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09.08.03 / "Wir schaffen das schon" / Pflegende Angehörige nicht allein lassen - Balance zwischen Fürsorge und Entlastung erreichen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 09. August 2003


"Wir schaffen das schon"
Pflegende Angehörige nicht allein lassen - Balance zwischen Fürsorge und Entlastung erreichen

Es war, als hätte mich jemand ohne jede Vorwarnung in einen eiskalten, reißenden Fluß gestürzt. Ich bäumte mich mit allen Kräften gegen dieses Schicksal auf und versuchte mit dem Mut der Verzweiflung ans Ufer unseres bisherigen Lebens zurückzugelangen. Bis ich endlich begriff, daß mein trotziges Aufbegehren Kräfte kostete, die ich dringend zur Bewältigung der vor uns liegenden, unbekannten Wegstrecke brauchte. Irgendwann gab ich den inneren Widerstand auf, überließ mich der reißenden Strömung und konzentrierte mich nur noch darauf, den Kopf über Wasser zu halten. Schließlich warf mich der Fluß an ein fernes, unbekanntes Ufer: Ich war naß, durchgefroren und völlig allein - so schien es mir damals." Gudrun Born wird besonders die Anfangszeit nach dem plötzlichen Hirninfarkt ihres Mannes, der den vorher gesunden 58jährigen zum Pflegefall machte, nie vergessen. So wie Gudrun Born geht es vielen Menschen, deren nahe Angehörige plötzlich nicht mehr die "alten" sind. Ob Krankheit oder Unfall, das Leben ist manchmal von einem auf den anderen Tag ein anderes, obwohl man selbst kerngesund und munter ist.

Im Rahmen der Woche "Älter werden in Hamburg" fand im Diakonie Krankenhaus Alten Eichen eine Podiumsdiskussion statt, in der Angehörige von pflegebedürftigen Menschen zu Wort kommen und ihren vielfältigen Problemen und Ängsten Ausdruck verleihen konnten.

Schon hier zeigte sich, wie unterschiedlich Menschen mit ihrem Schicksal fertig werden. Während der eine sich zum "Manager über die Krankheit" seiner Frau macht und jegliche Literatur und Hilfsstellen rekrutiert, verweigert der andere jegliche Unterstützung von der Außenwelt und will alles allein regeln.

Vor allem die Erkenntnis, daß man sich den veränderten Lebensbedingungen anpassen und seine Zukunftspläne zurücksetzen, wenn nicht sogar aufgeben muß, fällt vielen schwer. "Wir starteten beide voller Vorfreude in unser Rentnerdasein und wollten viel reisen. Dann wies meine Frau mit gerade mal sechzig die ersten Anzeichen von Verwirrtheit auf. Wir fuhren trotzdem mit unserem Wohnwagen los, ignorierten ihre geistigen Ausfälle einfach, bis Freunde uns nahelegten, einen Arzt zu konsultieren." Inzwischen wohnt die Ehefrau im Heim, ihr Ich lebt in einer uns unzugänglichen Welt, zudem ist sie auch noch erblindet, doch ihr körperlich und geistig absolut vitaler Ehemann besucht sie täglich für mehrere Stunden. 1.900 Euro zahlt er monatlich aus seinem eigentlich für das gemeinsame Alter zurückgelegte Vermögen für ihre fachgerechte Pflege. - "Ich habe die Kraft einfach, schließlich ist sie ein Teil von mir", antwortet eine 91jährige, die ihre kranke Zwillingsschwester mit Hilfe vom ambulanten Pflegedienst bei sich zu Hause versorgt.

Ein anderer Ehemann hingegen zuckt auf die Frage, woher er die Kraft zur Bewältigung des Alltags nimmt, mit den Schultern. Tränen schimmern in seinen Augen, doch störrisch hebt er den Kopf und betont: "Wir schaffen das schon." Mit "wir" meint er sich und seine Frau, doch aus dem Gespräch wird deutlich, daß sie zu diesem "wir" aufgrund ihrer fortgeschrittenen Krankheit nichts mehr beitragen kann, doch er will es nicht wahrhaben; klammert sich an das "wir", welches jahrzehntelang Bestand hatte.

Wer sich nicht der Hilfe von außen öffnet, wird früher oder später selber zusammenbrechen. Diese Meinung vertreten die bei der Diskussion anwesenden Experten. Heinz Adolf Giese, Vorsitzender der Alzheimer Gesellschaft in Hamburg, hebt vor allem die wichtigen Gespräche in Angehörigengruppen hervor, denn dort erhalten pflegende Angehörige das Gefühl, nicht allein zu sein, zumal gerade Behörden und Krankenkassen den psychisch wie physisch ohnehin schon Überbelasteten oft zusätzlich Steine in den Weg legen.

Aufgrund der Altersstruktur in Deutschland und der finanziellen Lage der Sozialkassen werden pflegende Angehörige in Zukunft eine immer größere Rolle in unserer Gesellschaft darstellen. Um den Menschen die Bewältigung der ihnen vom Schicksal aufgezwungenen, ungewohnten Situation zu erleichtern, hat die Verbraucher- Zentrale Nordrhein-Westfalen den Ratgeber Pflegende Angehörige - Balance zwischen Fürsorge und Entlastung herausgegeben. Neben wichtigen Adressen und Tips zum Alltag mit pflegebedürftigen Menschen zeigt der Ratgeber auch wichtige zu bedenkende Aspekte wie Gestaltung des Wohnraumes, mögliche Veränderungen der zwischenmenschlichen Beziehungen und mögliche Entlastungschancen für den Betreuenden auf. Auch auf die Gefühlslage der Betreuenden wird eingegangen, denn in vielen Fällen ist die Pflege ein sich quälend langsam hinziehendes Abschiednehmen von einem geliebten Menschen.

Die thematisch sehr umfassende Broschüre ist über die Verbraucher-Zentrale NRW, Zentralversand, Adersstraße 78, 40215 Düsseldorf, Telefon 01 80/5 00 14 33, für 7,80 Euro zzgl. 2 Euro Versand zu beziehen. Rebecca Bellano

Pflegende Angehörige: Rund um die Uhr ist oft Hilfe dringend erforderlich. Meist sind Familienmitglieder in dieser Situation überfordert und benötigen selbst tatkräftige Unterstützung Foto: Diakonie-Krankenhaus Alten Eichen