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21.06.03 / Liebespaare der Kulturgeschichte: Récamier und Chateaubriand

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 21. Juni 2003


Liebespaare der Kulturgeschichte: Récamier und Chateaubriand
Von Esther Knorr-Anders

Alter schützt vor Liebe nicht. Eine eigentümliche, späte, aber Jahrzehnte dauernde Liebesbeziehung verband Madame Juliette de Récamier mit dem Vicomte Francois de Chateaubriand. Juliette (1777 bis 1849) stand im Ruf, die für ihre Zeit faszinierendste Frau Frankreichs zu sein. Bekannte Künstler rissen sich darum, sie zu malen, zu modellieren. Das von Jacques David anno 1800 von ihr gefertigte Gemälde und das von Francois Gérard geschaffene Bildnis zeigt sie jeweils auf einer Liege hingestreckt, die den Namen "Récamiere" erhielt und durch den erhöhten Kopfteil in die Möbelkunst des Directoire-Stils einging. Bekleidet ist Madame mit einem römisch anmutenden Schleiergewand, die Füße sind nackt.

Die Schöne wirkt ein wenig welt-entrückt; Madame war - trotz vieler Ehejahre mit Jacques Récamier - Jungfrau. In Lyon als Tochter des Rechtsanwalts Bernard geboren, wuchs Juliette im Kloster auf und heiratete 16jährig den viel älteren Pariser Bankier Récamier; für ihn bedeutete sie "ein Kind, dessen Schönheit meine Augen entzückte und meiner Eitelkeit schmeichelte". Warum es nie zur Vereinigung der Ehegatten kam, blieb gesellschaftlicher Spekulation vorbehalten. "Ihre Ehe war ein typisches Artefakt des 18. Jahrhunderts - ein Triumph raffinierter Inszenierungskunst", vermutete Dan Hofstadter in "Die Liebesaffäre als Kunstwerk".

Récamier erwarb den Prachtbau in der damaligen Rue du Mont-Blanc und ließ ihn kostbar ausstatten. Bald zählte das Haus zu den meistbesuchten Salons aller, die in Paris Rang und Namen hatten. In dieser illustren Gesellschaft galt Juliette als "frigide Kokette", als "Mondfrau", "lunares Wesen".

Der Mann, der schließlich Dornröschens Stachelhecke im Jahre 1817 überwand, war Francois Chateaubriand, Staatsmann, Schriftsteller, Verfasser angefochtener politisch orientierter Werke und erzwungenermaßen auch Abenteurer durch die wechselnden Regime im damaligen Frankreich. Er fand keine politische Heimat; nicht verwunderlich bei seiner Originalität. Er war neun Jahre älter als Juliette. Schön war er nicht; Napoleon behauptete, er sehe aus wie ein "Verschwörer, der durch den Rauchfang eingestiegen ist". Ganz so schlimm kann es nicht gewesen sein. Ein Stahlstich zeigt den dunkelhäutigen Bretonen mit ernstem Blick. Warum gerade er es war, der Juliettes Gefühle entfachte, blieb der Nachwelt ungewiß. Chateaubriand selbst berichtet, daß er eines Abends in Juliettes märchenhaftem Salon mit Freunden auftauchte: "Ich wagte kaum, die Augen vor einer Person zu erheben, die derart von Bewunderern umgeben und in ihrem Ruhm und Glanz so unerreichbar weit von mir entfernt war." Trotzdem: die Brücke wurde gefunden und beschritten. Was empfindet ein erfahrener Lebemann - und das war Chateaubriand - einer 41-jährigen, sexuell unberührten Frau gegenüber? Weiß der Himmel! Eine moderne Gynäkologin würde ihm raten: "Tun Sie das Übliche, nur etwas andächtiger." Später nannte Chateaubriand Juliette seinen "Schutzengel", und sie schrieb ihm: "Meine Liebe, mein Leben, mein Herz, alles gehört Ihnen."

Ihre lange, fraglos innige, doch oft durch Eifersucht und Trennungen komplizierte, quälerische Beziehung währte bis ins hohe Lebensalter. Ihre Ehen wurden nicht tangiert. Das intellektuelle Frankreich trennte Erotik von der legalisierten Partnerschaft.

Jacques Récamier starb 1830, Chateaubriand 1848. Er hatte, nun 80 Jahre alt, wenige Monate nach dem Tod seiner Frau Céleste 1847 der 70jährigen Juliette einen Heiratsantrag gemacht. Sie sahen sich täglich. Ein Tag ohne Gemeinsamkeit dünkte ihnen unerträglich. Dennoch antwortete Juliette: "Heiraten - warum? Wofür wäre das gut?" Mit ausgesuchten Worten wies sie darauf hin, daß sie halb erblindet sei und er schwer an Gicht leide. Sie schrieb ihm: "Wäre ich jünger, so würde ich nicht zögern, mit Freuden das Privileg, Ihnen mein Leben weihen zu dürfen, anzunehmen. Aber die Jahre und meine Blindheit haben mir dieses Vorrecht bereits verschafft. Wir wollen an dieser vollkommenen Liebesbeziehung nichts verändern."

Außerdem - und das wußten beide - dämmerte bereits ihr Daseinsfinale herauf.

Francois de Chateaubriand: Staatsmann und Schriftsteller mit Leidenschaft