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12.07.03 / Banale Klatschgeschichten

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 12. Juli 2003


Banale Klatschgeschichten
Mittelmäßiges Sittengemälde aus dem "Land der Mittelmäßigkeit"

Am Anfang war eine Villa in Berlin-Grunewald. Darin gab es die Bibliothek des Vaters und den Salon der Mutter. Die Bibliothek war das "Sanktuarium", das Kultur und Bildung atmete, der Salon die pazifizierte Stätte, wo die intellektuellen Begabungen sich mit formaler Raffinesse vereinten. Diese Welt ging 1943 im Bombenhagel unter. Nicolaus Sombart hat den Verlust verarbeitet, indem er ihn als Beispiel für die "Expropriation" des deutschen Bildungsbürgertums durch nationale Katastrophen beschrieb. Weil die Objekte seines Interesses auch die seiner Sehnsucht sind, ist der Ton seiner Bücher unverkennbar und unnachahmbar. Sein populärstes, "Eine Jugend in Berlin", das die Zeit von 1933 bis 1943 umfaßt, tröstet die Lesern ein wenig über die Lücke hinweg, die die Absenz eines Proust in der deutschen Literatur bedeutet.

Der 1923 geborene Sombart wuchs als Sohn des Nationalökonomen Werner Sombart und einer Mutter aus rumänischem Adel auf. Die geistige Vaterstelle aber nahm der Grunewald-Nachbar Carl Schmitt ein, den er auf langen Spaziergängen begleiten durfte. Die Erfahrung von Arbeitsdienst und Wehrmacht teilte er mit seiner Generation. Danach veröffentlichte er den Kriegsroman "Capriccio Nr. 1" (1947), war Gründungsmitglied der Gruppe 47 und promovierte mit einer Arbeit über den französischen Sozialphilosophen Saint Simon. Es folgten zwischen 1951 und 1954 lebensgeschichtlich wichtige, ebenfalls in einem Buch erinnerte "Pariser Lehrjahre", danach war er 30 Jahre lang beim Straßburger Europarat als Leiter der Kulturabteilung tätig. 1982/83 kehrte er für ein Jahr in seine Vaterstadt zurück, um hier als "Fellow" am Wissenschaftskolleg sein Buch über Wilhelm II. voranzubringen. Das Haus, in dem er wohnte, war nur einen Kilometer vom elterlichen Grundstück entfernt.

Der 80. Geburtstag am 10. Mai dieses Jahres war für Sombart der Anlaß, das Tagebuch jener Monate zu veröffentlichen. Es ist angelegt als ein "Journal intime" und soll doch mehr sein als eine Sammlung privater Histörchen. Sombart hat einen Selbstversuch protokolliert, mit dem er erkunden wollte, welche Möglichkeiten ein Mann von Welt heute hat, in Deutschland, dem Land der großen Mittelmäßigkeit, zu leben und sich darzustellen.

Sein Berliner Jahr spielt sich ab zwischen dem Kolleg, einem nahegelegenen Bordell und der Paris-Bar, dem legendären Promitreff von West-Berlin. Auffällig ist das Mißverhältnis von Aufwand und Ergebnis. Der Kultursoziologe Sombart hat offenbar geglaubt, en passant ein Sittengemälde der "guten Gesellschaft" mit den Mitteln des gehobenen Klatsches zu entwerfen. Was er in der eingemauerten Halbstadt vorfand, war aber eine schmale, akademische Schicht, die sich mit adligen Einsprengseln (den Nachkommen der Hohenzollern und ihren Reichskanzlern) schmückt. Weil Sombart im Tagebuch zu selten als ästhetisierender Analytiker auftritt und zu oft als blasierter Dandy, hat sein Beobachterblick häufig die falsche Brennweite. Er ist nicht scharf oder böse genug, um hinter den Zufallserscheinungen etwas auszumachen, was für den Leser eine wesentliche Entdeckung bedeutet.

Ein Beispiel: Der Auftritt des Politologen Axel von dem Bussche, eines verhinderten Hitler-Attentäters, sorgt im Kolleg für Peinlichkeit, weil er sich als ein "larmoyanter Sühnedeutscher" präsentiert. Sombart fragt sich, was er in einem Kreis von Wissenschaftlern überhaupt zu suchen hat. Es entgeht ihm, daß Bussche als enger Freund des damaligen Regierenden Bürgermeisters Richard von Weiz-säcker einer feingesponnenen Seilschaft angehörte. So ergeben der reichlich mitgeteilte Klatsch und die Zoten viel zu selten auch ein Panoptikum der Berliner Gesellschaft.

Wer Sombart schätzt, den wird dieses Tagebuch trotzdem als Vorstufe oder Seitenstück zu seinen soziologischen Arbeiten interessieren. Und wem Klatsch von der Sorte "Klaus Bölling trägt ein Toupet!" genügt, ist sowieso gut bedient.

1984 ist Sombart endgültig zurück nach Berlin gezogen. Er wohnt in einer Gegend mit alten Bürgerhäusern, schattigen Bäumen und guten Lokalen. Sein Salon ist der berühmteste der Stadt. Seine Vorstellungen vom richtigen Leben bleiben von den zwei Polen Bibliothek und Salon bestimmt. Thorsten Hinz

Nicolaus Sombart: "Journal intime 1982/83", Rückkehr nach Berlin. Elfenbein Verlag, Berlin 2003, 211 Seiten, 18 Euro