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26.07.03 / Wo der Froschkönig lebt

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Juli 2003


Wo der Froschkönig lebt
von Wolfgang Werda

Es ist Frühling. Wieder zieht es uns hinaus zu den Wiesen und an den Fluß, der wie eh und je geheimnisvoll gluckst und brodelt. Das Stauwehr hat die schönste Schaumkrone aufgesetzt. Die wilden Maiglöckchen blühen im Uferschatten und hüllen uns ein in ihren betörenden Duft. Der Kuckuck ruft! Rasch, zückt die Geldbeutel, und laßt das Klimpergeld darin klingen ... Das bringt Glück. Nie mehr wird dir der Geldquell versiegen, so oft du auch deine Börse öffnest.

Lisa und Rony, die Enkeltöchter, hüpfen im Gras umher, pflücken Butterblumen und winden sich daraus einen Kranz fürs Haar. Hört ihr die Frösche quaken im Wiesengraben?

"Wolfgang Opa" - so nennen sie mich - rufen die Mädchen; sie zerren an meinem Joppenärmel. "Erzähl uns noch einmal die Geschichte vom Froschkönig und von der Angerburger Wasserkunst."

"Die habt ihr doch schon hundertmal gehört!" antworte ich. Doch sie betteln und betteln und geben nicht auf. "Bitte, erzähl uns die Geschichte, lieber Wolfgang Opa, nur noch ein einziges Mal."

Na schön. Ich werde wohl nicht darum herumkommen. Sie haben mich eingewickelt. Wir setzen uns auf die Bank nah am Wasser, im Schatten der alten Erle. - "Psst! Leise ... Seht ihr den Silberreiher auf der Wiese?" Er steht da, stumm und steif wie ein Stock, und lauert auf eine Maus. Schwupp, saust der lange Schnabel ins Gras. Tatsächlich! Er hat ein vorwitziges Mäuslein erwischt und fliegt mit der Beute davon, zu den hungrigen Reiherkindern, die auf ihn warten.

Also los: ... Ihr wißt, es ist lange her, da war ich noch ein kleiner Junge. An einem solchen Frühlingstag wie heute nahm mich mein Urgroßvater Gottlieb an die Hand, und wir spazierten zum Schloß, das auf der anderen Seite der Angerapp liegt. Ach, wie seidig blau der Himmel doch war, wie hell die Sonne leuchtete, wenn der Urgroßvater meine Hand hielt. Wie fröhlich der Fluß durch die frühlingsgrünen Wiesen eilte, bis er über die steinerne Brüstung der Wasserkunst donnerte und schließlich vom Wehr eingefangen und gebändigt wurde. Am Stauwehr gähnte ein dunkler Schlund hinter der Mauer. Dort verschwand das Wasser in der Tiefe. Diesem Vorgang galt meine ganze kindliche Neugier. Wo blieben diese Wassermassen? Was zog sie in die Tiefe? Hauste dort unten der Wassermann?

"So sag doch, Opa ..."

Ich überschütte Urgroßvater Gottlieb mit meinen Wies und Warums.

"Warum, warum, wieso - du fragst mir Löcher in den Bauch, mein Sohn." Er, der sonst auf all meine Fragen eine Antwort wußte, war diesmal ratlos. Eine Weile lauschten wir dem Quaken der Frösche. Dann endlich sagte er und zeigte dabei auf das Bauwerk im Fluß: "Weißt du, das ist eine sehr alte Wasserkunst. Ein kluger Wasserbaumeister hat sie vor langer Zeit errichtet, um die wilde Angerapp zu zähmen. Ein Geheimnis, eine alte Geschichte verbirgt sich dahinter."

Wilde Angerapp. Wasserkunst ... Diese Worte allein waren geheimnisvoll genug. Das Herz pochte mir vor Aufregung, als der Großvater den Zeigefinger hob und flüsternd sagte: "Hörst du die Frösche, mein Sohn?"

Ich nickte eifrig. "Ja!"

"Und hörst du auch den einen mit der ganz tiefen Stimme?"

Wieder nickte ich, denn ich hatte dieses tiefe Quak-quak vernommen, das so ganz anders klang und den Chor der übrigen Frösche übertönte. So sagte ich: "Ich höre es, Opa! Aber sag, warum quakt der Frosch so laut? Und warum ist seine Stimme so tief?"

"Nun, es ist der Froschkönig ..."

"Haben Frösche einen König, Opa?"

"Gewöhnliche Frösche natürlich nicht!" kam die Antwort des Alten. "Aber die Frösche in der Angerapp sind keine gewöhnlichen Frösche. Und deshalb haben sie einen König. Hörst du nicht, wie laut er quakt?"

In diesem Augenblick muß dem Urgroßvater wohl die Idee für seine kleine Geschichte gekommen sein. Er fuhr fort: "Jetzt werde ich dir das Geheimnis der Wasserkunst verraten. Es muß unter uns bleiben, verstehst du?!"

Ich sah ihn erwartungsvoll an.

Mein Urgroßvater räusperte sich, als ob er überlegte, ob er mir das Geheimnis wirklich verraten sollte. Dann schmunzelte er mich an und sagte: "Weißt du, der Froschkönig haust seit uralten Zeiten hier in der Wasserkunst."

Das hatte ich nicht erwartet. "Hier unten soll er hausen? Und was macht er da?"

"Tja ... Er wartet auf eine Prinzessin, die eines Tages kommen wird. Sie wird ihn wachküssen! Und dann wird er sich in einen richtigen König verwandeln. Alle anderen Frösche in der Angerapp werden sich übrigens auch verwandeln. In richtige Ritter, in Junker und Reitersleute und in schöne Schloßdamen. Der Froschkönig, mußt du wissen, war nämlich vor langer, langer Zeit ein echter König. Und die andern Frösche waren sein Hofstaat. Sie haben einst auf dem Schloß gelebt. Der König hat über das ganze Land an der Angerapp geherrscht."

"Wann wird sie kommen, die Prinzessin, Opa?"

"Ach, mein Kind, wann wird das sein? Ich weiß es nicht. Eines Tages wird sie kommen und den Froschkönig wachküssen. Dann werden der König und sein ganzer Hofstaat vor Freude mit dem Volk ein lustiges Fest feiern ... Bestimmt wird es einmal so sein ..."

... Mein Urgroßvater Gottlieb und ich, wir beide saßen noch eine Weile auf der Bank an der Angerapp, die gewiß im Laufe der Zeit viele Geschichten erfahren hat und noch erfahren wird.

Viele Jahre sind seit damals vergangen ... Wieder ist Frühling. Lisa, Rony und ich sitzen auf einer Bank an einem Fluß. Stolz wie Prinzessinnen tragen sie ihre Krone aus Butterblumen. Sie lauschen der Geschichte vom Froschkönig und dem Geheimnis von der Angerburger Wasserkunst, die mir der Urgroßvater erzählte ...

Angerburg: Das alte Ordensschloß Foto: Archiv