24.04.2024

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09.08.03 / Dichtung und Wahrheit - Politik und Werbung

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 09. August 2003


Hans-Jürgen Mahlitz: 
Dichtung und Wahrheit - Politik und Werbung

Was ist Wahrheit? Die Frage blieb unbeantwortet, und wohl gerade deshalb konnte der römische Statthalter Pontius Pilatus sie so bequem nutzen, um sich aus der Mitverantwortung für die Kreuzigung Jesu Christi zu stehlen. So lehrt uns dieses inzwischen zwei Jahrtausende alte Beispiel, wie gefährlich es ist, wenn sich Politiker des Begriffs "Wahrheit" bemächtigen - dahinter verbirgt sich oft ein Berg von Lügen.

Was sich damit alles anfangen läßt, hat nun auch die EU entdeckt. Verbraucherkommissar David Byrne fordert Ehrlichkeit, Wahrheit und Klarheit in der Werbung; was dem Konsumenten versprochen wird, soll wissenschaftlich nachprüfbar und nachweisbar sein. Angebliche gesundheitliche Vorzüge, die lediglich der Phantasie der Hersteller und ihrer Werbestrategen entspringen, sollen gesetzlich verboten werden.

Auf den ersten Blick wirkt die Idee recht sympathisch: Endlich würde diesen üblen Geschäftemachern ein Riegel vorgeschoben, die Frauen wirkungslose - oft sogar gesundheitsschädliche - Schlankmacher aufschwätzen, die Senioren schamlos abzocken, indem sie ihnen für teures Geld angebliche Verjüngungsmittel, heilende Heizdecken und ähnlichen Unfug verkaufen, die Kindern und Jugendlichen vorgaukeln, das Glas in der Hand und die Zigarette zwischen den Lippen seien förderlich fürs psychische Wohlbefinden und die Entwicklung der Persönlichkeit.

Allerdings ist zu befürchten, daß derartige Werbeverbote in der Praxis überhaupt nichts bewirken. Wer sein schmutziges Geschäft mit Lügen und mit Angst macht, wird eben - falls Kommissar Byrne sich mit seiner Idee durchsetzen kann, was eher zweifelhaft ist - in Zukunft seine Werbung noch raffinierter aufziehen. PR-Agenturen werden sich künftig - neben pfiffigen Textern und Graphikern - ausgefuchste Juristen halten müssen, spezialisiert auf Wettbewerbsrecht. Und natürlich brauchen wir dann auf allen Ebenen, von Brüssel bis in die letzte Kommunalverwaltung, neue Behörden zur Überwachung jeglicher Werbung. Daß dies letztlich auch zu einer Entmündigung des Verbrauchers sowie zu weiterer Überreglementierung und Bürokratisierung führt, ist ebenfalls zu bedenken. Das dafür benötigte Personal wäre allerdings leicht zu rekrutieren: In der ohnehin krisengeschüttelten Medienbranche würde es, wie die Verlegerverbände zu Recht befürchten, infolge massiver Werbeverbote eine neue Welle von Entlassungen geben.

Wenn Politiker es schon für nötig halten, über Wahrheit und Werbung nachzudenken, warum dann nicht an der richtigen Stelle? Wie wäre es mit einem strikten Verbot unwahrer Wahlwerbung? Wenn der Öko-Bauer wissenschaftlich beweisen muß, daß auf seinem Müsli nicht nur "Bio" drauf steht, sondern auch "Bio" drin ist - warum soll der wahlkämpfende Politiker dann nicht ebenfalls genötigt werden, nur noch das zu versprechen, was er - wissenschaftlich nachprüfbar - auch halten kann?

Nach allen Erfahrungen gerade der jüngeren Vergangenheit habe ich den dringenden Verdacht, daß es in Deutschland dann bald gar keine Wahlkämpfe mehr gäbe. Oder nur noch "Kurzfassungen", etwa nach dem Motto: "Wir versprechen nichts, aber das halten wir auch!" Das wäre dann wenigstens ehrlich.