19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.07.03 / Letztlich gilt Faustrecht

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Juli 2003


Letztlich gilt Faustrecht
Die großen Mächte ordnen sich keinem internationalen Recht unter
von R. G. Kerschhofer

Beim Normalverbraucher entwickelte sich nach 1945 etwa folgendes Rechtsverständnis: Lokale Behörden kümmern sich nach lokalen Gesetzen um lokale Verbrechen und Streitfälle. Internationale Instanzen sind für zwischenstaatliche Sachen zuständig, wobei irgendwo über dem wirren Geflecht aus Abkommen, Konventionen und Organisationen die Uno thront. Und die einzigen Kriegsverbrecher der Weltgeschichte waren schon in Nürnberg und Tokio abgeurteilt worden. Gewiß, es gab immer wieder kleinere Trübungen dieses Idealbilds. So etwa fand sich jeweils noch ein Uralt-Nazi, wenn es darum ging, neue Forderungen zu untermauern oder von aktuellen Verbrechen abzulenken. Und in der zweiten, dritten und vierten Welt gab es auch weiterhin GULags, Massenmorde und Angriffskriege. Aber das waren eben innere Angelegenheiten. Oder es geschah in weiter Ferne. Und letztlich brauchen doch auch Friedenstruppen und Hilfsorganisationen ein Betätigungsfeld.

Wirklich zu Bruch gingen die Illusionen erst mit der Jugoslawien-Krise: Massenverbrechen geschahen mitten in Europa! Trotzdem konnte sich ein Milosevic jahrelang auf politische, teils sogar militärische Unterstützung durch friedliebende Uno-Mitglieder verlassen, bei denen die alten Entente-Reflexe wieder hochgekommen waren oder die einfach Angst vor Abspaltungsbewegungen im eigenen Land hatten. Daß man nach dem entscheidenden militärischen Eingreifen der USA das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag einrichtete, war eine bloße Alibi-Handlung, mit der Europa sein jämmerliches Versagen zu kaschieren trachtete. Angeregt durch Ereignisse auf dem Balkan und in Schwarzafrika beschloß Belgien vor zehn Jahren ein Gesetz, das belgischen Gerichten alle Kriegsverbrechen zu ahnden erlaubt, egal wo, von wem und an wem sie begangen wurden. Die Ausweitung der eigenen Gerichtshoheit entspricht an sich der klassischen Siegerjustiz. Neu war nur, daß die Belgier dies ohne Machtmittel taten! Der Erfolg war dementsprechend:

Ganze vier Leute aus Ruanda wurden abgeurteilt, doch alle anderen Verfahren verliefen im Sande. Palästinenser hatten vor allem gegen Sharon ein Verfahren angestrengt wegen der Massaker von Sabra und Schatila 1982. Doch als kürzlich auch Bush und Blair wegen des Irak-Kriegs angeklagt werden sollten, war endgültig Schluß: Die Belgier müssen ihrem Gesetz die Zähne ziehen, sonst wird das Nato-Hauptquartier verlegt. Ein juristisch und auch politisch einwandfreier Ansatz wäre hingegen ein internationales Gericht, von dem potentielle Täter schon im vorhinein wissen müssen, daß sie dort landen würden. Der 1998 in Rom beschlossene und kürzlich etablierte Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) entwickelt sich allerdings zur Farce: Etliche Länder - darunter die USA, Rußland, Indien, China und Israel - haben das Abkommen nicht unterzeichnet oder weigern sich, es zu ratifizieren. Und die USA trachten durch bilaterale Abkommen - sogar mit den Unterzeichnern! - die Auslieferung von US-Bürgern an den ICC zu verhindern. Rund 50 Habenichtse konnten durch Drohung mit dem Entzug von Wirtschafts- und Militärhilfe bereits "motiviert" werden. Auslieferung wird überhaupt zu einer Kernfrage der Rechtssicherheit. Dazu ein Kuriosum, das die Lebenslügen der Uno illustriert: Ein im Kosovo stationierter österreichischer Polizist wird beschuldigt, einen verhafteten Mörder bedroht und mißhandelt zu haben. Die UNMIK will ihm nach "kosovarischem Recht" den Prozeß machen. Höchst erstaunlich, denn laut Uno ist Kosovo eine serbische Provinz. Sehr zum Ärger von UNMIK-Chef Steiner konnten die Österreicher den Mann rechtzeitig heimholen. Ein Verfahren in Österreich ist aber unmöglich, weil sich die UNMIK weigert, österreichischen Gerichten die nötigen Unterlagen zu übergeben. Und eine Auslieferung kommt für Österreich nicht in Frage, weil laut einem Abkommen mit Jugoslawien - und daher auch mit dem Rechtsnachfolger Serbien inklusive Kosovo - die beiden Länder ihre Bürger jeweils nur im eigenen Lande aburteilen. Mit Einführung des "Europäischen Haftbefehls", der die Auslieferung eigener Bürger an ein anderes EU-Mitgliedsland erzwingt, wurde ein weiterer Gewaltakt zur Vernichtung nationaler Identität und Loyalität gesetzt.

Die neuen Rechtshilfeabkommen mit den USA zwingen EU-Mitglieder zur Auslieferung von Bürgern eines Drittlandes, aber nicht von eigenen Bürgern. Noch nicht, kann man da sagen, denn der Druck aus Washington ist groß. Der Mangel an Reziprozität und Transparenz, die Überschneidungen von ICC und bilateralen Abkommen, das Vorgehen in Afghanistan und im Irak, vor allem aber die Behandlung von Gefangenen, denen jedweder Status verweigert wird, all das zeigt, daß letztlich nur das Faustrecht gilt. Und nicht zu vergessen: Terrorismus ist das Faustrecht der Rechtlosen.

Den Haag: Kofi Annan spricht vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Foto: dpa