Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Juli 2003 |
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"Euch geht's doch gut!" Vom Umgang der Generationen untereinander erzählt Christel Bethke So ä Kiekelskoppche aber auch", meint Erna und streicht dem Täufling zärtlich über den kleinen Kopf, beugt sich dabei tief über den Kinderwagen und mustert aufmerksam das Kind. Entdeckt die drei winzigen Leberflecke unter dessen linkem Auge, die sich durch Generationen weiter vererben. Von der Knubbelnase ganz zu schweigen. Sagt sie auch nichts von. Jefällt einem vleicht nich ... Sie ist Urgroßmutter geworden! Wer hätte das gedacht, als sie damals aus den "Schwarzen Wäldern" kam, wie sich einige Familienmitglieder nicht verkneifen können anzumerken, wenn sich jemand über Ernas noch fließend gesprochenes Ostpreußisch wundert. Scheint ihr jedenfalls so. Mag sein, daß sie sich auch irrt. Dem Kind macht das nuscht aus. Das trinkt erstmal seine Flasche zügig leer und ihr war das im Laufe der Jahre - allerdings Jahre! - auch egal geworden, was einer von einem dachte. Aus der anfänglichen Bewunderung, die sie leicht für Alle und Alles hatte, als sie aus den Wäldern kam, wurde das ihr angeborene Mißtrauen durch Simmelieren wieder wach, und sie fragte sich, was es denn da eigentlich zu bewundern gab. Natürlich lebte man heute leichter. Wenn es gewitterte, brauchte man keine Angst mehr um die Ernte zu haben. Moderne Methoden und Subventionen ließen keinen mehr verhungern. Auch die Bauern nicht. Was die heute für Maschinen hatten! Diese Riesentrecker auf den kleinen Feldern, gemessen an denen von früher - Bevorratung? Nicht mehr nötig. Es gab immer alles zu jeder Jahreszeit. Doch irgendwas stimmte nicht, dachte sie oft. "Mänschenskind, es jeht euch doch gut", warf sie ungefragt in ein geführtes Gespräch ein, wenn es nur aus Klagen bestand. Und was da so alles gebraselt wurde! Ihre Devise war immer gewesen, den Schirm erst aufzuspannen, wenn es anfing zu regnen, nicht schon vorher. Das Kind hat die Flasche leergetrunken. Erna darf es hochnehmen, ihm den Rücken klopfen, damit es aufstoßen kann und noch e bißche puscheien. "Bei uns stand immer alles aufem Tisch, wenn jefeiert wurde", nörgelt sie, als zum Buffet gebeten wird. Ungemütlich, denkt sie. "Was jibt denn?", ruft sie dem Enkel hinterher, der ihr den Weg ersparen will, "und bring nicht soviel Käse. Was die heute immer mit dem vielen Käse haben", wendet sie sich ihrem Tischnachbarn zu. Der aber ist auch mit seinem leeren Teller unterwegs. "Was stand denn bei euch auf dem Tisch", will der stolze Vater wissen und stellt den gefüllten Teller vor sie hin. "Wenn du Schwarzsauer aufzählst, brauchst nicht unbedingt erwähnen, woraus das gemacht wurde", merkt er noch an. Macht sie auch nicht. Aber sie erwähnt Keilchen mit Spirkel, Aal und Hecht in Glibber, Wurst im Glas und natürlich durfte Glumse nicht fehlen. Das alles gibt es heute nicht, wie ihr kritischer Blick festhält. Der Enkel will Erna ermuntern, noch etwas von Früher zu erzählen. Erna! Noch was, womit sie wenig anfangen kann. Dieses beim Vornamen genannt werden von jungen Menschen. Und wie schnell einen Fremde gleich duzten! Was ihr und Frau Bajohr in zwanzig Jahren nicht in den Sinn gekommen, die sie Tür an Tür gelebt hatten, damals in den Wäldern. Wo kommt man denn da hin! Nei, sie will nuscht mehr erzählen. Sie zwingt sich auch nicht, den Teller zu leeren. Sie will zu sich, nach Hause. Am liebsten ist sie mit jedem der Familienmitglieder allein, findet sie, als der Enkel sie im Auto anschnallt und heimfahren wird. "Da redt der Mänsch noch zum Mänschen." Sie wird direkt redselig. "De Knubbelnas hat das Gnos von dir", muß sie noch loswerden. Der junge Vater wendet sich ihr zu. "Und woher kommt die wohl?" lacht er. Mein Lieberche, denkt sie, ich seh dich viel zu wenig. Ob es nur daran liegt, daß er wenig zu Hause sein kann, weil er als Koch auf einem Schiff über die Meere fährt? Aber sie verstehen sich die beiden, und deshalb erzählt er seiner Großmutter, als er sie zur Tür geleitet, daß er seinen Kapitän sofort versteht, weiß, was der zum Frühstück will, wenn er morgens beim Anblick seines Kochs wortlos mit der Hand die Luft umrührt. "Rührei", weiß Erna, heißt das. Beide lachen. Die Eltern des Kapitäns kamen aus der Elchniederung, hört sie, waren nicht sehr gesprächig. "Dacht ich mir", sagt sie, und während sie nach der Verabschiedung ihre Treppe nach oben steigt, fuchtelt sie auch mit der Hand durch die Luft. Rührei. Das hat ihr gefallen. Das hilft. Hilft? Ja, das hilft. |