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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 26. Juli 2003 |
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Otto v. Bismarck hatte das letzte Wort Am Mittwoch jährt sich der Todestag des Reichsgründers und "Eisernen Kanzlers" von N. Kaiser Durch ein Gläschen Champagner gelang es Ernst Schweninger am 28. Juli 1898 Otto v. Bismarck noch einmal auf die Füße zu stellen und ihn an den gemeinsamen Eßtisch der Familie zu bringen. Hier genoß er zum letzten Mal einen Abend wie in guten alten Zeiten als seine Johanna noch lebte. Nach dem Essen setzte er sich auf seinen Stammplatz, las Zeitung und rauchte drei Pfeifen. Nebenbei leitete er das Familiengespräch mit viel Geist und Witz - fast wie früher. Die Ruhe vor dem Sturm. Ob Schweninger jetzt abreiste, weil der Zustand des Fürsten wirklich zuversichtlich stimmen ließ, oder ob er es nur zum Schein tat, um der Öffentlichkeit und den Spionen Kaiser Wilhelms II. den wirklichen Zustand seines Patienten zu verheimlichen, bleibt ungewiß. 48 Stunden später saß Rudolf Chrysander, Bismarcks Hausarzt und Sekretär, neben seinem Bett, legte heiße Schwämme auf den Oberkörper und verabreichte Morphium gegen die Schmerzen. Der Zustand hatte sich rapide verschlechtert. Ein Lungenödem ließ ihn um Luft kämpfen, das Fieber stieg und die Zeiten der Bewußtlosigkeit wurden immer länger. Schweninger wurde zurückgerufen, aber auch er konnte Bismarck nur noch die letzten Minuten zu erleichtern versuchen. Die Uhr des Eisernen Kanzlers war abgelaufen. Kurz vor Mitternacht schloß Bismarck am 30. Juli 1898 im Alter von 83 Jahren für immer die Augen. "Gib, daß ich meine Johanna wiedersehe", notierte die Ehefrau seines ältesten Sohnes Herbert das letzte Gebet des Schwiegervaters. Seit dem Tode seiner Frau Johanna im November 1894 hatte Bismarcks Gesundheit und Lebenslust deutlich abgenommen. "Wenn sie abberufen wird, so möchte ich nicht mehr hier bleiben", hörten ihn Besucher immer wieder sagen. Ihr Tod stelle in seinem Leben einen tieferen Einschnitt dar als der März 1890, schrieb er in einem Brief an Johannes Miquel im November 1894. "Was mir blieb, war Johanna ... heut aber ist die Kohle in mir verglimmt", schrieb er drei Wochen später an seine Schwester "Malle". Schweninger berichtete, daß sein Patient seitdem ständig unter Schmerzen litt, die so groß waren, daß er meistens auf den Rollstuhl angewiesen war. Unterschätzt werden darf auch nicht, daß mit Johanna der ruhende Pol im Hause Bismarck fehlte. Dienstboten, Haushälterinnen und Familienangehörige stritten untereinander. Es herrschte Chaos. Hierunter litt der greise Fürst, wie Otto Pflanze, einer der großen Bismarck-Biographen, herausstellt. Ende 1896 diagnostizierte Schweninger Brand im linken Fuß. Das Bein begann langsam abzusterben. Mit Bismarck hatte Schweninger keinen leichten Patienten. So weigerte dieser sich, die Diätpläne einzuhalten, die vorgeschriebenen Fußmassagen und -bäder zu absolvieren. Schweninger, sein langjähriger Arzt und Freund, konnte mit viel Geschick die Ausführung seiner Anordnungen durchsetzen, das Personal des Fürsten konnte es nicht. Der Arzt konnte unmöglich ständig anwesend sein. Bismarcks Stim- mung wechselte schnell: Zorn, Resignation, Niedergeschlagenheit, Aufsässigkeit. Die Schmerzen quälten. Morphium betäubte. Bismarck weigerte sich, seinen Zustand wirklich ernst zu nehmen. Die aktuellen Ereignisse und neusten Nachrichten, zum Beispiel die Dreyfusaffäre, verfolgte er hingegen stets aufmerksam. Die Feier des 80. Geburtstages am 1. April 1895 war der letzte große Höhepunkt in seinem Leben. Vom März bis April 1895 war Friedrichsruh Ziel von nicht weniger als 35 Sonderzügen. 50 Delegationen wurden nach Friedrichsruh transportiert. Über 5.000 Studenten besuchten den Fürsten im Rahmen einer Huldigungsfahrt und 400 Abgeordnete des preußischen Landtags und des Reichstags erwiesen ihm die Ehre, desweiteren Delegationen von Städten, die Rektoren der deutschen Universitäten, Vertreter der ausländischen Regierungen und unzählige mehr. Der Kaiser machte am 26. März 1895 seine Aufwartung. Massen von Besuchern drängten sich vor dem Gutshaus in Friedrichsruh, um einen Blick ins Tor werfen zu können. Souvenirhändler verdienten mehr als je zuvor. Am 1. April wurden ausnahmsweise alle in den Park gelassen. Sechs Militärkapellen spielten auf. Weit über 1.000 Geschenke wurden von Bismarcks Bediensteten in Empfang genommen. Innerhalb von wenigen Tagen wurden Post- und Telegrafenämter mit mehreren tausend Päckchen, über 10.000 Telegrammen sowie etwa einer halben Million Postkarten und Briefen überschüttet. Nicht nur in Friedrichsruh wurde gefeiert, auch die Straßen von Hamburg, Berlin und vielen anderen Städten waren geflaggt und geschmückt. Bismarck war in allen Zeitungen das große Thema. Sein 80. Geburtstag wurde zum Nationalfeiertag. Auch wenn die Studenten sich verabschiedeten mit "Auf Wiedersehen am 90. Geburtstag", so konnte das keiner mehr erleben. Nach diesem letzten großen öffentlichen Spektakel um Bismarck nahm seine Kraft stetig ab und der Gesundheitszustand verschlechterte sich dramatisch. Aber auch schon vor dem runden Geburtstag wurde zum Beispiel die Delegation der Studenten gewarnt, daß man möglicherweise kurzfristig die Huldigungsfahrt absagen müsse, da der Gesundheitszustand des Fürsten eine persönliche Begrüßung nicht zulasse. Neben der täglichen Post und den Zeitungen waren Ausfahrten eine wahre Abwechselung für den greisen Bismarck. Mit der Kutsche ging es durch den Sachsenwald, die Roggenwälder wurden kontrolliert und die geliebten Bäume betrachtet. Im Frühjahr 1898 hatten die Bismarck-Pilger zum letzten Mal die Gelegenheit, den Altkanzler bei so einer Rundfahrt zu beobachten. Zu Beginn des Sommers mußte sich Bismarck schon mit Aufenthalten im Rollstuhl im Park seines Schlosses in Friedrichsruh begnügen. Im Juli konnte er das Haus und sein Schlafzimmer nicht mehr verlassen, wurde vom Fieber geplagt und litt an unsagbaren Schmerzen, die manchmal so stark waren, daß er um einen Revolver bat. Bereits zwei Jahre vor seinem Tod hatte der Fürst Vorbereitungen getroffen. Sein Begräbnis sollte nicht zu einem Spektakel werden. Insbesondere der junge Kaiser sollte an solchen Ideen gehindert werden. Bismarcks Vorsicht war begründet. Wilhelm II. verdächtigte Herbert und Schweninger permanent, daß sie ihm den Ernst der Lage in Friedrichsruh verheimlichen würden. Regelmäßig schickte er die unterschiedlichsten Leute zum Spionieren. Während seiner sommerlichen Kreuzfahrt in norwegischen Gewässern hatte er bereits konkrete Gedanken für die Trauerfeier im Kopf: Im Berliner Dom, neben seinen kaiserlichen Vorfahren sollte Bismarck seine letzte Ruhestätte finden; der Sarkophag sollte von den größten Kunstkoryphäen Berlins gestaltet werden, das Begräbnis ein denkwürdiges Ereignis werden. Wilhelm II. war in Bergen, als ihn die Depesche mit der Todesnachricht vom Reichsgründer erreichte. Die Flaggen wurden auf Halbmast gesetzt, er nahm Kurs Richtung Süden und richtete ein Beileidstelegramm an Herbert v. Bismarck. Am 2. August kam er dann in Fried- richsruh an, küßte Herbert auf beide Wangen und erzählte ganz überstürzt von seinen Plänen. Herbert schilderte kühl das Testament: kein Postmortem, keine Totenmaske, keine Zeichnungen, keine Photographien, Beisetzung an einer Stelle, die er an dem Hügel über dem Gutshaus selbst bestimmt hatte, ein massiver Eichensarg. Eine halbe Stunde später fand sich der Kaiser in einem Sonderzug auf der Rück-fahrt nach Berlin wieder. In der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche veranstaltete er eine offizielle Trauerfeier. Wilhelm II. hatte die kaiserliche Loge für die Familie von Bismarck reserviert. Sie blieb leer. Zwei Tage vor dem neunten Jahrestag der Entlassung Bismarcks, am 16. März 1899, folgte die Beisetzung des Sarges an der von Bismarck gewünschten Stelle. Hier folgten der Kaiser und ein Leichenzug in einer kurzen Prozession, die vom Gutshaus durch das Tor über die Eisenbahnschienen hügel-aufwärts zu einer neuen, im romanischen Stil errichteten kleinen Grabkapelle führte. Dort fanden Johanna und Otto v. Bismarck ihre letzte Ruhestätte. Auf Bismarcks Sarkophag liest der Besucher die von ihm selbst bestimmte Grabschrift: "Ein treuer Diener Kaiser Wilhelms I." Bismarck hatte das letzte Wort im Streit mit Wilhelm II. "Gib, dass ich meine Johanna wiedersehe" "Ein treuer Diener Kaiser Wilhelms I." Bismarck auf dem Sterbebett: Kreidezeichnung auf Ingrespapier von Franz von Lenbach aus dem Sterbejahr (1898) Foto: GStA PK |