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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 28. Juni 2003 |
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Tragik und Ekstase Liebespaare der Kulturgeschichte: Tristan und Isolde von Esther Knorr-Anders Was hat Liebe mit Moral zu tun? Gar nichts! Sie ist Bann, die Seele und die Sinne befallender Zauber. Um 1210 schrieb Gottfried von Straßburg, glänzender Schöpfer minnezeitlicher Poesie, den Versroman "Tristan und Isolde", eine Geschichte von Erotikrausch, Ekstase und Schuld. Es war nicht die erste und blieb nicht die letzte Fassung des keltisch-bretonischen Sagenstoffes. Aber es blieb die berühmteste. Sie lebt, in vielerlei Varianten von späteren Autoren nacherzählt, bis heute fort und wurde Lesegut der Welt. Tristan ("Traurigkeit") wird als Sohn Riwalins von Parmenien geboren und kommt nach dem Tod der Eltern an den Hof seines Onkels, König Marke von Kornwall und England. Marke faßt zu dem jungen, wohl gestalteten und nach ritterlichen Idealen erzogenen Neffen Zuneigung und Vertrauen. Marke will - des Friedens mit Irland wegen - heiraten und trägt Tristan auf, der irländischen Königstochter Isolde, dem "Mädchen mit den Goldhaaren", die Werbung zu überbringen. Königsehen sind selten Liebesverbindungen, sondern Zwangs-ehen. Isoldes mixturenkundige Mutter braut ein Getränk zusammen, den "Liebestrank", "Minnetrank", der zwei Menschen unlöslich verkettet. Sie übergibt den Trank, der in der Wirkung einer Art Langzeit-Viagra gleichkommt, Isoldes Freundin und Begleiterin Brangäne, weiht sie in das Geheimnis des Gesöffs ein und beschwört sie, den Humpen während der Seereise zu hüten. Sobald Marke und Isolde sich auf Burg Tintajele in Kornwall begegnen, soll sie das Getränk beiden kredenzen. Brangäne verspricht Achtsamkeit und birgt den Humpen in ihrer Kajüte. Tristan ist Leibwächter Isoldes. Er sucht die Unglückliche zu trösten, denn Isolde will nicht in der Fremde einen Fremden heiraten. Ein Glas Wein und ein heiteres Gespräch - so hofft Tristan - werden Isolde aus der Schwermut lösen. Das Verhängnis nimmt seinen Anfang ... Tristan erbittet Wein. Die für das leibliche Wohl sorgende Brangäne ist jedoch nicht in ihrer Kajüte, und so ergreift eine Dienerin den abgestellten Humpen. Warum auch nicht? Was Brangäne aufbewahrt, wird munden. Tristan und Isolde trinken. "Dir zum Glück", wünscht Tristan. "Dir zum Guten", ergänzt Isolde. Wie seltsam! Es ist, als sähen sie sich zum ersten Mal. Brangäne erscheint. Mit einem Blick erfaßt sie die Situation. Entsetzen packt sie, und Schuldgefühl. In Schuld wird sie verstrickt bleiben. Schneller als Tristan und Isolde erkennt sie die beginnende Wirkung des Tranks: Ständiges Sichaufsuchen, verräterische flüchtige Berührungen. "Herze-vrouwe (Herzensfrau), liebe Isot!" Tristan gesteht Isolde: "Ihr habt mir meinen Verstand ganz und gar verkehrt und geraubt - ich erhol mich niemer mere." Isolde steht Tristan an Bekenntniswilligkeit nicht nach. Drei unsterbliche Worte reichen: "Ich liebe dich." Beide offenbaren sich der bereits wissenden Brangäne und bitten sie, ihnen immerdar beizustehen. Brangäne sagt zu. Sie fühlt sich ihnen durch die Nachlässigkeit von wenigen Minuten, die der Humpen fremder Hand zugänglich blieb, schicksalhaft den Liebenden verflochten. Es geschieht, was vorauszusehen war: Der Zwang zur Vereinigung, "der stric (Band) ihr beider sinne" überwältigt Tristan und Isolde ... Angst beschleicht das verschworene Trio: Isolde wird nicht als Jungfrau Markes Gattin; damals eine Ungeheuerlichkeit für eine Königsheirat. Liebende und ihre Helfershelfer entwickeln Schläue. Straßburg schrieb eine possenhaft anmutende Hochzeitsnachtszene, die Kritiker sittlich anfechtbar dünkte. Das Trio hatte die Inszenierung perfekt ausgeklügelt. Üblich war, daß im Vorraum zur Schlafstätte des Paares zwei Vertraute Wache hielten. Isolde hatte Marke gebeten, nur in tiefer Dunkelheit zu ihm zu kommen. Ihre keusche Scheu entzückte ihn. Statt Isolde wurde die jungfräuliche Brangäne von Tristan ans Bett geführt. Marke zog sie zu sich. Redlich erschöpft, orderte er dann das rituelle Glas Wein. Lautlos glitt Brangäne aus der Kemenate, erleichtert, daß es so kurz gedauert hatte. Ebenso lautlos glitt Isolde zum Bett. Tristan brachte Licht und Wein, der Markes Lebensgeister neu entfachte. Isolde überließ sich ihm. Seit Urzeiten wissen Männer und Frauen um den phantasiegeknüpften Trick, beim Muß-Beischlaf spirituell den insgeheim geliebten Menschen zu umarmen. Und Tristan? Auch er praktizierte psychische Ausflucht. In seiner Vorstellung erfüllte Isolde als Gattin des Königs ein Pflichtprogramm, nichts weiter. Die Liebenden sahen sich täglich, oft an einem Waldsee. Das konnte dem Hof nicht verborgen bleiben. Getuschel setzte ein. Der intrigensüchtige Melot trägt Marke jedes aufkeimende Gerücht zu. Als Spitzel versteht er sein Handwerk. Er entdeckt die nächtlichen Treffen am See und führt Marke hin. Sie verbergen sich im Laub eines Ölbaumes, sehen die Liebenden kommen. Doch in der mondhellen Nacht erkennen beide die Schatten ihrer Beobachter. Isolde wird zur Meisterin beweisverfälschender Redekunst. Gut hörbar wirft sie Tristan vor, durch sein auffälliges Verhalten ihre Ehe zu gefährden. Doch sie könne beschwören, keinen anderen Mann zu lieben, "außer dem einen, dem die erste Rosenblüte meiner Jungfräulichkeit zuteil geworden ist". Der lauschende Marke, der sich dank Brangänes Hilfstat in der Hochzeitsnacht als Isoldes "Premieremann" wertet, wird von Reue geschüttelt, wutentbrannt bezichtigt er Melot der Lüge, versöhnt sich feierlich mit Isolde. Jetzt treibt es Melot zu beweisen, kein Lügner zu sein. Allzuschwer kann das nicht fallen, denn "Vorsicht" ist im Wortschatz von Tristan und Isolde nicht abrufbar. So kommt es zur Einberufung eines Konzils und der Forderung Markes nach einem Gottesurteil. Isolde soll vor hohen Geistlichen ihre Aussage beeiden, "nur einen Mann zu lieben" und zum Beweis der Eideswahrheit ein "glühendes Eisen" berühren. Schützt sie der Himmel? Mit fester Stimme schwört Isolde - und berührt unversehrt das Eisen. Es ist die zweite Szene in Straßburgs Werk, die als lästerlich empörte. Eine Weile fühlte sich Marke beruhigt. Doch Eifersucht entfaltet Dämonie. An Blicken, Gesten glaubte er zu erkennen, daß Tristan und Isolde gedanklich den Liebesakt vollzogen. Mit dieser Seelenklemme konnte er nicht leben und gebot ihnen, das Land zu verlassen. Alsbald ritten sie in die Waldwildnis. Tristan kannte eine Felsenhöhle, die "Minnegrotte", die einst von Geisterwesen bewohnt worden war. Öffnungen im Felsen ließen Licht hereinfallen und das kristallene Bett leuchten. Hier verweilten sie ... Marke suchte Trost in der Jagd. Weithin schallten die Hörner. Tristan und Isolde befiel Furcht vor Entdeckung der Minnegrotte. Sie entschieden, voneinander abgewendet zu ruhen, das Schwert Tristans zwischen ihnen. Ein Jäger Markes fand sie und berichtete ihm, ein wundersames Paar in einer Grotte gesehen zu haben. Unverzüglich folgte ihm Marke, erblickte das Kristallbett und das die Schläfer trennende Schwert: Rittersymbol der Keuschheit! Hatte er etwa doch Unschuldige verdächtigt? Sein Herz gebot ihm Glauben. Er schickte Tristans Freund Curvenal zur Grotte: das Paar möge ehrenvoll an den Hof zurückkehren. Sie kamen. Wie heutige Stars brauchten sie Glanz, Brimborium. Es war ihre Welt - und an ihr gingen sie zugrunde. Spione umlauerten sie. Unmöglich, sich zusammenzufinden. Sinnen-Ekstase konnten sie jedoch nicht entbehren. Der letzte Liebesakt: An einem sonnenglühenden Tag wähnten sie sich im Park allein. An schattiger Stelle sanken sie nieder. Beim Parkeingang wachte Brangäne mit wachsendem Grauen. Markes Schnüffler waren unterwegs. Dann stürzte er selbst zum Lager. Nun sah er, was seine Phantasie ihm vorgegaukelt hatte: das Paar in Einheit verschlungen, "ir munt an sinem munde". Jetzt wünschte Marke, Gewißheit nie gefunden zu haben. Solange er zweifelte, war er glücklicher gewesen. Schweigend ging er weg. Zeit war nicht zu verlieren. Marke würde Zeugen holen. Tristan mußte fliehen, sofort. Mit Curvenal erreichte er den Hafen. Das ablegende Schiff segelte zur Normandie ... Brangäne und Isolde standen oft am Meer. Tristan! Wo war er? In seiner Heimat versuchte er, sich der Edeltochter Isolde "Weißhand" zuzuneigen. Selbstbetrügerisch meinte er, die Namensgleichheit würde die Erinnerung an die ferne Geliebte verblassen lassen. Mit diesem Zwiespalt Tristans schließt Straßburgs unvollendetes Epos. Der Dichter starb ... Der Schluß der Liebestragödie wurde auch in anderer Version erzählt: Brangäne und Isolde entfliehen Marke. Tristan, schwer erkrankt, lebt auf seiner Stammburg Kareol an der Küste. Er hat Nachricht von Isolde erhalten, daß sie zu ihm kommen werden. Wenn die Flucht gelingt, wird das Schiff ein schneeweißes Segel setzen, bei Mißlingen ein schwarzes. Curvenal und Tristan warten unentwegt am Meer. Ein Schiff nähert sich; das schwarze Segel weht. Verwechslung? Oder ränkegeballte Rache Markes? Tristans Lebensfaden reißt. Das Schiff legt an. Isolde hetzt das steinige Ufer herauf. Beugt sich zu dem vermeintlich Schlafenden. "Wach auf, Tristan, ich bin da!" Keine Reaktion. Sie preßt ihre Hand auf sein Herz. Nichts! Curvenal: "Er ist gestorben, Isolde." Sie streckt sich neben den Toten, drückt den Kopf an seine Brust. Reglos verharren Brangäne und Curvenal neben der Sterbenden: Isoldes Liebestod. |