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16.08.03 / Missfelder ist nur ein Symptom

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. August 2003


Gedanken zur Zeit:
Missfelder ist nur ein Symptom
von Wilfried Böhm

Im heißen Sommerloch des Jahres 2003 schrecken vorlaute Attacken auf die Hüftgelenke der über 85jährigen die Deutschen auf. Geführt von einem Musterexemplar der PISA-Generation, dem 23jährigen Vorsitzenden der Jungen Union, Philipp Mißfelder, schaffte es ein Thema, die Bildschirme und Zeitungsseiten zu erobern, das eigentlich schon seit langem die Bundesbürger hätte erschrecken, bewegen und zum Nachdenken veranlassen müssen.

Wenn es in der Gesellschaftspolitik einen Bereich gibt, der mit eindeutigen Daten und konkreten Zahlen über viele Jahre hinweg berechenbar ist, dann ist es die Bevölkerungsentwicklung als Grundlage der Zukunftsplanung eines Volkes und Staates. Schon seit Jahrzehnten beginnt sich die Bevölkerungspyramide auf den Kopf zu stellen. Massenkonsum, massenhafte Abtreibung, individuelle Selbstverwirklichung, Drogenkonsum, "Homo-Ehe" und in der Folge dramatisch sinkende Geburtenzahlen bedrohen die Zukunftsfähigkeit der Deutschen.

Die zur "Spaßgesellschaft" verkommenen Generationen leiden seitdem an der "Deutschen Krankheit". Es fanden sich keine verantwortungsbewußten Staatsmänner, die herangingen, den sogenannten "Generationenvertrag" in seiner ursprünglichen Form zu verwirklichen. Diese bezog sich nämlich nicht nur auf die arbeitende und die nicht mehr arbeitende Bevölkerung, sondern bezog auch die noch nicht Arbeitenden, also die nachwachsenden Kinder mit ein. Statt dessen wurde ein "kastrierter Generationenvertrag" praktiziert und zum Verhängnis, bei dem die Kinder außen vor blieben. Die lapidare Bemerkung Konrad Adenauers: "Kinder haben die Leute immer", war richtig aus der Sicht seiner Generation. Wie hätte er auch voraussehen können, daß anderthalb Jahrzehnte später einsetzende Massenabtreibungen den Mord am deutschen Volk in Gang setzen sollten.

In den schlimmen Jahren des lustvollen Wahns der 68er und ihrer politischen Nutznießer, die ihre politische Sozialisation im pseudogeistigen Umfeld des "Trau keinem über dreißig" erhielten, wurde die Grundvoraussetzung der Überlebensfähigkeit eines Volkes weiter aufs Spiel gesetzt. Am Beginn der achtziger Jahre wäre die "geistig-moralische Wende" fällig gewesen. Sie war das Gebot der Stunde. Doch diese Wende zum Besseren wurde 1982 zwar angekündigt, aber schließlich Opfer des machterhaltenden Taktierens. Ein Jahrzehnt später wurde auch die Chance vertan, die sich aus dem Zusammenbruch des Kommunismus und der daraus folgenden Wiedervereinigung hätten ergeben können. Trotz der Bereitschaft der Deutschen zu materiellen Opfern wurde die Wiederherstellung der staatlichen Einheit nicht zur Selbstbesinnung, zur ehrlichen demographischen Bestandsaufnahme und zu einer daraus resultierenden Strategie genutzt. Vielmehr wurden nach dem Motto "Weiter so" unverdrossen finanzielle Milliardenleistungen für "Europa" und per Scheckbuchdiplomatie in anderen Teilen der Welt erbracht. Jede Diskussion über die Bevölkerungsentwicklung im eigenen Land hingegen wurde im Keim erstickt. "Bevölkerungspolitik" - in Frankreich erfolgreich praktiziert - galt und gilt als eine Art Unwort, denn die Nationalsozialisten hatten sie - wie alle Bereiche der Politik - für ihre Ziele mißbraucht. Wen wundert es da, daß ausgerechnet die heutige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Renate Schmidt (SPD), vor 15 Jahren auf die Frage "Sterben die Deutschen aus?" meinte, dies sei die Frage, die sie "an allerletzter Stelle stelle, weil dieses mir verhältnismäßig Wurscht ist".

Es war abzusehen, daß die falsche Interpretation des Generationenvertrages zum "Krieg der Generationen" zwischen Jung und Alt im Kampf um den Wohlstand führen würde. In der Hitze des Sommers 2003 wurde er nun mit dem Scharmützel entfacht, das der junge Mißfelder um die künstlichen Hüftgelenke der 85jährigen ausgelöst hat. In der CDU herrscht seitdem "helles Entsetzen", nur vordergründig über die jäh gestörte Sommerruhe, viel mehr noch beim Blick in den Abgrund eigener Versäumnisse. Die ganze Diskussion hat Methode: Hatte doch schon Anfang Juni der katholische Theologieprofessor Joachim Wiemeyer von der Universität Bochum, der die katholische Bischofskonferenz berät und Vorsitzender der deutschen Sozialethiker ist, in einem Fernsehmagazin erklärt, "daß wir vor allem für Jüngere medizinische Leistungen bereitstellen müßten, aber nicht jede lebensverlängernde Maßnahme für sehr alte Menschen noch durchführen müssen". Sein Professorenkollege für Sozialpolitik, Friedrich Breyer, Konstanz, der im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie sitzt, schlug eine Altersgrenze von 75 Jahren vor, nach diesem "biblischen Alter" solle allenfalls noch die Linderung der Schmerzen finanziert werden.

Die CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel belegte zwar die Aussagen ihres jungen Parteifreundes Mißfelder mit dem allseits beliebten politischen Modewort "inakzeptabel", bemerkte aber sogleich, daß die Generationsgerechtigkeit "ein zentrales Thema der nächsten Jahre sein wird". Der angepaßte Jungpolitiker erklärte postwendend, er wolle keinen "Generationenkrieg" und habe die heutigen Rentner nicht gemeint, sondern "die heute 50jährigen ermahnen wollen, an ihre Vorsorge zu denken". Diese Reaktion liegt auf der alten Linie der Beschwichtigung und Ablenkung von den tatsächlichen Problemen. Denn jetzt müssen die Grundfragen eines Volkes, das überleben will, auf den Tisch. Die Deutschen können sich nicht mehr mit Zuwanderungen aus aller Welt über die Runden retten und damit ihr Sozialsystem nicht nur selbst ausbeuten, sondern seine Ausnutzung weltweit freigeben. Sie müssen das tun, was alle anderen Völker auch tun: sich selbst erhalten, um ein geachtetes Volk der Völkerfamilie zu sein. Die eigene Zukunft darf ihnen nicht länger "Wurscht" sein, sondern muß Zentrum ihres Denkens, Fühlens und Handelns sein. Dann hätte der muntere Knabe von der Jungen Union doch noch Gutes bewirkt.

Jürgen Mißfelder: Bundesvorsitzender der Jungen Union Foto: JU