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12.07.03 / Er hat die Herzen tief bewegt / Neuer Arbeitsbrief über Leben und Werk von Ernst Wiechert erschienen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Juli 2003


Er hat die Herzen tief bewegt
Neuer Arbeitsbrief über Leben und Werk von Ernst Wiechert erschienen

Er selbst sah sich nahezu als einen Rattenfänger mit der Flöte, der die Menschen mit der "Macht des Wortes" betörte, "ein verzauberndes Netz um viele Herzen spann". Und diese Verzauberten, die den Flötenruf vernahmen, folgten ihm, dem Dichter, und niemals bedachten sie, "ob er sie auf eine Insel der Seligen oder in den Abgrund führen würde". Ernst Wiechert (1887-1950) aber lebte, was er schrieb, und seine Leser sahen, "daß ich selbst in den Zeiten der härtesten Prüfung zu dem stand, was ich geschrieben hatte", betonte er in seinen Erinnerungen "Jahre und Zeiten". "In schwerer Zeit hat Wiechert mit seinen Büchern Hoffnung gegeben", schreibt Hans-Martin Pleßke in dem neuen Arbeitsbrief, den die Kulturabteilung der Landsmannschaft Ostpreußen in Hamburg herausgegeben hat: Der die Herzen bewegt - Ernst Wiechert (64 Seiten mit zahlr. sw Fotos, 2,50 Euro zuzügl. Versandkosten; zu beziehen bei Landsmannschaft Ostpreußen, Abt. Kultur, Parkallee 86, 20144 Hamburg).

Bald zwei Jahrzehnte sind vergangen, da ein erster Arbeitsbrief über den Dichter aus dem Forsthaus Kleinort, Kreis Sensburg, erschien. Damals waren es vor allem Texte von Wiechert selbst und solche von Zeitzeugen, die ein prägnantes Bild des Dichters zeichneten. Pleßke, einstmals Vorsitzender der Internationalen Ernst Wiechert Gesellschaft (IEWG), würdigt mit einfühlsamen Worten, wenn auch kei- neswegs unkritisch, Leben und Werk des Ostpreußen. Er geht dabei auch auf einzelne Werke des Erzählers, Lyrikers, Dramatikers und Essayisten ein, ein löbliches Unterfangen, wenn man bedenkt, daß die Ausgabe der sämtlichen Werke Wiecherts mit zehn Bänden etwa 7.500 Druckseiten umfaßt.

Wer sich einmal mit den Texten des Dichters befaßt hat, den wird zunächst die manches Mal überschwengliche Sprache irritiert haben. Dann aber fühlt man sich doch bald mitgerissen von dieser Sprache, von dem Leben, das Wiechert so einfühlsam schildert. Gerade aber jungen Lesern "gilt es verständlich zu machen, daß die Welt, in der die Wiechertschen Gestalten agieren, vor nicht allzu langer Zeit noch unsere Gegenwart war", so Pleßke. "Den Stil der Werke Wiecherts prägte die feierliche Sprache der Bibel ... die Entfremdung von der Bibel mit ihrem Alten und Neuen Testament führt nicht selten nur deshalb zur Ablehnung der Aussagen in seinen Büchern, weil man damit nichts anzufangen weiß. Dabei war die dort zum Ausdruck kommende vielgestaltige religiöse Haltung noch vor Jahrzehnten ein Teil der Lebensgrundlage und Lebenseinstellung unserer Menschen."

Pleßke stellt den Dichter, aber auch den Menschen Wiechert vor, einen Menschen mit all seinen Zweifeln und Widersprüchen: "Ernst Wiechert hat rund drei Jahrzehnte in seiner Heimat Ostpreußen gelebt. Rechnet man die Kriegsjahre mit ein, die ihn ja auch gelegentlich nach Masuren heimkehren ließen, dann handelt es sich um die Hälfte dieses Dichterlebens, in dem ihm die geliebte Region geschenkt worden ist.

Für Wiecherts Schaffen sind stets die Wälder und Ströme, Moore und Wiesen, Seen und Hügel bedeutungsvoll gewesen ... Als ostpreußischer Mensch vermochte Ernst Wiechert das tägliche Leben sachlich-nüchtern zu beurteilen. Doch damit ging die Eigenschaft einher, sich Träumen hinzugeben, sich in geheimniserfüllte Räume einer Märchenwelt außerhalb der Wirklichkeit zu versenken. Wiechert hatte ein weiches Herz, war nachgiebig und setzte sich nur ungern mit Härte zur Wehr. Preußische Tugenden wie Pflichterfüllung, Selbstdisziplin und Verantwortungsbewußtsein waren ihm bereits mit in die Wiege gelegt worden."

Wesentliche Themen im Schaffen des Dichters aber waren neben der Absage an den Krieg und die Suche nach dem Glauben die Menschlichkeit, das Ringen um die Gerechtigkeit, Themen, die er nie aus den Augen verlor. Noch heute bemerkens- wert sind seine Worte in der Abschiedsrede an die Abiturienten des Königsberger Hufengymnasiums, die Wiechert 1929 hielt und die Einblick gibt in seine Gedankenwelt: "Ihr könnt der Menschen Knechte werden, aber ihr könnt auch der Knechte Menschen werden. Ihr wißt, daß es keine goldene Straße ist ... Meine Freunde, es ist nicht nötig, daß es mehr Geld auf der Welt gibt, mehr D-Züge, mehr Parteien, Vereine, Sekten und Weltanschauungen. Aber es ist nötig, daß es etwas weniger Tränen, auf der Welt gibt, etwas weniger Unrecht, etwas weniger Gewalt, etwas weniger Qualen. Wer in diesem Jahrhundert auf die Erde tritt, hat nicht dafür zu sorgen, daß die Gemeinschaft der Satten und Zufriedenen sich vermehre, sondern daß die Gemeinschaft der Erniedrigten und Beleidigten sich vermindere ... Sprecht nicht von der Überfüllung der Berufe, vom Jahrhundert der Arbeitslosen. Seht unsere Schulen an, unsere Universitäten, unsere Kirchen, unsere Gerichte, unsere Zuchthäuser, unsere Fabriken. Seht unsere Liebe an, unseren Haß, unser Ideal, unser Mitleid ... Arbeitslos? Leute sind arbeitslos, niemals der Mensch."

Es bleibt noch viel zu tun, das Wissen um Leben und Werk des Dichters aus dem ostpreußischen Forsthaus in der breiten Öffentlichkeit wieder tiefer zu verankern. Ein Ansatz ist der LO-Kulturabteilung und Hans-Martin Pleßke mit diesem lesenswerten Arbeitsbrief über Ernst Wiechert gelungen. Glückwunsch! Silke Osman

Ernst Wiechert: Noch heute gern gelesener Dichter Foto: Archiv