt. Die DDR-Herrscher behaupteten sogleich, daß es sich beim Aufstand um "faschistische Provokationen" gehandelt habe, und angesichts dieser Keule kuscht jeder Politiker und Intellektuelle. Der Westen breitete bald das große Schweigen über den Aufstand, weil er die von Adenauer betriebene Westintegration in Frage stellte, hätte er doch bei entsprechendem Vorgehen der Westmächte durchaus Chancen geboten, der Wiedervereinigung Deutschlands näher zu kommen. Zwar erhob man den 17. Juni in der Bundesrepublik zunächst zum Feiertag, doch kann man an den bei offiziellen Veranstaltungen an diesem Tage beispielsweise im Bundestag gehaltenen Reden ablesen, wie die Bedeutung im Laufe der Jahre immer weiter heruntergestuft wurde und wie dann Redner ausgesucht wurden, die die Gelegenheit nutzten, um ausdrücklich gegen die deutsche Einheit zu predigen, weil das Streben danach, wie sie behaupteten, den Weltfrieden gefährden würde. Und mit zunehmendem Abstand deuteten immer mehr verblendete Westler die deutsche Teilung zur angeblichen "Strafe" für angebliche oder wirkliche deutsche Verbrechen um. So ist es denn auch kein Wunder, daß es bisher nur eine einzige Straße gibt, die nach einem Arbeiter benannt wurde, der bei dem Aufstand erschossen wurde, nämlich in dem kleinen Ort Taucha bei Leipzig. Statt dessen findet man aber noch immer auf dem Gebiet der ehemaligen DDR 111 Straßen, die die Namen von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl tragen, die damals zu den einflußreichsten kommunistischen Politikern in der DDR gehörten und sich beim Aufstand sofort auf die Seite der Sowjetunion schlugen. Nirgendwo gibt es dem Anlaß angemessene Gedenkstätten und Gedenkveranstaltungen zu Ehren der Toten des 17. Juni 1953. Und dabei waren es mindestens 51 Deutsche, die durch Waffen sowohl der sowjetischen Truppen als auch der in ihrem Auftrag handelnden Volkspolizei getötet wurden, andere Quellen sprechen sogar von 125 Toten. Um so verdienstvoller ist dieses Buch, das sich nicht in belanglosen Einzelheiten verliert, sondern den großen Bogen schlagend umfassend jedes wichtige Ereignis und seine Hintergründe schildert. Die DDR, Gebilde der Besatzungsmacht Sowjetunion, während die Bundesrepublik Deutschland Kind der westlichen Besatzungsmächte war, war im Volke damals keineswegs verankert. Noch zu lebendig waren die Greuel der Sowjets in den ersten Nachkriegsjahren, als aus der sowjetischen Besatzungszone 150.000 deutsche Zivilisten in den KZs der Sowjets verschwanden, 40.000 von sowjetischen Militärtribunalen zu Zwangsarbeit verurteilt und deportiert und Tausende hingerichtet worden waren. Die kommunistischen Herrscher der DDR bemühten sich, einen Überwachungsstaat nach Sowjetmuster zu schaffen, der jedoch in jener Zeit noch nicht in der Lage war zu erkennen, was sich im Bewußtsein der Menschen in Mitteldeutschland entwickelte. Die Versorgungslage war im Vergleich zum westlichen Deutschland schlechter. Trotz intensivster Arbeitsanstrengungen ging der Aufbau nur schleppend vonstatten. Als der FDGB, die kommunistische Einheitsgewerkschaft, zur Erhöhung der Arbeitsnormen aufrief, entlud sich der angestaute Unmut in zunächst einzelnen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen, die sich sehr schnell zu dem großen Volksaufstand entwickelten. Zwar ging er von Ost-Berlin aus, doch erfaßte er innerhalb von 24 Stunden fast alle größeren Orte - aber nicht nur sie. Er griff auch auf die Dörfer über. Die Evangelische Kirche hatte bereits im Februar 1953 den DDR-Ministerpräsidenten Grotewohl in einem Brief davor gewarnt, daß sich Unruhe in der Bevölkerung ausbreite, doch nahm die SED-Führung das nicht in der erforderlichen Wachsamkeit wahr. So wurde sie von den ersten Meldungen über Zusammenrottungen in der Ost-Berliner Innenstadt völlig überrascht. Ohne daß es Führungsgruppen gab, ohne daß Sprecher in Erscheinung traten, versammelten sich am 16. Juni etwa 10.000 Menschen in der Wilhelmstraße vor dem Haus der Ministerien, um den Rücktritt der Regierung und freie Wahlen zu fordern. Die Lawine schwoll immer weiter an, ohne daß auch der Westen zunächst begriff, was dort vor sich ging. Bevor der RIAS, der als "Radio im amerikanischen Sektor von Berlin" später vom Osten als Drahtzieher angegriffen wurde, auch nur die erste Meldung über die Vorgänge in Ost-Berlin verbreiten konnte, waren dort bereits Zehntausende von Menschen protestierend auf den Straßen. Als am Tag darauf, dem 17. Juni, das Zentralorgan der SED, das "Neue Deutschland", in Aussicht stellte, die Normenerhöhung würden zurückgenommen, war der revolutionäre Schwung der Demonstrierenden und Streikenden schon nicht mehr zu bremsen. Um 6 Uhr begannen dann die Demonstrationen erneut. In Sprechchören und auf schnell gefertigten Transparenten wurden der Rücktritt der DDR-Regierung, freie Wahlen sowie nun auch die deutsche Wiedervereinigung gefordert. Die zunähst soziale Empörung hatte sich nationale politische Ziele gegeben. Ein einheitliches Konzept aber der überall sich bildenden Streikkomitees war nicht zu erkennen. Die Polizei war zunächst hilflos. Es gab einzelne Volkspolizisten, die ihre Uniformen auszogen und in den Demonstrationen mitmarschierten. Andere Volkspolizeieinheiten aber zeichneten sich durch brutales Vorgehen aus. Sie prügelten auf die Demonstranten ein, die sich wehrten. So hatte das Wachregiment 30 Verletzte, davon fünf Schwerverletzte, zu verzeichnen. Das Columbus-Haus wurde gestürmt, rote Fahnen und SED-Transparente verbrannt. Vom Brandenburger Tor wurde die rote Fahne heruntergeholt. Zwischen 11 und 12 Uhr griffen dann sowjetische Truppen ein. Der Volkspolizei wurde Schießbefehl erteilt. Um 13 Uhr verhängte die sowjetische Besatzungsmacht den Ausnahmezustand über Berlin. Trotzdem versammelten sich auf dem Marx-Engels-Platz 50.000 Demonstranten zu einer Großkundgebung. 90.000 sowjetische Soldaten mit 600 Panzern sowie 15.000 Mann DDR-Polizei wurden allein in Berlin gegen die Streikenden eingesetzt. Aber die Bewegung war mit friedlichen Mitteln nicht mehr zu bremsen. In Leipzig, Gera, Merseburg, Magdeburg, Halle, Bitterfeld, Görlitz, Brandenburg, Jena, Rostock, Teterow, aber auch auf dem Lande - überall legten die Arbeiter die Fabriken still, verließen die Baustellen und die LPGs und fanden sich zu Demonstrationen zusammen. Gefangene wurden be- freit, Rathäuser gestürmt, LPGs besetzt, Stalinbüsten zerstört. Die Kirchen mit ihren Pastoren traten bei dem Aufstand, wie Hubertus Knabe ausdrücklich feststellt, nicht in Erscheinung - von Ausnahmen abgesehen, wie in Halle und in Bitterfeld, wo die Junge Gemeinde sich mit den Demonstranten solidarisierte, und wie der Pfarrer Gerhard Sammler in Bad Tennstedt bei Erfurt, der sich an die Spitze der Demonstration stellte und bei der Kundgebung die Menge aufforderte, mit ihm zusammen die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu sprechen. Die Bischöfe wollten den eingeleiteten Prozeß der Verständigung mit der SED hingegen nicht gefährden. Und so wurde denn auch die Evangelische Kirche nach der Niederschlagung des Aufstandes von der SED-Führung ausdrücklich gelobt. Aber auch prominente Mitglieder der CDU traten kaum beim Aufstand hervor. Eine besonders abstoßende Rolle spielten DDR-Schriftsteller und Künstler. Sie, die sich - manche zu Unrecht - rühmten, vor 1945 Widerstand geleistet zu haben, redeten nun der Besatzungsmacht UdSSR und dem SED-Regime nach dem Munde. Bert Brecht schrieb am Morgen des 17. Juni gleich drei Solidaritätsbekundungen und schickte sie an Ulbricht, Grotewohl und den sowjetischen Hochkommissar Semjonow (wenn er denn auch drei Tage später ein Gedicht "Die Lösung" verfaßte, in dem er sich lustig machte über den Sekretär des Schriftstellerverbandes, Kuba, einen besonders unfähigen Literaten, aber exzessiven Speichellecker der Sowjetmacht, dessen Ergebenheitsadressen jedes erträgliche Maß überschritten hatten. Brecht, immer vorsichtig und berechnend, hielt sein Spottgedicht allerdings lange Zeit geheim.) Aber auch andere kommunistische Kulturschaffende wie Fritz Cremer, Paul Dessau, Robert Havemann, Friedrich Wolf (Vater des Stasi-Generals Mischa Wolf), Erich Loest, Wolfgang Langhoff und Anna Seghers wandten sich gegen die streikenden Arbeiter und sprachen sich für die sowjetische Besatzungsmacht und deren SED-Regierung aus. Fritz Cremer begrüßte sogar ausdrücklich, daß die sowjetische Armee Todesurteile gegen Demonstranten fällte. Ähnliche Positionen gegen das Volk und für die Sowjets nahm der parteilose Literaturwissenschaftler Hans Mayer ein, der später in den Westen ging und bei den Linken hoch angesehen war und ist, aber auch Stefan Heym, der noch lange nach dem Aufstand die Propagandathese verbreitete, der Anlaß zum Aufstand sei auf die Agentenarbeit der Westmächte zurück-zuführen. Zwar hatten auch die Schriftsteller eine gewisse Kritik am SED-Regime angebracht, doch hatten sie dabei nur ihre eigenen Interessen im Blick, nicht die des Volkes. So war es kein Wunder, daß die Intellektuellen nach dem Aufstand von der SED-Führung ausdrücklich belobigt wurden. Der vom Aufstand völlig überraschte Westen hielt sich zurück. Die Besatzungsmächte von West-Berlin verboten dem Senat und den Medien, irgend etwas zu unternehmen, was die Demonstrationen im Osten verstärken könnte. Der Regierende Bürgermeister Ernst Reuter kümmerte sich darum aber nicht, sondern sprach auf einer riesigen Protestkundgebung in West-Berlin, wo er internationales Eingreifen verlangte, doch ließ sich Adenauer mit seiner Bonner Regierung zu keiner Aktivität bewegen. Erst als er befürchten mußte, daß ihm seine Passivität bei einer anstehenden Bundestagswahl Stimmen kosten würde, bequemte er sich, nach Berlin zu fahren. Die sowjetischen Truppen schlugen mit ihren Panzern den Volksaufstand nieder. Ohne sie wäre das SED-Regime zusammengebrochen. 13.000 Menschen wurden verhaftet. Angebliche westliche oder "faschistische" Drahtzieher wurden trotz aller Manipulationsversuche nicht entdeckt. Es gab sie auch nicht. Hier hatte das Volk selbst gesprochen. Insgesamt wurden ca. 1.600 Personen verurteilt, zwei davon zum Tode und drei zu lebenslanger Haft. Der Aufstand vom 17. Juni 1953 war, und dabei kann man
Knabe nur zustimmen, ein Schlüssel- ereignis der deutschen
Nachkriegsgeschichte. Die Massenerhebung war von einzigartiger Kraft und
Spontaneität. Ausgehend von wirtschaftlicher Not, entwickelte sie sich zur
politischen Bewegung für Freiheit und Demokratie und schließlich auch für die
Wiedervereinigung und die Einheit Deutschlands. Damit war sie ein Vorläufer der
Ereignisse, die zum 9. November 1989 führten. |