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19.07.03 / Eine sehr entscheidende Frage oder Wenn Mutter plötzlich wieder heiraten will

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 19. Juli 2003


Eine sehr entscheidende Frage oder Wenn Mutter plötzlich wieder heiraten will 
von Gabriele Lins

Regine fährt zu ihrer Mutter, nur für zwei Tage. Die alte Dame soll sich wieder einmal bei der Tochter ausweinen können. Regine seufzt. Ach ja, es ist nicht leicht, bei einer verhärmten Frau zu sitzen, die einem zum x-ten Male ihre Wehwehchen schildert und von ihren kleinen Nöten und Ängsten spricht. Regine weiß oft schon, welcher Satz dem nächsten folgen wird. Da ist der dicke Fleischermeister, der andauernd zu betrügen versucht; aber sie paßt natürlich auf. "Als alte Frau bist du ein Nichts", nörgelt sie, "alles können sie mit dir machen."

Regine zerrt ihre Reisetasche aus dem Netz. Der Zug hält. Lustlos steigt sie etwas später die Treppen zur Wohnung der Mutter hinauf und denkt: Was soll's, sie braucht mich, ich will ihr doch helfen.

Sie klingelt. In der Tür steht ihre Mutter. Regine klappt den Mund auf, als die alte Dame sie auf beide Wangen küßt. Keine heruntergezogenen Mundwinkel, kein vorwurfsvolles "Da bist du ja endlich, Kind".

"Mensch Mutti, hast du dich verändert!" Die Augen der Mutter leuchten.

"Nicht wahr, bin zehn Jahre jünger, mindestens."

"Zehn?" Regine lächelt und mustert die alte Dame erstaunt. Keine schmuddelige Kittelschürze mehr, keine zertretenen Latschen. Regines Mutter ist plötzlich eine gepflegte, elegante Frau. Sie hat sich unauffällig geschminkt, das weiße Haar ist zu einer welligen Frisur gefönt, die dem Gesicht schmeichelt. Sogar die altmodische Brille ist einem modernen Gestell gewichen. Das Jackenkleid stimmt farblich genau mit der Bluse überein.

"Wo hast du nur die tolle Kette her, Mutti?" Die Mutter drückt die Tochter auf das Sofa. "Kaffee kommt sofort!" Leichtfüßig geht sie in die Küche. Regine kommt aus dem Staunen nicht heraus. Der Tisch ist festlich gedeckt. Bei ihren letzten Besuchen hatte sie sich über die angekatschten Tassen geärgert und besonders über das Messer mit der abgebrochenen Spitze. Jetzt ist alles so positiv verändert. Der Papagei schlägt mit den Flügeln. "Ich liebe dich, mein altes Mädchen!" schnarrt er.

Regine muß lachen. "Ach, so ist das." Die Mutter bringt den Kaffee. "Ich liebe dich, mein altes Mädchen!" neckt Regine. Da wird die alte Dame verlegen und droht: "Lora, du alte Petze!" Sie setzt sich. "Na ja, ich hab halt 'nen Freund. Wir haben uns auf dem Friedhof kennengelernt, an Vatis Grab. Er ist Witwer, war mal Architekt. Er hört gern klassische Musik und ..." - "Aber du doch nicht!" unterbricht Regine. "Wie bitte? Es gibt nichts, was ich lieber höre!" Regine lächelt verständnisvoll.

"Tja, und er will mich heiraten." "Hei...?" echote Regine. "Was sonst. Die Kette hier - die hat er mir geschenkt, einfach so." Sie springt auf. Hatte sie nicht immer Rückenschmerzen?

"Was machen deine Beschwerden, Mutti?"

"Was'n für Beschw...? Ach so, der Rücken. Weiß nicht. Die sind weg. Mein Arzt hat neulich zu mir gesagt: ‚Lieblich sind die Juninächte, nicht wahr, Frau Grabbe.' Ich weiß schon, was er damit meinte."

Regine grinst. "Friedrich Wilhelm Weber, Mutti. Dein Hausarzt ist eben ein Psychologe."

"Und wir gehen auch tanzen, Kind. Paß mal auf!" Sie stellt sich in Positur, wackelt mit dem Hinterteil, setzt graziös die Füße, wirbelt mit den Armen. Regine unterdrückt ein Prusten. "Siehst du, Kind, Bewegung hält jung." "Ja, und die Liebe auch", sagt die Tochter nachdenklich. -

Zwei Wochen später hat Regine ihren Paul überredet, Mutter und deren Freund einzuladen, zwecks Beschnüffelung, wie sie ihm augenzwinkernd erklärte. Am Telefon hört sich die Stimme der Mutter merkwürdig an. "Ich soll zu euch kommen? Mit Arno? Na, ich weiß nicht ..."

Am darauffolgenden Samstag steht Regines Mutter an der Bahn, klein und zierlich, schick gekleidet. Sie gibt sich schüchtern, beinah schuldbewußt, seltsam einsilbig. Am Kaffeetisch, als sie bequem zwischen vier Kissen sitzt, taut sie auf und berichtet ihren Kindern, warum sie allein gekommen ist. "Weil's meinen Arno nämlich gar nicht gibt!"

"Gar nicht ...?" Regine fehlen die Worte. Doch die Mutter sieht jetzt gar nicht mehr schulbewußt aus, sie lächelt. "Ich habe doch da meine Freundinnen, verstehst du. Na, und weil die immer mit ihren Skatfreunden protzen, die ihnen rosa Nelken schenken und so - da hab ich halt gedacht, so einen Freund schaffst du dir auch an. Und weil's grad keinen gab, der zum Angeben gut war, da habe ich mir halt einen erfunden."

"Erfunden???" Regine schnappt nach Luft. Die Mutter grinst. "Und die Perlenkette habe ich mir selbst geschenkt. Und meiner Lora habe ich den Satz vom geliebten alten Mädchen beigebracht."

Paul lacht laut heraus. "Meine Güte, Mutter, die bist vielleicht ein Typ!"

"Nicht wahr? Und wie ich mich erst mal eingekleidet hatte, habe ich mir einen Korn gekauft und mir einen hinter die Binde gegossen, na ja, um Mut zu kriegen für die Kneipe."

"Für die Knei...?" Regine kann heute ihre Sätze nicht vollständig formulieren. Doch ihre Mutter ist nicht zu bremsen. "Hast du was gegen Kneipen? Na also. Ich mußte doch wissen, wie's da zugeht, um meinen Freundinnen davon zu erzählen. Und wißt ihr, wen ich da beinah unter den Tisch getrunken habe? Ihr ratet's ja doch nicht. Den ollen Brinkmann. Der spielt dort manchmal die Aushilfe für seinen Sohn."

"Der Metzgermeister?" Regine schmunzelt. "Der dich immer beim Abrechnen beschummelt?" Die Mutter winkt ab. "Du weißt doch, Kind, ich bin so schwach im Rechnen. Der Brinkmann ist eigentlich nett." Die alte Dame lächelt in sich hinein. "Wir sind schon ein paarmal zum Seniorenball gegangen, der Brinkmann, meine Freundinnen und ich."

"Prima!" Regine klopft der Mutter anerkennend auf den Rücken. "Du hättest doch statt deines ima-ginären Architekten den netten Metzgermeister mit anschleppen können, Mutti."

Die Mutter hebt abwehrend die Hände. "Wir duzen uns doch noch nicht einmal. Außerdem - der Brinkmann ist keine Kanone im Reden. Der redet nur in Fürwörtern, wenn du weißt, was ich meine." Regine denkt: Auf einmal sieht sie richtig keß aus.

"Tja, Kinder, der guckt mich immer so direkt an, wenn er die Ladentür aufreißt - komme mir dann vor wie eins seiner Koteletts -, dabei schmettert er: ‚Der Ihre, Gnädigste!'"

Regines Mutter bleibt zwei volle Tage, dann hält sie nichts mehr. Sie verteilt noch Schokolade, Bücher und warme Unterwäsche an die Enkel und dann rauscht sie einer Königin gleich aus der Szene. "Ihr braucht mich nicht zur Bahn zu bringen, Kinder. Ich habe den ollen Brinkmann angerufen. Der holt mich mit seinem dicken BMW vom Bahnhof ab, tschühüs!"

Einige Zeit darauf erhält Regine einen Anruf. Sie erfährt, daß es nun wirklich ,was wird' mit der Mutter und ihrem Metzgermeister. "Und was glaubst du, Kindchen, wie Heinz seinen Antrag form... - äh - wie er sich ausgedrückt hat?" - "Naaa?" - "Du und ich - wir beide?" - "Immerhin." Regine kann sich das Lachen kaum verbeißen. "Und was hast du geantwortet, Mutter?" "Ich? - Ach so - ich sagte nur: ,Wir!!!'"

Als Regine ein Kostüm für die bevorstehende Hochzeit ihrer Mutter anprobiert, besieht sie aufmerksam ihre schon etwas vollschlanke Gestalt im großen Spiegel und überlegt: "Sein oder Nichtsein - hängt das nicht oft von einem selber ab?" Langsam knöpft sie die neue Bluse zu. "Wie werde ich aussehen, wenn ich in Mutters Alter bin? So wie sie noch vor einem halben Jahr aussah, vergrämt und schlampig, oder so wie jetzt?"

Die Verkäuferin fragt ungeduldig: "Wollen Sie das Kostüm nun nehmen oder nicht?" Regine erwidert versonnen: "Das ist hier die Frage ..."