29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
28.06.03 / Des Königs Dank droht der Verfall / Beim Schloß Grünhoff, einem Geschenk Friedrich Wilhelms III. an Graf Bülow, besteht akuter Handlungsbedarf

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 28. Juni 2003


Des Königs Dank droht der Verfall
Beim Schloß Grünhoff, einem Geschenk Friedrich Wilhelms III. an Graf Bülow, besteht akuter Handlungsbedarf

Wahrscheinlich ist nun die obere Etage unseres Hauses und der Gartensaal fertig, die Wohnung wird also schon ganz angenehm sein, ich sehne mich sehr nach dem Augenblick, wo ich wieder an Deiner Seite, im Zirkel unserer Kinder ein friedliches Leben führen werde." So schrieb General Friedrich Wilhelm, Reichsfreiherr von Bülow, Graf von Dennewitz (1755-1816) am 14. Mai 1815 - wenige Wochen vor der Schlacht bei Belle-Alliance - in einem bisher unveröffentlichten Brief aus Lüttich an seine Ehefrau Pauline. Im April jenes Jahres hatte er das bis dahin als Staatsdomäne verpachtete vormalige kurfürstlich-königliche Jagdschloß Grünhoff im Samland unweit des Ostseebades Cranz als königliches Dotationsgut für seine Verdienste in den Befreiungskriegen gegen Napoleon erhalten.

"Die altritterliche, dann auch reichsfreiherrliche und gräfliche Familie, dem Norden von Deutschland angehörig und in den baltischen Ländern ausgebreitet, hat vom dreizehnten Jahrhundert an viele ihrer Mitglieder in den höchsten Würden und Ämtern des Staats und der Kirche gesehen, ihre größte Verherrlichung aber in dem Kriegshelden erlangt, dessen Leben darzustellen wir hier versuchen", heißt es zu Beginn von Karl August Varnhagens Biographie über das "Leben des Generals Grafen Bülow von Dennewitz" aus dem Jahre 1853. Seine Verdienste sieht Bülow selbst, der 1814 zum General der Infanterie ernannt und unter Beilegung des Namens von Dennewitz in den erb-lichen Grafenstand erhoben wurde, etwa in einem gleichfalls unpublizierten Brief an seine Frau wie folgt: "... die Vorsehung hat mich in die Lage versetzt, daß es mir und den meinigen nicht fehlen kann, der Staat ist mir zu viel schuldig als daß ich hierüber nicht sicher sein könnte, denn durch die Bataillen von Groß Beeren und Dennewitz habe ich eigentlich erst dem Krieg eine ganz andere Wendung gegeben, die Wegnahme von Holland allein ist Ursache, daß man überhaupt im Winter noch den Rhein passiert, ohne dieses wären alle Armeen am Rhein stehen geblieben und Napoleon stünde an den Ufern des Rheins an der Spitze großer Armeen."

Schon in einer Kabinettsordre vier Tage nach dem ersten Friedensschluß in Paris am 30. Mai 1814 war ihm von König Friedrich Wil-helm III. zudem zugesichert worden: "Demnächst wird es meine erste Sorge sein, Ihnen noch einen andern Beweis meiner Erkenntlichkeit durch die Verleihung eines Besitzes in liegenden Gütern für Sie und Ihre Nachkommen zu geben." Und im Herbst jenes Jahres erhielt Bülow die Nachricht, daß der König die Güter schon bestimmt habe und daß die "förmliche Urkunde deßfalls nächstens erfolgen werde". Wie die anderen Oberbefehlshaber eines preußischen Heeresteils, also Blücher, Yorck und Tauentzien, erhielt Bülow eine Schenkung von Staatsgütern im Wert von 200.000 Talern.

Wiewohl Schloß Grünhoff im 1993 als "vollständige Neubearbeitung" erschienenen "Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler West- und Ostpreußen" nicht mehr aufgenommen ist - am Ende des Buches wird es nur namentlich unter "Bestand unbekannt" aufgelistet - und es auch in Hermann Heck-

manns "Baumeister des Barock und Rokoko in Brandenburg-Preußen" aus dem Jahre 1998 als "nicht erhalten" vermerkt ist, hat es doch als eines der wenigen Schlösser und Gutshäuser im heute russisch verwalteten Teil Ostpreußens überdauert. Freilich haben Schloß und Park im von den Russen Roschino genannten Ort ihren Glanz verloren. Von weitem präsentiert sich das Äußere des Herrenhauses jedoch noch weitgehend in seiner letzten baulichen Gestalt. Diese geht auf einen Um- und Erweiterungsbau zurück, den Bülows Sohn Friedrich Albert von 1850 bis 1854 durch den Königsberger Baumeister Mohr ausführen ließ. Durch die Aufstockung um ein Obergeschoß, den Anbau des Südflügels mit neugotischem (jetzt fehlendem) Treppenturm und die spätklassizistische Überformung des Gesamtbaus hatte sich das vormalige hochbarocke Jagdschloß Friedrichs III./I. stark verändert. Alexander Dunckers Tafelwerk "Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer in der preußischen Monarchie" zeigt dieses neue Grünhoff mit Landschaftspark im englischen Stil in einer Farblithografie um 1865.

Das Schlößchen hatte der Kurfürst von Brandenburg und Herzog von Preußen vor 1700, vermutlich 1697, nach dem Entwurf des Hofbaumeisters in Königsberg, Christian Fried-rich Eltester (1671-1700), einem Schüler Rutgert von Langevelts, durch den Bauschreiber Georg Henrich Kranichfeld (gestorben 1715) beginnen lassen. Rechnungen in den Akten des Geheimen Staatsarchivs in Berlin belegen eine Bautätigkeit bis 1703.

Seit kurzem steht das Schloß leer und ist im Verfall begriffen. Im letzten Winter wurde gar ein Teil der hölzernen Ausstattung - Türen, Fensterflügel, Treppenhaus und Fußböden - von den Bewohnern der umliegenden einstigen Wirtschaftsge-

bäudes des Gutes verheizt. Der Rest wird im nächsten Winter folgen. Da auch alle Glasscheiben fehlen, dringt zunehmend Feuchtigkeit in das Gebäude. Dies hat bereits zu Löchern in den Decken und stellenweise zur Ablösung des Stucks geführt. Noch ist allerdings der Dachstuhl und die nachkriegszeitliche Eindeckung mit Eternitplatten bis auf kleinere Fehlstellen intakt.

Der zirka neun Meter lange, sechs Meter breite und über vier Meter hohe, mit konkav eingebogenen Wänden aus dem Baukörper herausgeschobene ovale Gartensaal, von dem sich wie ehedem der Blick auf den großen Teich bietet, zeigt über den die Wand gliedernden kannelierten Pilastern mit Akanthuskapitellen einen umlaufenden Fries von jeweils eine Lyra flankierenden Greifen und in der Mitte der Decke ein rautenförmig umrahmtes Rankenornament mit zentraler Rosette und Kranz sowie einem Schwan an jeder Ecke. Es ist der klassizistische Stuckschmuck, mit dem General Bülow von Dennewitz den zum barocken Stammhaus gehörenden Gartensaal um 1815 ausstatten ließ. Viel hat der Saal von seiner Wirkung durch die Vermauerung des mittleren Türbogens zum Garten in sowjetischer Zeit verloren. Noch ist aber der Raum seines kunstvollen Parketts nicht beraubt.

Das barocke Schloß von der Hofseite mit übergiebeltem Mittelrisalit und vorgelagerter Freitreppe dokumentiert ein Kupferstich von Jean Baptiste Broebes in seinem 1733 posthum bei Johann George Merz in Augsburg erschienenen Kupferstichwerk "Vues des Palais et Maisons de Plaisance de S. M. le Roy de Prusse". Schon vor Grünhoff hatte sich Kurfürst Friedrich III. durch Kranichfeld von 1693 bis 1697 das Jagdschloß Friedrichshof, das spätere Holstein beziehungsweise Groß Holstein, bei Königsberg an der Mündung des Pregel in das Frische Haff nach dem Entwurf des Oberbaudirektors Johann Arnold Nering erbauen lassen, das im neuen "Dehio" ebenfalls fälschlich als nicht mehr existent angegeben wird.

Der Fries mit den von Greifen flankierten altgriechischen Saiteninstrumenten im Gartensaal des Schlosses Grünhoff, in dem früher ein Klavier stand, verweist wohl nicht zufällig auf das musikalische Talent der Familie Graf Bülow von Dennewitz. "Ein höherer Sinn und Geist in Bülow", so Varnhagen von Ense, "bewährt sich auch besonders durch seine Liebe zur Musik. Schon im väterlichen Hause hatte er das Klavierspiel fleißig geübt, auch blies er die damals so sehr beliebte Flöte." Er lernte in Berlin Kompositionslehre bei Christian Friedrich Karl Fasch, dem "Kammermusikus des Königs" (Cembalist) und 1790 Begründer der nachher unter der Leitung Carl Friedrich Zelters blühenden Singakademie. Die "Leidenschaft, die er für Musik und Gesang hegte", trat "mächtig hervor, er liebte besonders Gluck und Mozart und alte Kirchenmusik; in dieser ernsten Weise waren auch seine eigenen Tonsetzungen, unter welchen eine Messe, eine Motette, der einundfünfzigste und hundertste Psalm besonders hervorgehoben werden".

Friderike von Auer, geb. Kleist, die Schwester von Bülows Frau, schrieb in ihren Erinnerungen über Fürst Blücher und Bülow: "Die beiden Generäle standen auf sehr verschiedener Bildungsstufe. Blücher saß die halben Nächte und den größten Teil des Tages im Spielhaus, während Bülow componierte und musikalische Talente um sich versammelte." "Besonders der geniale Prinz Louis Ferdinand", so Varnhagen von Ense, "der die Musik leidenschaftlich liebte und mit größter Meisterschaft Klavier spielte, fand sich zu Bülow hingezogen, der dieser Kunst mit gleichem Eifer und kaum minderem Talent ergeben war." Bereits im Ersten Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich wurde Major Bülow 1793 bis 1795, so sein Ururenkel Joachim-Albrecht Graf Bülow von Dennewitz, "nicht nur wegen seines Charakters und seiner militärischen Begabung, sondern auch wegen seiner musischen Neigungen ... zum militärischen Begleiter (Stabskapitän) des [1806 bei Saalfeld gefallenen] Preußenprinzen ausersehen, um durch seinen Einfluß das leidenschaftliche Temperament des Prinzen zu zügeln".

Während sämtliche Kompositionen im Original verlorengingen, rettete sein gleichnamiger Ururenkel und letzte Besitzer von Grünhoff, Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz, der heute in der Umgebung von Baden-Baden wohnt und am 21. August dieses Jahres seinen 90. Geburtstag feiert, bei der Flucht im Januar 1945 die Briefe des Generals aus dem Familienarchiv, darunter die an Pauline aus den Feldzügen von 1813 bis 1815. Die in Varnhagen von Enses Biographie nur zu einem Teil zitierte bedeutsame Korrespondenz ist leider noch nicht publiziert. In einem Brief an seine Frau vom 25. September 1813 bezeichnet sich der General selbstkritisch oder -ironisch als "einen Menschen, der handwerksmäßig Mordbrennerei treibt", bedauert aber angesichts seiner unmittelbar bevorstehenden Bombardierung der Festung Wittenberg, in der sich französische Truppen verschanzt haben, die Zerstörung der Luther-Gedenkstätten und fürchtet, "daß vielleicht mehr unschuldige unglückliche Einwohner den Tod finden werden als Feinde darin umkommen".

Als Blücher nach der endgültigen Niederlage Napoleons bei Belle-Alliance 1815 plante, den nach dem Sieg des Kaisers bei Jena 1806 benannten Pont d'Iena in Paris in die Luft zu sprengen, mahnte Bülow, daß es keinen Sinn mache, den Haß der französischen Bevölkerung herauszufordern. Ohnehin hatte er schon früher seinen Truppen bei höchster Strafandrohung die "den preußischen Namen entehrenden" Plünderungen und Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung verboten. 1816 verlieh ihm der wieder regierende Bourbonenkönig Ludwig XVIII. das Großkreuz des französischen Militär-Verdienstordens du Mérite, das ihn jedoch nicht mehr zu Lebzeiten erreichte. Am 25. Februar 1816, nur sechs Wochen nach seiner Rückkehr nach Königsberg, starb der bereits durch ein Leberleiden geschwächte 61jährige General infolge einer sich auf der Jagd in Neuhausen zugezogenen Erkältung. Bülow gehörte mit seinen hohen ethischen Maximen zu den Offizieren jenes musikalisch-kultivierten Typs, der in der alten preußischen Armee nicht selten war.

Im "Dehio-Handbuch" von 1952 wird noch eine "bemerkenswerte familiengeschichtliche Sammlung aus der Zeit der Napoleonischen Kriege" erwähnt, über deren Schicksal nach 1945 bisher nur wenig bekannt ist. Dem Verbleib dieser vor dem Ersten Weltkrieg unter Reichsdenkmalschutz gestellten Dokumente und Ehrengeschenke, die nach Dora-Eleonore Behrends "Schlösser des Ostens" aus dem Jahre 1934 Grünhoff "zu einem Hort geschichtlicher Tradition und Erinnerung" machten und sich in einem Panzerschrank und einer Vitrine - einer Mahagoni-Servante (Empire) - im Gartensaal beziehungsweise in der Bibliothek daneben befanden, nachzugehen, ist wieder eine andere Aufgabe. Soll das Jagdschloß des ersten preußischen Königs und spätere Dotationsgut des berühmten Generals der Befreiungskriege gegen die napoleonische Fremdherrschaft nicht bald zusammenstürzen und damit ein einzigartiges europäisches Architektur- und Kulturdenkmal verschwinden, so ist größte Eile geboten. Beim obersten Denkmalpflegeamt in Königsberg sind Schloß und Park zwar als "object of cultural heritage" vermerkt, doch - da unbearbeitet - noch nicht mit Nummer versehen. Zumindest eine Unterstützung der russischen Denkmalpfleger bei der bauforscherischen Untersuchung und Dokumentation des vor nunmehr 300 Jahren vollendeten Schlosses ist dringend geboten.

Gartenseite: Das im Samland unweit von Cranz gelegene Schloß Grünhoff

Gartensaal: Das kunstvolle Parkett ist noch vorhanden Fotos (2): Lange